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Aus Zweitligist wird Top-Team Wie Aston Villa die Premier League ins Abseits stellt

Zuhause nicht zu stoppen: Aston Villa.

Zuhause nicht zu stoppen: Aston Villa.

(Foto: IMAGO/PA Images)

Aston Villa hat in den vergangenen zwei Spielen Manchester City und Arsenal geschlagen. Der 2019 in die Premier League zurückgekehrte Klub ist Dritter der besten Liga der Welt. Was ist da los? Maßgeblich beteiligt am Höhenflug: ein Euroleague-Dauersieger, zwei Ex-Leverkusener und das gute alte Abseits.

Noch im Sommer 2016 könnten die sportlichen Realitäten von Aston Villa und Unai Emery nicht weiter voneinander entfernt sein. Aston Villa ist soeben chancenlos aus der Premier League abgestiegen. Auf dem letzten Platz verabschiedet sich der Europapokalsieger von 1982 aus dem englischen Oberhaus.

Unai Emery hingegen ist ganz oben angekommen. Als neuer Zirkusdirektor in Paris soll er das Milliarden-Ensemble endlich zum Erfolg in der Königsklasse treiben. Er kommt mit der Empfehlung von drei Euroleague-Trophäen in drei Jahren aus Sevilla. Doch in Paris reißt die Glückssträhne des Spaniers. Im ersten Jahr scheitern die Stars aus der französischen Hauptstadt dramatisch am FC Barcelona (die Katalanen biegen ein 0:4 aus dem Hinspiel dank eines 6:1-Sieges im Rückspiel noch um), in der darauffolgenden Spielzeit lässt Real Madrid Emerys Team keine Chance (1:3, 1:2). Und nicht nur international läuft es bescheiden.

2016/17 gewinnt mit der AS Monaco (angeführt von einem vielversprechenden Teenager mit Namen Kylian Mbappé) sogar ein anderes Team die französische Liga. Der Meistertitel im folgenden Jahr kann Emery nicht mehr retten. Bereits nach zwei Jahren ist Schluss. Gekommen als der ewige Europa-League-Sieger, umweht Emery spätestens jetzt auch der st.-germain'sche Nimbus des ewigen Scheiterns in der Königsklasse. Denn die Achtelfinals mit PSG waren Emerys Zenit, weiter hatte er es im Wettbewerb von Europas Besten nie geschafft. 2010/11 gelang ihm mit Valencia ebenfalls der Einzug in die erste K.-o.-Runde, drei weitere CL-Saisons endeten schon in der Gruppenphase.

Nachfolger der Sagengestalt

Zum ersten und letzten Aufeinandertreffen zwischen Unai Emery und Aston Villa kommt es am 22. September 2019. Mit drei Jahren Anlauf war Villa im Sommer endlich in die Premier League zurückgekehrt - und fernab des grünen Rasens vollständig in den Besitz der Milliardäre Nassef Sawiri und Wes Eden, genauer gesagt ihrer Firma NSWE übergegangen. Emery heuerte als direkter Nachfolger der Londoner Sagengestalt Arsène Wenger bei Arsenal an. Die "Gunners" gewinnen die Partie mit 3:2, Emery wird kurze Zeit später dennoch entlassen. Aston Villa vermeidet auf Platz 17 am Ende der Saison nur knapp den direkten Wiederabstieg.

Emery fiel womöglich vor allem den gigantischen Fußstapfen seines Vorgängers zum Opfer, doch nach der Trennung von Arsenal ist die Tür der ganz großen Klubs Europas für ihn erst einmal zu. Seine nächste Station sieht daher wie ein Rückschritt aus. Es zieht ihn in seine spanische Heimat, genauer, zum FC Villarreal. In seiner ersten Saison gewinnt er mit dem Klub im Sommer 2021 die Europa League. So weit, so Emery. Im Halbfinale schlägt er den FC Arsenal, das Finale gegen Manchester United entscheidet das Team erst im Elfmeterschießen für sich. Es ist nicht nur der erste internationale Pokal, es ist der erste Titel den Villarreal überhaupt jemals gewonnen hat (wenn man Siege im UI-Cup mal außen vor lässt.)

Emery schlägt "einen der besten der Welt"

Damit ist auch klar: Emery erlebt eine weitere Champions-League-Saison. Und was für eine. Nach überstandener Gruppenphase schaltet Villarreal Juventus Turin aus. Im Viertelfinale wartet der FC Bayern. Unai Emery zeigt sich begeistert vom neuen Coach der Münchener, Julian Nagelsmann. Er bezeichnet ihn als "einen der besten Trainer der Welt", lobt die "überrollende fußballerische Jugend" die er mit seiner Mannschaft verkörpert - und wirft ihn aus dem Turnier. Die internationale Presse ist sich einig: Emery hat Nagelsmann ausgecoacht. Erst im Halbfinale ist Schluss. Der FC Liverpool ist eine Nummer zu groß. Die Königsklasse offensichtlich nicht mehr.

"Einen Teil meines Herzens wiedergefunden", hat Emery laut eigener Aussage in Villarreal. Diese Worte fallen nicht etwa auf der Titelfeier des Europa-League-Triumphs oder nach dem Halbfinal-Coup in der Königsklasse, sondern bei seinem Abschied. Emery wird nicht entlassen, sondern abgeworben. Nach der überragenden Arbeit, die er in Spanien abliefert, bedient Aston Villa im Oktober 2022 eine Ausstiegsklausel in Emerys Vertrag. Nachdem er in Villarreal die Grenzen des Möglichen verschoben hat, wechselt er für sechs Millionen Euro zum Tabellen-Vierzehnten der Premier League.

Der Schlüssel zur Stadt

Der hatte sich eigentlich schon einen großen Namen gesichert. Mit Steven Gerrard heuerte rund ein Jahr zuvor die einstige Liverpool-Legende als Trainer an. Befeuert von seinen guten Leistungen als Coach der Glasgow Rangers, war Gerrards Name auch schon rund um die Anfield-Road zu hören, als zukünftiger Nachfolger von Jürgen Klopp. Doch der Zwischenschritt wurde zum Stolperstein. 40 Spiele lang steht Gerrard an der Seitenlinie, kommt im Schnitt gerade einmal auf 1,18 Punkte. Die Hoffnung, dass der einstige Weltklasse-Mittelfeldspieler auch ein Top-Trainer wird, erhält einen herben Dämpfer. Zurzeit trainiert Gerrard in Saudi-Arabien. Und so sichert sich Aston Villa den ersehnten großen Namen mit einem Jahr Verspätung.

Die bereits angesprochenen Nassef Sawiri und Wes Edens scheinen sich bei den Branchengrößen aus Liverpool und Manchester (also City), ein erfolgreiches Rezept abgeschaut zu haben. Verpflichte einen Top-Trainer, gib ihm den Schlüssel zur Stadt - und warte. Stück für Stück lässt der Klub die Strukturen nach den Wünschen des neuen Übungsleiters umbauen. Noch vor seinem ersten Arbeitstag ruft Unai Emery Damian Vidagany an, mit dem er bereits in Valencia zusammengearbeitet hat. Vidagany soll Emerys Assistent werden. Ohne das Gehalt oder seine Rolle zu kennen, sagt er zu. Die ändert sich auffällig häufig.

Denn vom Assistenten des Trainers wird er zunächst "Chief of staff", mittlerweile ist er als "Aston Villas Director of Football" sogar essenzieller Bestandteil der Klub-Führung. Dabei versteht Vidagany seinen Job immer noch so wie in seinen Anfangstagen. "Jeder hier weiß, dass ein starker Trainer einen starken Klub ausmacht. Also ist es meine Aufgabe, mit jedem in Kontakt zu bleiben. Vom Eigentümer, zur Akademie, zum Zeugwart", sagt er "The Athletic". Innerhalb des Klubs ist er beliebt, seine Vergangenheit als Journalist sichert ihm auch unter den Medien eine gewisse Reputation.

"Messi der Sportdirektoren"

Dazu gesellt sich seit diesem Sommer auch Ramon Rodriguez "Monchi" Verdejo, der bereits als Sportdirektor des FC Sevilla sehr erfolgreich mit Emery gearbeitet hat. Beim andalusischen Klub entwickelte er die Jugendarbeit weiter, unter anderem Sergio Ramos und Jesus Navas werden in seiner Ära zu Profis. Monchis Scouts entdeckten Nationalspieler wie Dani Alves, Carlos Bacca oder Kevin Gameiro. Jose Castro, Präsident des FC Sevilla, nennt ihn den "Messi der Sportdirektoren". Denn unter seiner Führung streicht der Verein hohe Ablösesummen für selbst entwickelte oder entdeckte Spieler ein, bleibt aber dennoch sportlich erfolgreich.

Martinez bejubelte die Auszeichnung als bester Torhüter der WM auf ganz ... eigene Weise.

Martinez bejubelte die Auszeichnung als bester Torhüter der WM auf ganz ... eigene Weise.

(Foto: REUTERS)

Hohe Ablösesummen kennen auch die Eigentümer Aston Villas nicht nur vom Hörensagen. Für seinen Wunschspieler Moussa Diaby bricht Villa den Transferrekord. 55 Millionen Euro überweist der Klub an Bayer Leverkusen. Doch keinesfalls ist der Aufschwung Villas mit der Verpflichtung von Stars zu erklären. Die ganz großen Namen bietet der Kader nicht. Ex-Bayern-Zauberfuß Philippe Coutinho wurde nach Katar abgegeben. Bekanntester Spieler ist wohl Emiliano Martínez, Torhüter der argentinischen Nationalmannschaft (genau, der von dem vieldiskutierten Foto nach dem Finale).

Die Abseitsfalle raubt der Liga die Nerven

Neben Diaby steht mit Leon Bailey noch ein weiterer Ex-Leverkusener im Kader. Unter Emery scheint er in dieser Saison an seine Werkself-Form anknüpfen zu können. Ohnehin verhilft Emery etlichen Spielern zum überall gewünschten "nächsten Schritt". Douglas Luiz, der brasilianische Sechser und Ollie Watkins, ein englischer Stürmer, der nach 16 Ligaspielen bei 16 Torbeteiligungen steht, ragen besonders heraus.

Den ganzen Klub auf Unai Emery und seine Vertrauten zuzuschneiden, ist ein Wagnis. Angesichts der finanziell limitierten Mittel im Vergleich zur Ligaspitze aber wahrscheinlich eines, das Villa akzeptieren muss. Und auch auf dem Feld zeigt sich das Team risikofreudig. Die Mannschaft verteidigt enorm hoch, verlässt sich immer wieder auf ihre Abseitsfalle. In dieser Spezialdisziplin ist schon jetzt europaweit niemand besser. Reihenweise laufen die gegnerischen Stürmer gegen Villa in die verbotene Zone. Tottenham-Stürmer Heung-Min Son erzielt Ende November im Duell mit der aufrückfreudigen Abwehr drei Tore - alle werden wegen Abseits aberkannt.

"Das werde ich nie wieder erreichen"

Dritter in der Liga, in der Conference League souverän in die K.-o.-Runde eingezogen: Die einzige Negativschlagzeile der Saison liefern bisher die Trikots. Die Spieler beschweren sich darüber, dass sie zu viel Schweiß aufsaugen würden, und schon nach zehn Minuten klitschnass seien. Sorgen, die sie bei Manchester United oder dem FC Chelsea gerne hätten.

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United hat acht Punkte Rückstand auf Aston Villa, Chelsea ist 17 Punkte hintendran. Der Erfolg Villas macht den Mangel an Kompetenz der beiden Premier-League-Problemkinder überdeutlich. Übers gesamte Kalenderjahr 2023 hat sogar nur Manchester City mehr Punkte gesammelt als die Elf von Unai Emery. Pep Guardiolas Weltauswahl verliert kürzlich mit 0:1 im Villa Park, eine Woche später muss auch der FC Arsenal mit null Punkten aus Birmingham abreisen.

Es ist der 15. Heimsieg in Folge. Es ist Rekord für den Klub, nur Sir Alex Fergusons Manchester United, Pep Guardiolas Manchester City und Jürgen Klopps FC Liverpool gelangen mehr aufeinanderfolgende Siege im eigenen Wohnzimmer. Die historische Dimension ist auch dem Trainer bewusst. "Das habe ich noch nie erreicht und werde es in meiner Zukunft als Trainer auch nie wieder", gibt Emery angesprochen auf die fantastische Serie zu Protokoll. Passenderweise soll das Stadion demnächst ausgebaut werden. Bei dem märchenhaften Aufstieg Aston Villas sollte der Verein keine Probleme damit haben, die neuen Plätze zu füllen.

Quelle: ntv.de

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