"Collinas Erben": Danke, Schiri! Vestergaard tobt, Wagner provoziert heftig
08.05.2016, 12:01 Uhr

"Ich weiß nicht, was da gepfiffen wurde", sagte Jannik Vestergaard
(Foto: imago/Contrast)
Die Bremer sind sauer, weil in Köln ein Tor von ihnen annulliert wird, obwohl sich der Gegner selbst gefoult hat. Der FC Bayern wird auch ohne Überzahl wieder Meister, während der deutsche Vorzeige-Referee schon in EM-Form ist.
Jannik Vestergaard war so ratlos wie erbost. "Ich weiß nicht, was da gepfiffen wurde", sagte der Bremer nach dem Spiel seiner Mannschaft beim 1. FC Köln. "Ich habe mich kaum bewegt. Der Kölner Keeper springt dem eigenen Mann in den Rücken." Werder-Manager Thomas Eichin pflichtete ihm bei: "Wir haben auf der Bank spontan gesagt, dass es ein reguläres Tor war, weil ein eigener Mitspieler geschubst hatte." Kapitän Clemens Fritz wollte derweil "lieber nichts über den Schiedsrichter" sagen. "Sonst gibt es noch eine Sperre."
Was die Bremer so ärgerte, war eine Szene aus der 26. Minute der für sie so eminent wichtigen Partie: Bei einem Eckstoß von Zlatko Junuzovic versuchten die Kölner Jonas Hector und Anthony Modeste im eigenen Fünfmeterraum, Vestergaard abzuschirmen; Dominique Heintz sprang etwas ungestüm hinzu und rempelte dabei in der Luft seinen eigenen Torwart Timo Horn. Dem geriet seine Faustabwehr daraufhin zu kurz, weshalb der völlig freistehende Werder-Verteidiger Santiago Garcia in Ballbesitz kam und die Kugel im Kölner Tor versenkte. Schiedsrichter Felix Zwayer gab den Treffer jedoch nicht, was nicht nur die Gäste von der Weser überraschte.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Denn der Referee aus Berlin wollte ein Foul von Vestergaard an Horn gesehen haben. Davon konnte allerdings selbst bei strengster Regelauslegung nicht die Rede sein. Schließlich hatte sich der Däne gänzlich passiv verhalten, die Behinderung des Kölner Schlussmanns war ausschließlich von dessen Mitspieler Heintz ausgegangen. Ohnehin ist der Torraum, anders als noch immer viele glauben, hierzulande schon seit vier Jahren keine besondere Schutzzone für die Torhüter mehr. Den entsprechenden Passus – der jahrzehntelang dazu geführt hatte, dass nahezu jeder Körperkontakt mit den Keepern im Fünfmeterraum abgepfiffen wurde – hatte der DFB im Sommer 2012 aus seinen Ergänzungen zum Regelwerk gestrichen. Die Regeln selbst sahen einen Sonderschutz ohnehin nie explizit vor.
Haderten die Bremer in dieser Situation zu Recht mit dem Unparteiischen, so hatten sie in der 72. Minute Glück, dass er nicht auf Strafstoß gegen sie entschied. Denn als Papy Djilobodji im Strafraum gegen Dominik Maroh das Bein herausstellte, traf er den Kölner Verteidiger am Knie. Aus Felix Zwayers Perspektive war es allerdings schwer zu erkennen, dass es einen kurzen Kontakt gab, und Marohs etwas zu freiwillig anmutende Art zu fallen mag zusätzlich dazu beigetragen haben, dass der Schiedsrichter sich nicht zu einem Elfmeter durchringen mochte. Vertretbar wäre er gleichwohl allemal gewesen.
Meyer vergisst die Rote Karte, Brych in EM-Form
Zwayers Kollege Florian Meyer wiederum verhängte im Spiel des FC Ingolstadt gegen den FC Bayern München gleich zwei – vollkommen berechtigte – Strafstöße, einen auf jeder Seite. Den ersten davon gab es für den alten und neuen Deutschen Meister, als Franck Ribéry alleine auf Ramazan Özcan zulief und beim Versuch, den Ingolstädter Torwart zu umkurven, vom zurückgeeilten Marvin Matip im Strafraum gefoult wurde. Ohne diese Regelwidrigkeit hätte Ribéry in zentraler Position das leere Tor vor sich gehabt. Somit hatte Matip eigentlich eine offensichtliche Torchance verhindert und hätte daher mit einem Platzverweis bestraft werden müssen. Der Referee ließ jedoch Gnade vor Recht ergehen und den kamerunischen Nationalspieler gänzlich ungeschoren davonkommen. Den Bayern war’s letztlich egal – Robert Lewandowski verwandelte den Elfmeter, und als Meyer die Partie abpfiff, konnten die Münchner ihren 26. Meistertitel feiern.
In Berlin hatte Felix Brych derweil die phasenweise schwierige und emotionale Auseinandersetzung zwischen Hertha BSC und Darmstadt 98 zu leiten. Doch der Münchner Jurist, der einen Spieltag zuvor schon das atemberaubende Montagsspiel des SV Werder Bremen gegen den VfB Stuttgart fabelhaft über die Runden gebracht hatte, zeigte auch im Olympiastadion, dass er bereits im EM-Form ist. Die Doppel-Verwarnung in der 83. Minute gegen den Ex-Berliner Sandro Wagner, der seinen siegbringenden Treffer mit allzu provozierenden Gesten vor der Hertha-Kurve gefeiert hatte, und Herthas Keeper Rune Jarstein, der Wagner daraufhin heftig zuleibe gerückt war, ging vollauf in Ordnung und kühlte die Gemüter ab. Die Gelb-Rote Karte gegen Wagner nach einer adrenalinschwangeren Grätsche gegen Mitchell Weiser fünf Minuten später war ebenfalls völlig korrekt. Und auch dass es in der Nachspielzeit keinen Strafstoß für die Berliner gab, als Weiser von Tobias Kempe erst leicht am Trikot gezupft wurde und dann einen leichten Schubser in den Rücken erhielt, war eine richtige Entscheidung des exzellent postierten und durchweg nicht zu kleinlich pfeifenden Brych.
Ehrung für besonders engagierte Referees
Unterdessen lief Wolfgang Stark in seinem 327. Bundesligaspiel mit einem ganz besonderen Trikot auf: Bei der Partie zwischen Hannover 96 und der TSG 1899 Hoffenheim trug der Unparteiische (wie auch seine Assistenten) ein Jersey, auf dessen Rückseite 63 Namen aufgedruckt waren. Es handelte sich dabei um die Gewinner der Aktion "Danke, Schiri", die vom Deutschen Fußball-Bund nach 2011 nun zum zweiten Mal ausgerichtet wurde und künftig jedes Jahr stattfinden soll. Dabei geht es darum, aus den bundesweit über 70.000 ehrenamtlich tätigen Referees einige auszusuchen, die sich in besonderem Maße für die Gewinnung neuer Schiedsrichter, die Unterstützung junger Unparteiischer oder soziale Belange eingesetzt haben.
Jeder der 21 Landesverbände des DFB hat dazu drei Landessieger ausgezeichnet, die am Wochenende in Hannover geehrt und darüber hinaus auf Wolfgang Starks Trikot verewigt wurden. Was für die Preisträger eine schöne Anerkennung ist, ist für den DFB und seine Untergliederungen gleichzeitig eine dringend nötige Werbemaßnahme. Die Zahl der Schiedsrichter ist nämlich rückläufig, sie lag einmal bei rund 80.000. Im Jugend- und Amateurbereich können deshalb immer mehr Spiele nicht mehr mit neutralen Referees besetzt werden. Ein Trend, der den Verbänden und Vereinen Sorgen bereitet und den sie gerne stoppen und umkehren würden.
Quelle: ntv.de