Collinas Erben

"Collinas Erben" ziehen den Hut Aufrichtiger Aytekin besänftigt sogar Streich

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Während der VAR-Überprüfung bilden Schiedsrichter Aytekin und einige Spieler einen Diskussionkreis.

Während der VAR-Überprüfung bilden Schiedsrichter Aytekin und einige Spieler einen Diskussionkreis.

(Foto: imago images/Jan Huebner)

In Freiburg erzielt Mainz ein Abseitstor, was jedoch weder das Schiedsrichterteam noch der VAR erkennt. Der Unparteiische räumt diesen seltenen Fauxpas anschließend unumwunden ein. Durch eine technische Weiterentwicklung wird es bald wahrscheinlich nicht mehr zu einem solchen Fehler kommen.

Ungewöhnliches und Seltenes trug sich am Samstagnachmittag in der Partie zwischen dem SC Freiburg und dem 1. FSV Mainz 05 (1:1) zu. Etwas mehr als eine halbe Stunde war gespielt, als der Mainzer Aaron eine weite Flanke in den Strafraum der Hausherren schlug. Sein Teamkollege Dominik Kohr köpfte den Ball an der Torraumgrenze auf das Gehäuse der Gastgeber, Torwart Mark Flekken wehrte den Ball reaktionsschnell ab, allerdings nicht weit genug. Die Kugel gelangte erneut zu einem Mainzer, nämlich Alexander Hack, der Flekken erst zur nächsten Parade zwang, bevor er den Ball beim zweiten Versuch im Kasten unterbrachte. Die Gäste jubelten, während die Freiburger bei Schiedsrichter Deniz Aytekin protestierten.

Sie wollten ein strafbares Handspiel von Dominik Kohr wahrgenommen haben, den Hack bei seinem ersten Torschussversuch unfreiwillig als Bande benutzt hatte. Womöglich reklamierten sie außerdem ein Foulspiel von Moussa Niakhaté an Philipp Lienhart nach Aarons Flanke. Oder eines von Hack an Keeper Flekken. Zwar stellte sich nichts davon als Regelwidrigkeit heraus, nicht das vermeintliche Handspiel und erst recht nicht die beiden Körpereinsätze. Doch Video-Assistent Sascha Stegemann war eine Weile mit der pflichtgemäßen Überprüfung des Treffers beschäftigt. Am Ende gab er Aytekin grünes Licht - zu Unrecht.

Aytekin räumt den Fehler unumwunden ein

Denn bei Kohrs Kopfball hatte sich Hack in einer Abseitsposition befunden, und die wurde in dem Moment strafbar, als Flekken den Ball zu ihm abwehrte. Eine solche Parade, die man regeltechnisch als Torverhinderungsaktion bezeichnet, hebt eine Abseitsstellung nämlich nicht auf; wenn der Ball dadurch zu einem Spieler gelangt, der sich bereits beim Torschuss im Abseits befand, dann muss dieses Abseits geahndet werden. Doch weder dem Schiedsrichterteam auf dem Feld noch dem VAR in Köln fiel auf, dass Hack der Torlinie näher war als der vorletzte Freiburger Abwehrspieler.

Dieses Versäumnis räumte Referee Aytekin im Interview des Senders Sky auch unumwunden ein. Bei der Überprüfung durch VAR Stegemann habe "der Fokus komplett auf Handspiel" gelegen, sagte er. Das sei ja auch der Anlass für die Freiburger Proteste gewesen. Die Abseitsstellung habe man weder auf dem Rasen noch in der Videozentrale bemerkt, obwohl Torschütze Hack beim Kopfball von Kohr eindeutig im Abseits gewesen sei und sich durch die Parade von Flekken keine neue Spielsituation ergeben habe, wie der Unparteiische bestätigte. "Es ist uns durchgerutscht", bedauerte Aytekin. "Das ist ärgerlich, das Tor hätte nicht zählen dürfen."

Sogar Christian Streich übt Nachsicht

Alexander Hack trifft zum 1:0.

Alexander Hack trifft zum 1:0.

(Foto: imago images/Jan Huebner)

Es zeugt von Größe, in einer solch unangenehmen Situation vor die Kamera zu treten, offen einen Fehler einzugestehen und sich dabei gleichzeitig vor sein Team zu stellen. Aytekins Renommee bei den Bundesligaklubs ist glänzend, auch weil er neben seinen vorzüglichen Leistungen auf dem Feld die Schiedsrichtergilde in der Öffentlichkeit immer wieder sehr gut repräsentiert und dabei das offene Wort nicht scheut. Sein Kollege Sascha Stegemann, ebenfalls FIFA-Referee, ist ein international erfahrener und geschätzter Video-Assistent. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem solchen Gespann ein derartiger Fauxpas unterläuft, ist äußerst gering. Wohl auch deshalb hielt sich der Groll selbst bei Christian Streich in Grenzen.

Der Freiburger Trainer sagte nach dem Spiel, "solche Fehler" kämen nun einmal vor. "Man denkt dann immer, es kann doch nicht sein, dass so was passiert, aber man selbst hat ja auch schon solche Fehler gemacht und kann sich nachher nicht erklären, warum." Torschütze Hack sei zwar so positioniert gewesen, "dass man logisch an Abseits denkt", fand Streich verständlicherweise. "Aber dadurch, dass die Hand überprüft wurde, haben sie das vergessen. Das ist dann so." Er finde es gut, dass Deniz Aytekin "sich einfach entschuldigt hat und sich gewissermaßen für seine Kollegen hingestellt hat", lobte der Coach. "So macht man das."

FIFA testet halbautomatische Abseitstechnologie

Und womöglich ist der Zeitpunkt nicht fern, zu dem ein solcher - in jeder Hinsicht menschlicher - Fehler nicht mehr passiert, weil die Technik ihn auffängt. Bei der Klub-Weltmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die am Samstag mit dem Finale zwischen dem FC Chelsea und Palmeiras São Paulo zu Ende ging, testete die FIFA jedenfalls erneut die halbautomatische Abseitstechnologie. Schon beim Arab Cup im Dezember des vergangenen Jahres war sie zum Einsatz gekommen. "Halbautomatisch" heißt: Das System erkennt in Echtzeit eine Abseitsstellung als solche; ob das Abseits strafbar ist, muss in bestimmten Fällen weiterhin das Schiedsrichterteam entscheiden.

Bei dieser Abseitstechnologie werden, wie die FIFA erklärt, zehn zusätzliche Kameras am Stadiondach installiert, die sowohl den Ball als auch jeweils 18 Punkte am Körper jedes Spielers erfassen. Damit soll sich deren Position auf dem Feld zu jeder Zeit exakt bestimmen lassen. Die neue Technologie soll erheblich genauer sein als die manuelle Abseitsbestimmung anhand von Frames und Perspektiven der Fernsehkameras mit dem Anlegen der kalibrierten Linien durch den VAR. Eine Abseitsstellung soll sofort und automatisch an den Video-Assistenten gemeldet werden, der diese Information dann verarbeiten kann, einschließlich einer Weitergabe an den Referee.

Kommt die neue Abseitstechnik auch in der Bundesliga?

Wenn die Technik funktioniert, dürften sich die Abseitsüberprüfungen nach Toren also erheblich beschleunigen. Ein minutenlanges Warten bei besonders knappen Abseitsentscheidungen gäbe es dann nicht mehr. In einer Situation wie jener in Freiburg würde der VAR vom System ein Signal erhalten, dass ein Spieler im Abseits war und auch den Ball gespielt hat. Bei Spielern wiederum, die in einer Abseitsposition den Ball nicht berühren, aber womöglich einen Gegner beim Kampf um den Ball beeinflussen, würde die Abseitsstellung als solche gemeldet, und der Unparteiische müsste wie bisher selbst entscheiden, ob tatsächlich eine Beeinflussung vorliegt.

Für die Schiedsrichter dürfte diese Technologie eine ähnliche Hilfe sein wie die Torlinientechnik. Die FIFA plant, sie auch bei der Weltmeisterschaft in Katar Ende des Jahres einzusetzen, dann sollen die Kameras sogar bis zu 29 Punkte an den Körpern der Spieler erfassen können. Sollte alles funktionieren wie gewünscht, dürften auch zumindest die großen Ligen die halbautomatische Abseitstechnologie einführen. Der früheste Zeitpunkt für die Bundesliga wäre der Beginn der Saison 2023/24.

Quelle: ntv.de

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