Fußball

Bayern-Rettung in höchster Not Tuchels "Meisterleistung" setzt Arsenal schachmatt

Unbekannt.jpg

Taktikfuchs Thomas Tuchel verbietet dem FC Bayern Hurra-Fußball und setzt auf knallharte Disziplin. Die Kniffe des Trainers ersticken die Arsenal-Offensivpower im Keim. Der Münchner Präsident schwärmt von einer "Meisterleistung" und Tuchel rettet nicht nur seinen Klub, sondern auch sich selbst.

Während andernorts am Mittwoch die Sonne scheint, ersäuft München im Regen. Doch Pfützen tief wie das Meer und rutschiger Rasen können einen Seemann nicht aufhalten. Zwar setzte Thomas Tuchel vor acht Monaten von Großbritannien aufs europäische Festland nicht per Jolle über. Und ob der Trainer, der vor den Bayern bis 2022 den FC Chelsea leitete, überhaupt je zur See gefahren ist? Geschenkt, denn nach der taktischen Darbietung gegen den FC Arsenal könnte er selbst bei der Meuterei auf der Bounty für Ordnung sorgen. Aber was wirklich zählt: Tuchel zeigt im Rückspiel des Viertelfinals der Champions League, dass er weiß, was es für eine Seenotrettung braucht.

Der Bayern-Tanker ist in dieser Saison bereits früh vom Kurs abgekommen (Pokal-Aus in Saarbrücken), wurde im Bermuda-Dreieck in immer fürchterliche Tiefen gerissen (Blamagen gegen Bremen, Bochum und Heidenheim) und stand kurz vor dem Absaufen. Auch gegen Arsenal will offensiv zunächst nicht viel gelingen - doch der Chefcoach, der Mann am Steuerrad, der im Sommer von Bord gehen muss, führt seine schiffbrüchige Crew mit exzellenten Kniffen doch noch ans rettende Ufer.

Bayern München - FC Arsenal 1:0 (0:0)

München: Neuer - Kimmich, de Ligt, Dier, Mazraoui (76. Kim) - Sane (89. Upamecano), Laimer, Goretzka, Musiala, Guerreiro - Kane. - Trainer: Tuchel
Arsenal: Raya - White, Saliba, Gabriel, Tomiyasu (86. Nketiah) - Ödegaard, Jorginho (68. Jesus), Rice - Saka, Havertz, Martinelli (67. Trossard). - Trainer: Arteta
Schiedsrichter: Danny Makkelie (Niederlande)
Tor: 1:0 Kimmich (63.)
Gelbe Karten: Laimer, Kimmich - White, Gabriel Jesus
Zuschauer: 75.000 (ausverkauft)

Genug der Wortspiele. Dank des 1:0 (0:0)-Erfolges über die Londoner kann der FC Bayern eine bisher miserable Saison doch noch in etwas Positives umwandeln. Das erste Halbfinale in der Königsklasse seit 2020, vielleicht winkt bald doch noch eine Trophäe, wenige Wochen nachdem halb Deutschland über die Heidenheim-Verlierer lachte. Und neben Joshua Kimmichs wuchtigem Kopfball ist es vor allem Tuchel, der die Münchner rettet. Mit seiner Aufstellung und seiner taktischen Marschroute.

Das Gesicht des Champions

"Das Halbfinale ist ein wichtiger Schritt", freut sich Tuchel anschließend am DAZN-Mikrofon. "Die Disziplin, die wir an den Tag gelegt haben, war entscheidend dafür, dass wir heute gewonnen haben und in die nächste Runde einziehen." Gerade an solchen Abenden in der Champions League sehe man, "wozu wir imstande sind. In der Liga haben wir es nicht so oft geschafft. Was die Gründe dafür sind, das ist schwer zu sagen jetzt gerade." Und kommt dann in ein paar Wochen das Finale gegen Borussia Dortmund? "Dortmund und wir müssen unsere Hausaufgaben machen - ich hätte nichts dagegen", sagt der Trainer.

Statt Thomas Müller bringt Tuchel Raphael Guerreiro, einen seiner Lieblingsspieler. Damit stellt er etwas defensiver als im Hinspiel auf links auf, um die starke rechte Seite von Arsenal mit Bukayo Saka und Ben White einzudämmen. Der Plan geht auf, Saka kann nicht den Hauch der Gefahr aus der Partie in London auf den Platz bringen. Guerreiro wird das Spiel über immer stärker, leitet mehrere gefährliche Konter ein, so auch die beste Chance der Münchner in der ersten Hälfte, als er in der 23. Minute links Noussair Mazraoui mitnimmt, dessen Schuss abgefälscht knapp an den Pfosten trudelt. Schließlich liefert der Portugiese noch die butterweiche Vorlage für Kimmichs Kopfballtor.

"Thomas Tuchel hat das exzellent gemacht", sagt nach dem Sieg Bayern-Präsident Herbert Hainer in den Katakomben und kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus: "Das war eine taktische Meisterleistung." Was er meint: Die Münchner stehen vor allem in der ersten Hälfte tief, überlassen Arsenal den Ball, machen die Räume extrem eng, verteidigen bissig und setzen auf schnelle, schnörkellose Konter.

"Konni hat an Ödegaard geklebt"

Die Taktik geht auf: Der Powerfußball (zweitbeste Offensive Englands, ein Tor weniger als Manchester City) der Gunners verpufft. Saka, Kai Havertz und Co. werden komplett aus dem Spiel genommen, Martin Ödegaard hat zwar ein paar Momente, aber beim Lenken des Spiels wird er von Leon Goretzka und Konrad Laimer so sehr genervt, dass er nach der Partie in Badelatschen äußerst frustriert und wortkarg nur für wenige Minuten vor die Presse schlurft. "Ich bin stolz auf die Mannschaftsleistung, auch auf Konrad Laimer", erklärt Tuchel. "Wir haben es natürlich im Block verteidigt, aber Konni hat wirklich an Ödegaard geklebt und einen halben Manndecker gespielt."

Nachdem im Hinspiel das Duell teilweise vogelwild in beide Richtungen hin und her schwappte, wollte Taktikliebhaber Tuchel diesmal eine klare Ordnung. Disziplin statt Hurra-Fußball. Alles andere war dem Trainer zu gefährlich. Bezeichnenderweise kommen die Gunners in der 88. Minute zur ersten echten Chance der zweiten Halbzeit. Statt ins offene Messer zu laufen, lieber abwarten und dann einmal zustechen. Genauso klappt es an diesem Abend für den Rekordmeister.

Natürlich mag manch ein Fan enttäuscht auf den Platz, den TV oder das Tablet geschaut haben: Mia san mia sieht schließlich anders aus und die Zeiten, als die Bayern (fast) jeden Gegner dominieren konnten (auch spielerisch), sind vorbei. Besonders im Vergleich zum Dortmunder Sieg gegen Atlético am Dienstagabend, als der BVB den Signal Iduna Park rockte und jeden Einzelnen emotional mitriss - dank Leidenschaft und Furore auf dem Platz, wirkt die Partie auf dem kalt-nassen Münchner Rasen manchmal langweilig. Tuchels Team weiß oft nicht richtig, was es mit dem Ball anfangen soll, im zentralen Mittelfeld fehlen Kreativität und Überraschungsmomente. Nach Ballgewinnen kann hauptsächlich Jamal Musiala Chancen einleiten.

Viel Verhinderung, wenig Kreativität

Aber: Wer siegt, hat recht. Auch mit zerstörerischem Spiel kann man wie Inter Mailand 2010 die Champions League gewinnen. Ganz so schlimm ist es bei den Bayern aber nicht. Es ist Tuchels ganz eigene Schachpartie, die er jeden Tag einem spektakulären Boxkampf vorzieht und mit der man am Ende ins Halbfinale einzieht. "Die erste Halbzeit war ein Schachspiel beider Mannschaften, wer macht den ersten Fehler, wer den ersten Zug, wer opfert den ersten Bauer", sagt der Chefcoach später selbst. Er setzt Arsenal schachmatt, wechselt einfach dreist noch mehr Verteidiger, wenn sein Gegenüber Mikel Arteta Offensivkräfte bringt.

Mehr zum Thema

Toller Kampfgeist, geradlinige Spielweise, taktisch diszipliniert: Das hat der FC Bayern in dieser Saison in wichtigen Spielen selten auf den Rasen gebracht. Der Sieg gegen Arsenal zeigt, dass Tuchel seine Mannschaft noch erreicht und dass - mit einer Steigerung im spielerischen Bereich - auch Real Madrid nicht unschlagbar ist auf dem Weg ins Endspiel. Immerhin nach dem Kimmich-Treffer gelingen den Münchnern ein paar Minuten Power-Fußball mit mehreren Chancen, wenngleich kein weiteres Tor mehr fallen will.

Ein Aus im Viertelfinale hätte das bittere Ende einer dann wirklich albtraumhaften Saison bedeutet. Doch Tuchel rettet mit dem Sieg nicht nur seinen in Seenot befindenden Klub, sondern auch sich selbst. Seine Reputation. Zwar konnte er mit dem FC Chelsea 2021 die Champions League gewinnen, aber nur anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt musste er gehen. Der Taktiker hat Schaden genommen nach den Debakeln in dieser Spielzeit und ist sich bewusst, dass eine Saison in München ganz ohne Titel seinen Ruf gefährden kann. Diesen hat er nun zumindest teilweise wiederhergestellt. Der Henkelpott würde da sicherlich noch mehr helfen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen