Bayern hat Druck, RB Freude "Sehe keine Handschrift von Ancelotti"
21.12.2016, 17:29 Uhr
Welche Handschrift trägt der FC Bayern? Taktikprofessor Daniel Memmert sind keine, zumindest keine von Carlo Ancelotti.
(Foto: dpa)
Der FC Bayern hat ein gewaltiges Problem. Denn mit Aufsteiger RB Leipzig kommt heute Abend eine Mannschaft zum Topspiel der Fußball-Bundesliga in die Allianz-Arena, die die ihre Stärke genau dort hat, wo die Münchener große Schwächen offenbaren. Taktikprofessor Daniel Memmert verrät im Interview was aber trotzdem für den deutschen Rekordmeister spricht.
Herr Memmert, erkennen Sie irgendeinen Grund, der dafür spricht, dass sich RB Leipzig in München von seiner bislang so erfolgreichen Spielphilosophie abbringen lässt?
Professor Daniel Memmert: Nein. Leipzig spielt sein gewohntes 4-2-2-2, wird wie gehabt früh angreifen, in der eigenen Hälfte mit hoch stehender Viererkette verteidigen, um nach Balleroberungen rasant und bisweilen chaotisch in die Spitze umzuschalten. Darauf haben sie Bock, das beherrschen sie perfekt. Darüberhinaus haben Ralf Rangnick und Ralph Hasenhüttl die Aufgabe aus motivationaler Sicht sehr gut vorbereitet.
Inwiefern?
Die Spieler werden sich unfassbar auf dieses Match freuen. Es ist für sie der Höhepunkt der Hinrunde, so etwas wie ein Endspiel für die Leipziger. RB Leipzig wird alles raushauen, das wird man sehen. Wenn nötig, werden sie 95 Minuten laufen und kämpfen. Die große Frage ist, wie effektiv sie vor dem Tor sein können.
Wie betrachten Sie die psychologische Ausgangssituation für die Münchner?
Die Erwartungshaltung beim FC Bayern ist völlig konträr zu der der Leipziger. Alle Verantwortlichen haben der Mannschaft signalisiert, dass sie in diesem Heimspiel gewinnen und die Tabellenführung verteidigen muss. Das ist eine klare Pflichtaufgabe.
Welche Lösungen hat der FC Bayern gegen das Leipziger Pressing-Gegenpressing anzubieten?
- Professor Dr. Daniel Memmert ist geschäftsführender Institutsleiter am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der DSHS Köln.Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Sportspielforschung.
- Memmert ist Herausgeber und Autor von Lehrbüchern zu modernem Fußballtraining. Für die TSG Hoffenheim arbeitete der Heidelberger 15 Jahre lang als Spielanalyst, unter anderem von 2006 bis 2011 für den damaligen TSG-Cheftrainer Ralf Rangnick.
- Aktuell unterstützt Memmert Red Bull Salzburg mit Analysetools bei Scouting und Spielanalyse im Nachwuchs und gibt den Trainern der Jugendteams in Referaten Impulse für die Nachwuchsausbildung.
- Seine beiden aktuellsten Bücher heißen „Revolution im Profifußball” und „Elfmeter. Die Psychologie des Strafstoßes”.
Die Münchner wissen genau, dass sie in dieser Saison gegen Mannschaften, die aggressiv gepresst haben, nicht gut ausgesehen haben: Hoffenheim – unentschieden, Dortmund – verloren, Leverkusen – glücklich gewonnen. Die Bayern haben in dieser Saison noch nicht erkennen lassen, welche Lösungen sie gegen extremen Druck gegen ihr Aufbauspiel parat haben. Nur mit Chipbällen über den Leipziger Pressingverbund hinweg zu agieren, entspräche nicht dem Münchner Ballbesitzspiel, das Ancelotti angekündigt hat.
Können Sie eine Handschrift von Ancelotti erkennen? Was macht Bayern München unter dem Italiener aus?
Ich sehe leider noch keine Handschrift von Ancelotti. Falls er eine Idee hat, hat er sie noch nicht ausreichend vermitteln können. Die Spieler äußern sich ja auch nicht gerade euphorisch.
Was vermissen Sie am Spiel des FC Bayern unter Trainer Ancelotti?
Das Positionsspiel, aus dem die schnellen vertikalen Bälle oder die klaren Eins-gegen-Eins-Situationen der schnellen Außenbahnspieler entstehen, ist nicht mehr so klar wie noch unter Josep Guardiola. Somit leidet das Ballbesitzspiel, wodurch ich auch keine klaren Laufwege und eintrainierte Passkombinationen sehe, um Raumkontrolle in den gefährlichen Bereichen zu generieren. Auch die Rolle der Außenverteidiger, die unter Pep extrem wichtig war, scheint an Bedeutung verloren zu haben.
Wie also kann sich der FC Bayern dem Leipziger Druck entziehen?
Matchplan von München kann es sein, die individuelle Überlegenheit im Eins-gegen-Eins auszuspielen. Sie sind auf nahezu jeder Position stärker besetzt, dann müssen sie beispielsweise Arjen Robben möglichst oft in Eins-gegen-Eins-Situationen gegen den Außenverteidiger bringen. Es ist für die Münchner sehr wichtig, dass Robben dabei ist. Übrigens: Aus meiner Sicht ist dieses Spiel ein Duell der Gegensätze.
Wieso das?
Ich sehe vor allem drei konträre Punkte zwischen Bayern und Leipzig. Erstens: Der individuellen Stärke und dem auf individuelle Qualität ausgelegten Spiel der Münchner begegnen die Leipziger als Kollektiv im Team. In diesem Spiel tritt das System Kollektivfußball gegen Individualfußball an. Zweitens: Bayern München agiert mit extrem viel Ballbesitz in dieser Saison, baut eher langsam bedächtig auf. Leipzig dagegen spielt wenn möglich Hochgeschwindigkeits-Fußball durch schnelles Umschalten. Und drittens: die bereits angesprochene motivationale Ausgangslage. Leipzig kann die Herausforderung als Hoffnungsaufgabe betrachten, für München ist es ein Muss zu gewinnen. All das macht diese Partie zu einer höchst spannenden mit völlig offenem Ausgang.
Mit Daniel Memmert sprach Ulli Kroemer
Quelle: ntv.de