Collinas Erben

"Collinas Erben" sind zufrieden Hertha verliert - und lobt Schiri Ittrich

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Patrick Ittrich bewältigte den Berg Arbeit im Berliner Olympiastadion mehr als zufriedenstellend, auch wenn das auf dem Feld nicht jeder Spieler sofort einsehen wollte.

Patrick Ittrich bewältigte den Berg Arbeit im Berliner Olympiastadion mehr als zufriedenstellend, auch wenn das auf dem Feld nicht jeder Spieler sofort einsehen wollte.

(Foto: IMAGO/Nordphoto)

In Berlin hat der Unparteiische in einer emotionalen und für die Gastgeber sehr bedeutenden Partie mehrere enge und schwierige Entscheidungen zu treffen. Doch diese Aufgabe erledigt er mit viel Souveränität. Selbst von der Hertha, die das Spiel verliert, gibt es hinterher Lob.

Zweifellos hat Patrick Ittrich bei seinen bisherigen 62 Einsätzen als Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga schon ereignisärmere und leichtere Spiele geleitet als jenes am Samstagabend im Berliner Olympiastadion zwischen Hertha BSC und dem 1. FSV Mainz 05 (1:2). Der 43-jährige, im Hauptberuf Polizeibeamter, musste im Verbund mit seinen Assistenten auf dem Feld und in der Kölner Videozentrale in dieser Partie eine ganze Fülle von kniffligen Szenen bewerten. Und das vor über 70.000 Zuschauern in einer Begegnung, die vor allem für die abstiegsbedrohten Gastgeber von eminenter Bedeutung war. Eine Analyse der wichtigsten Entscheidungen in chronologischer Abfolge.

35. Minute: Der Mainzer Anton Stach zieht beim Stand von 1:0 für sein Team aus 22 Metern ab, der Ball schlägt in der von ihm aus gesehen rechten unteren Ecke des Hertha-Tores ein. Doch der Jubel der Gäste währt nur ganz kurz, denn Schiedsrichter-Assistent Sascha Thielert hebt die Fahne: Leandro Borreiro befand sich beim Torschuss im Abseits und beeinflusste dadurch den Berliner Torwart Marcel Lotka in dessen Möglichkeit, den Ball zu spielen, so Thielerts Urteil, dem sich Ittrich anschließt. Der Treffer zählt deshalb nicht.

Ein Assistent mit Adleraugen

Vor allem die Wiederholung aus der Hintertorperspektive zeigt, dass die Entscheidung korrekt ist. Barreiro befand sich wenige Meter vor Lotka in einer Abseitsposition, verdeckte für einen kurzen, aber entscheidenden Moment die Sicht des Keepers auf den Ball und unternahm zudem eine Ausweichbewegung vom Ball weg. Damit wurde er, um es in der Sprache des Regelwerks zu formulieren, eindeutig aktiv und beeinträchtigte so den Schlussmann der Hausherren, der auch erkennbar verzögert reagierte und keine Chance mehr hatte, an den Ball zu kommen.

Aus dem seitlichen Blickwinkel des Assistenten ist es schwierig zu bewerten, ob dem Torwart die Sichtlinie versperrt wird und inwieweit ihn eine Bewegung des Spielers im Abseits tatsächlich beeinflusst. Oft werden Tore wie jenes der Mainzer zunächst gegeben und erst nach der Intervention des VAR und einem On-Field-Review annulliert. Doch Thielert gehört zu den Besten seines Fachs und verfügt nicht nur über die Erfahrung von 360 Spielen als Assistent in den ersten beiden deutschen Ligen, sondern auch über ein sehr gutes Gespür für Spielsituationen, gerade beim Abseits. Entsprechend hoch ist seine Trefferquote auch bei schwierigen Entscheidungen.

Berechtigter Elfmeter für die Hertha

45+1. Minute: Der Berliner Marton Dardai schlägt den Ball bei einem Eckstoß vor das Tor der Mainzer, mehrere Spieler gehen zum Ball, die Gäste klären die Situation. Der Kapitän der Hertha, Dedryck Boyata, geht jedoch zu Boden und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den linken Fuß. Das Getümmel vor dem Mainzer Gehäuse war unübersichtlich, doch eine Überprüfung der Szene durch Video-Assistent Tobias Welz bringt den Grund für Boyatas Leiden ans Licht: Moussa Niakhaté war seinem Gegenspieler mit dem Fuß auf die linke Ferse gestiegen, aus diesem Grund kam Boyata auch nicht zum Kopfball.

Referee Ittrich, der den Tritt auf dem Feld nicht wahrnehmen konnte, schaut sich die Bilder am Monitor in der Review Area selbst noch einmal an und erkennt dann auf Strafstoß. Zu Recht, denn auch wenn es sich nicht um eine absichtliche Aktion von Niakhaté handelte, war sie doch ein Foulspiel, durch das Boyata daran gehindert wurde, in Tornähe an den Ball zu kommen. Der Mainzer Trainer Bo Svensson, der vehement protestiert, bekommt von Ittrich am Spielfeldrand erst eine Erklärung für die Entscheidung, dann wird er verwarnt. Es ist bereits die siebte Gelbe Karte für den Coach in dieser Saison. Den Elfmeter verwandelt Davie Selke zum 1:1.

Bo Svensson (r.) sieht schon wieder die Gelbe Karte.

Bo Svensson (r.) sieht schon wieder die Gelbe Karte.

(Foto: IMAGO/Matthias Koch)

52. Minute: Zum zweiten Mal an diesem Abend wird ein Mainzer Treffer annulliert. Karim Onisiwo setzt sich im Strafraum der Gastgeber gegen Marc-Oliver Kempf durch und schießt den Ball ins Tor, zuvor hat er aber im Zweikampf den Ball sowohl mit der linken Hand als auch mit dem rechten Oberarm kurz berührt. Ob absichtlich oder nicht, ist unerheblich, wenn der betreffende Spieler unmittelbar danach ein Tor erzielt - so ist es in den Regeln festgelegt. Referee Ittrich hat freien Blick auf die Situation und sieht die nicht leicht zu erkennenden Handspiele sofort. Er benötigt nicht die Hilfe des VAR, um dem Treffer die Anerkennung zu versagen.

Tousart hat Glück, Selke ist zu Unrecht entsetzt

72. Minute: Nach einer Flanke in den Strafraum der Hertha kommt es zu einem Kopfballduell zwischen dem Berliner Lucas Tousart und dem Mainzer Stefan Bell. Dabei trifft Tousart seinen hinter ihm befindlichen Gegenspieler beim Sprung zum Ball mit dem linken Arm im Gesicht. Beide Akteure verfehlen den Ball, den stattdessen der Mainzer Jonathan Burkardt bekommt und in die Arme von Torwart Lotka köpft. Ittrich lässt weiterspielen, Bell bleibt liegen und wird in der nächsten Unterbrechung behandelt.

Auf Empfehlung von VAR Tobias Welz kommt es zum zweiten Mal an diesem Abend zu einem On-Field-Review, doch Ittrich hält danach an seiner Entscheidung fest, keinen Strafstoß für Mainz zu geben. Für diesen Entschluss spricht, dass Tousart in einer natürlichen Bewegung zum Schwungholen war, sich nur zum Ball orientierte und keine Schlagbewegung ausgeführt hat; dagegen spricht, dass es nun einmal einen deutlichen Treffer im Gesicht von Bell gab. Insgesamt ist die Entscheidung, keinen Strafstoß zu geben, bei dieser Abwägung aber noch vertretbar.

90+1. Minute: Auch in der Nachspielzeit - die Mainzer führen inzwischen mit 2:1 - wird der Unparteiische noch einmal gefordert. Nach einer weiten Flanke von links in den Strafraum der Gäste köpft Davie Selke den Ball aus sieben Metern ins Tor, doch Patrick Ittrich hat die Partie schon mit einem Pfiff unterbrochen, bevor der Ball die Torlinie überquert hat. Denn Selke hat sich vor dem Kopfball gut sichtbar mit beiden Armen den nötigen Platz gegen Aaron verschafft und dem Mainzer einen Schubser versetzt. Das signalisiert der Referee dem entsetzten Herthaner auch gestisch, so macht er seine Entscheidung transparent.

Lob für den Schiedsrichter, selbst vom Verlierer

Selke selbst sagt nach dem Spiel im Interview des Senders Sky: "Wenn das ein Foul ist, dann macht ein Mittelstürmer im Jahr acht Tore weniger." Herthas Manager Fredi Bobic hingegen, zu seinen Zeiten als Spieler selbst im Angriff aktiv, ergreift Partei für Ittrich. "Du darfst nicht mit beiden Händen rangehen als Stürmer, da kannst du auch den Freistoß pfeifen", urteilt er. Ittrich selbst bekräftigt im Sky-Interview seine Entscheidung und weist darauf hin, dass sich Vergehen wie Stoßen und Halten in der Realgeschwindigkeit auf dem Feld oft deutlicher darstellten als in der Zeitlupe des Fernsehens, die die Dynamik verzerre.

Die Entscheidung, Selkes Armeinsatz als regelwidrig zu bewerten, ist korrekt oder doch zumindest allemal vertretbar, mag Aaron auch spektakulärer zu Boden gegangen sein als nötig. Weil der Pfiff erfolgte, bevor der Ball ins Tor ging, durfte der VAR nicht mehr eingreifen - doch das hätte er, davon kann man ausgehen, ohnehin nicht getan, weil die Entscheidung gewiss nicht klar und offensichtlich falsch war.

Patrick Ittrich entschied letztlich in allen schwierigen, spielrelevanten Situationen korrekt, was auch Fredi Bobic so sah, der trotz der Niederlage ein Lob für den Schiedsrichter übrig hatte: "Was er gepfiffen hat, ist immer richtig gewesen." Zudem spielte der Referee, der dem Hamburger Klub Mümmelmannsberger SV angehört, einmal mehr seine große Stärke aus: das kommunikative Vermitteln von Entscheidungen, auch und gerade den strittigen. Selbst in emotionalen Situationen tat er das mit Souveränität. Und so sagte auch Davie Selke bei allem Grimm über die Annullierung seines Tores: "Ich mag Patrick sehr."

Quelle: ntv.de

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