"Collinas Erben" sind sich sicher Feulner zornig, FC Bayern bleibt gelassen
14.09.2015, 09:37 Uhr

Markus Feulner hatte nach der Strafstoßentscheidung 'nen richtigen Hals.
(Foto: imago/MIS)
In München irrt der Linienrichter so klar und entscheidend, dass sein Chef später um Verzeihung bittet. Sein Kollege in Gelsenkirchen macht derweil auch in komplizierten Situationen alles richtig. Nur die Eckfahne ist am Boden zerstört.
Am Ende waren sich alle einig: Das war nie und nimmer ein Strafstoß! Die Augsburger, die nach dem Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Knut Kircher kurz vor dem Ende ihres Spiels in der Fußball-Bundesliga beim FC Bayern München mit leeren Händen nach Hause fahren mussten, drückten sich dabei naturgemäß am deutlichsten aus. "Das war eine katastrophale Entscheidung, wir sind beschissen worden", sagte ihr Trainer Markus Weinzierl, von einem "absoluten Witz" sprach Alexander Esswein, der die Gäste in Führung gebracht hatte.
Beim Rekordmeister sahen sie die Dinge ganz ähnlich, wählten nur etwas diplomatischere Worte. "Man kann verstehen, dass der Gegner protestiert", kommentierte Kapitän Philipp Lahm die Strafstoßentscheidung, die den Münchnern doch noch den Sieg ermöglicht hatte. Auch Trainer Pep Guardiola räumte ein: "Ich habe schon klarere Elfmeter gesehen." Selbst der Unparteiische mochte, nachdem er sich die Szene noch einmal im Fernsehen angeschaut hatte, nicht verteidigen, was er in der 88. Minute beschlossen und verkündet hatte, als Bayerns Flügelflitzer Douglas Costa bei seinem erfolglosen Versuch, durch den Augsburger Markus Feulner in dessen Strafraum einfach hindurchzurennen, abgeprallt und zu Boden gegangen war.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
"Wir sind als Schiedsrichter Menschen und machen Fehler", bat Knut Kircher um Nachsicht. "Wenn man das im Nachhinein so sieht und wahrnimmt, bricht einem kein Zacken aus der Krone, sorry zu sagen." Er habe sich in der fraglichen Situation auf die Strafraummitte konzentriert, den Zusammenstoß zwischen Costa und Feulner daher nur "aus dem Augenwinkel heraus" wahrgenommen und sich deshalb ganz auf seinen Assistenten Robert Kempter verlassen. Dieser hatte freie Sicht und signalisierte ohne zu zögern: Foul, Elfmeter. Thomas Müller verwandelte zum 2:1-Endstand.
Kempter weiß es auch nicht
Kempter, der als Assistent seit sieben Jahren in der Bundesliga unterwegs und an der Linie sonst einer der Besten ist, war sich seiner Sache so sicher, dass er seine Einschätzung sogar offen mit der Fahne anzeigte – und nicht bloß diskret über das Headset mitteilte. Dadurch erhöhte sich der Handlungsdruck auf Kircher ganz erheblich. Der Referee erklärte den Prozess der Entscheidungsfindung später so: "Wenn etwas Unauslegbares auf dem Spielfeld passiert, das der Assistent sieht, dann hat er das per Fahnenzeichen anzuzeigen." In diesem Fall sei es aus Kempters Sicht klar gewesen, dass Feulner seinen Gegenspieler gerempelt und somit ein Foul begangen habe. "Da lag er falsch, da lag ich dann auch falsch – weil ich der Chef auf dem Feld bin – mit dieser Entscheidung, die letztlich von mir übernommen wurde", gab Kircher unumwunden zu. "Wir halten als Team den Kopf hin. Er hat mir in hundert anderen Situationen den Hintern gerettet. Jetzt lag er einmal daneben."
Was die Entscheidung des Assistenten wesentlich beeinflusst haben dürfte, war, dass Feulner die Arme schützend vor seinen Körper riss und sich ein wenig zur Seite drehte, um vom geradewegs mit Tempo auf ihn zulaufenden Costa nicht frontal getroffen zu werden. Aus Robert Kempters Perspektive an der Seitenlinie sah diese erlaubte Bewegung offenbar aus wie ein gezielter, verbotener Rempler, mit dem der Münchner Stürmer am Weiterlaufen gehindert werden sollte. Feulner konnte sich jedoch, wie er selbst richtig sagte, "nicht einfach in Luft auflösen". Und unabsichtlich im Weg zu stehen, ist nach den Regeln nicht verboten. Weiterspielen wäre somit die richtige Entscheidung gewesen.
Schalke: Kung-Fu nach dem Siegtreffer
Anders lag der Fall beim Spiel zwischen dem FC Schalke 04 und dem 1. FSV Mainz 05 in einer Situation, die der in München auf den ersten Blick ähnelte: Als der Mainzer Danny Latza in der 41. Minute den Schalker Franco di Santo bei einem schnellen Konter der Gastgeber zu Fall brachte, hatte er sich nicht einfach nur weggedreht, sondern seinen Laufweg bewusst abrupt unterbrochen, um di Santo mit seinem Körper zu blockieren. Die Gelbe Karte durch Schiedsrichter Robert Hartmann war daher korrekt.
Auch beim Mainzer Ausgleichstreffer zum 1:1 lag der Unparteiische goldrichtig. Zwar stand Yoshinori Muto im Abseits, als sein Mitspieler Christian Clemens den Ball an den Pfosten setzte, bevor Yunus Malli die Kugel schließlich ins Tor der Hausherren beförderte. Doch obwohl sich Muto zum Ball bewegte und der Schalker Torhüter Ralf Fährmann in seiner Nähe war, griff der Mainzer weder den Keeper im Kampf um den Ball an noch beeinflusste er ihn auf eine andere ahndungswürdige Art und Weise. Somit war das Tor regulär – eine nicht leicht zu treffende Entscheidung.
Dass die Schalker schließlich doch noch gewannen, hatten sie Klaas-Jan Huntelaar zu verdanken, der in der vierten Minute zwar einen – berechtigten – Strafstoß verschoss, dafür jedoch nach einer Stunde das Siegtor für seine Farben erzielte. Seiner Freude verlieh der Niederländer in recht kurioser Form Ausdruck, nämlich mit einem Kung-Fu-Tritt gegen die Eckfahne, die daraufhin prompt entzweibrach. Mancher Beobachter fragte sich, ob es für diese Form der Sachbeschädigung nicht die Gelbe Karte hätte geben sollen.
Tatsächlich sieht die Regel 12 (verbotenes Spiel und unsportliches Betragen) für übertriebenen Torjubel eine Verwarnung vor. Ausdrücklich genannt werden dabei: provozierende, höhnische und aufhetzende Gesten, das Erklimmen des Zaunes, das Ausziehen des Trikots sowie das Bedecken des Gesichts mit einer Maske oder Ähnlichem. Ein Fußtritt gegen etwas, das zum Stadioninventar gehört, wird dort nicht erwähnt, doch es ließen sich gewiss Argumente finden, ihn mit einer Gelben Karte zu sühnen. Vielleicht könnte man aber auch einfach den umgekehrten Weg gehen und alle Formen von Freudenbekundung zulassen, durch die niemand verhöhnt, gedemütigt oder aufgestachelt wird. Letztlich ist es ja nicht einzusehen, warum es für einen Tritt gegen die Eckfahne die gleiche Strafe geben sollte wie für einen Tritt gegen ein Schienbein.
Quelle: ntv.de