"Collinas Erben" Rekord-Rot und ein fassungsloser Zlatan
12.03.2015, 11:18 Uhr

Die spielentscheidende Szene in London: zumindest für PSG-Star Zlatan Ibrahimovic.
(Foto: imago/BPI)
In den Mittwoch-Spielen der Champions League beginnen die Schiedsrichter mit einem Platzverweis. Die Rote Karte in München ist die früheste in der Geschichte der Königsklasse. In London erwischt einer der besten Referees einen gebrauchten Tag.
Sieben zu null - das klingt nicht nur nach einer deutlichen Angelegenheit, das war auch eine. Der FC Bayern hat sich seiner Aufgabe im Achtelfinal-Rückspiel gegen Schachtjor Donezk souverän entledigt. Dennoch fragten sich nicht wenige, ob das Spiel wohl auch so einseitig verlaufen wäre, wenn Oleksandr Kutscher nicht schon nach zweieinhalb Minuten die Rote Karte gesehen hätte. Der Verteidiger in Diensten der Gäste aus der Ukraine hatte Mario Götze im Strafraum zu Fall gebracht. Schiedsrichter William Collum aus Schottland entschied nicht nur auf Elfmeter für die Münchner, sondern sah in Kutschers Vergehen auch eine "Notbremse". Damit war der schnellste Platzverweis in der Geschichte der Champions League unausweichlich.
Aber lag hier wirklich die Verhinderung einer klaren Torchance vor? Die Distanz zum Tor war mit acht Metern zwar relativ gering, Götze hatte auch Zug zum Gehäuse der Gäste und ein Verteidiger von Schachtar hätte wohl nicht mehr eingreifen können. Allerdings war die Schussposition für den Münchner nicht optimal, weil der Winkel relativ spitz war. Letztlich lag hier ein Grenzfall vor, bei dem auch eine Gelbe Karte zu vertreten gewesen wäre. Collum entschloss sich nach kurzer Absprache über das Headset mit dem gut postierten Torrichter und dem Assistenten an der Seitenlinie jedoch für die Hinausstellung. Den fälligen Strafstoß verwandelte Thomas Müller. Die Partie begann also mit einem Paukenschlag.
Kein Abseits von Boateng
Nach 34 Minuten erhöhten die Bayern durch Jérôme Boateng auf 2:0 - und Donezk reklamierte, wenn auch zaghaft, eine Abseitsstellung des Torschützen. Schließlich war Dario Srna, kurz bevor Boateng nach einem abgewehrten Torschuss von Robert Lewandowski in Ballbesitz kam, versehentlich ins eigene Tornetz gestolpert, lag also außerhalb des Spielfeldes. Hatte Boateng damit nur noch einen gegnerischen Spieler vor sich? Nein, der Referee hatte alles korrekt beurteilt: Bei Lewandowskis Schuss befand sich Srna vor der Torlinie - und selbst wenn nicht, hätte das keine Rolle gespielt. Denn ein Verteidiger, der hinter die Linie gerät oder sich sogar bewusst hinter sie begibt, kann einen Angreifer dadurch nicht ins Abseits stellen. Vielmehr wird bei der Abseitsbeurteilung in diesem Fall so getan, als befände er sich auf der Torlinie. Verlässt der Abwehrspieler mit voller Absicht den Platz, wird er dafür wegen unsportlichen Verhaltens sogar mit der Gelben Karte bestraft.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Glück hatte Douglas Costa, in der 38. Minute mit einer Verwarnung davongekommen zu sein. Schachtjors Mittelfeldspieler war bereits im Hinspiel nach einem rotwürdigen Ellenbogencheck gegen Franck Ribéry nur mit einer Gelben Karte bedacht worden. Nun leistete er sich erneut ein hinterhältiges Foul, als er dem Franzosen abseits des Balles und ohne jede Not in den Rücken sprang. Schiedsrichter Collum hatte die Szene jedoch nicht gesehen und verwarnte Costa lediglich wegen des folgenden Disputs mit Boateng, der den Brasilianer etwas zu forsch zur Rede gestellt und dafür ebenfalls Gelb gesehen hatte. Anschließend hatte der Unparteiische weitgehend seine Ruhe - sicherlich auch deshalb, weil der klare Spielverlauf einen sportlichen Verlauf der Partie begünstigte.
Rot gegen Ibrahimovic - zu Unrecht
Deutlich mehr Arbeit als sein schottischer Kollege hatte der Niederländer Björn Kuipers beim zweiten Spiel am Mittwochabend zwischen dem FC Chelsea und Paris St. Germain. Wie in München war auch an der Stamford Bridge in London die erste Karte der Begegnung gleich eine rote. Sie traf den exaltierten Superstar der Gäste, Zlatan Ibrahimovic, der nach einer halben Stunde mit einer riskanten Grätsche gegen Oscar eingestiegen war. Zweifellos ein hartes, von einiger Dynamik geprägtes Foul - aber kein rotwürdiges. Denn Ibrahimovic zog im Rutschen noch zurück und ging weder mit gestrecktem Bein noch mit offener Sohle in den Zweikampf, gefährdete also nicht die Gesundheit seines Gegners. Eine Gelbe Karte, ja, aber kein Platzverweis - schon gar nicht als erste persönliche Strafe in einem bis dato nicht übermäßig harten Spiel. Für Björn Kuipers, sonst einen der besten europäischen Schiedsrichter, sah das Vergehen offenbar deutlich schlimmer aus, als es war.
Nach der Hinausstellung des schwedischen Stürmers hatte der Referee Mühe, das Spiel unter Kontrolle zu behalten. Bei den Zweikämpfen und der Kartenverteilung verlor er mehr und mehr seine Linie und das rechte Maß, zudem ließ er seine sonstige Souveränität schmerzlich vermissen. Diego Costa vom FC Chelsea wurde für ein rabiates Einsteigen in der 73. Minute nur verwarnt, obwohl das Foul jenes von Ibrahimovic in puncto Brutalität unzweifelhaft übertraf. Als der spanische Nationalspieler dann in der Nachspielzeit erst vehement wegen eines nicht gegebenen Freistoßes protestierte und schließlich auch noch einen Gegenspieler umstieß, ließ der Schiedsrichter erneut Gnade vor Recht ergehen. Erst in der Verlängerung fing sich Kuipers wieder. Und an der Berechtigung des Handelfmeters für Chelsea in der 95. Minute konnte auch kein Zweifel bestehen.
Quelle: ntv.de