Redelings Nachspielzeit

Der "blonde Engel" wird 60 Als sich Jürgen Klinsmann heftig mit Uli Hoeneß zoffte

Hoeneß und Klinsmann im Frühjahr 2009 auf der Ersatzbank des FC Bayern.

Hoeneß und Klinsmann im Frühjahr 2009 auf der Ersatzbank des FC Bayern.

(Foto: imago sportfotodienst)

Jürgen Klinsmann hat in seiner Karriere so viel erlebt - und doch ist er für seine Fans immer schwer zu fassen geblieben. Ob als Spieler oder Trainer: Große Erfolge und schlagzeilenträchtige Misserfolge lagen stets nah beieinander. Heute feiert der Weltmeister seinen 60. Geburtstag.

Uli Hoeneß meinte einmal: "Es ist fast unmöglich, Jürgen Klinsmann zu beschreiben. Ich glaube, niemand kennt ihn wirklich. Er ist ein Phänomen." In diesem Versuch der Beschreibung der ewigen Bayern-Legende über den blonden Weltmeister von 1990 steckt wohl eine Menge Wahrheit. Denn Jürgen Klinsmann selbst ist es gewesen, der über sich als Profi einmal diese herrlichen Sätze sagte: "Ich weiß im Spiel nie, was ich gleich mache. Ich bin auch für mich selbst völlig unberechenbar. Manchmal staune ich sogar über das, was ich so alles auf dem Platz mache - aber erst, wenn ich's hinterher im Fernsehen seh!" Wahrscheinlich sind diese Sätze insgesamt eine gute Beschreibung für das Leben des in Göppingen geborenen Schwaben. Denn auch für uns Fußballfans ist der Sohn eines Bäckermeisters, der heute seinen 60. Geburtstag feiert, immer nur schwer zu fassen gewesen.

Klinsmann startete in der Saison 1987/88 fulminant durch. In dieser Spielzeit wurde er zu Deutschlands neuem "blonden Engel", denn Klinsmann rettete damals seinen Gegenspieler Norbert Nachtweih beim 3:0 des VfB gegen die Bayern vor einer Roten Karte. Der Stuttgarter krümmte sich nach einem Zweikampf mit Nachtweih vor Schmerzen auf dem Rasen des Neckarstadions. Als er aber sah, dass Schiedsrichter Dieter Pauly die Rote Karte zücken wollte, sprang er auf, rannte zum Schiri und flehte diesen an, den Bayern-Spieler nicht zu bestrafen. Mit Erfolg.

Dass es zu diesem Zeitpunkt bereits 2:0 stand und Klinsmann selbst mit einem Fallrückzieher ein "Tor des Jahrzehnts" geschossen hatte, mag den Stuttgarter ein wenig in seinem Handeln unterstützt haben. So oder so hatte Deutschland aber ab sofort einen echten Sonnyboy dazugewonnen. Und darüber freute sich nicht nur der ebenfalls hellblonde Nachtweih. Der war gar so glücklich, dass er versprach, Champagner zu schicken, "falls Klinsmann denn weiß, was das überhaupt ist"!

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"Der Rizzitelli und ich sind schon ein tolles Trio"

Als er kurz darauf - mittlerweile war er überall in Europa heiß begehrt - über einen Wechsel von Stuttgart zu einem anderen Verein nachdachte, sagte er der Presse zwei interessante Sätze. Der erste: "Zu den Bayern möchte ich nicht wechseln, ich will lieber noch ein richtiges anderes Land kennen lernen." Und als Klinsmann dann aber zum Ende der Saison seinen Wechsel nach Italien zu Inter Mailand ankündigte, diktierte er den Medienvertretern folgenden spannenden Satz in die Notizblöcke: "Bayern München war für mich nicht möglich, schon von meinem Naturell her!"

Die Wesensart verschob sich dann offensichtlich in den Jahren in Italien, sodass er nach seiner Mailänder Zeit das Angebot der Bayern für einen Wechsel annahm. Zusammen mit einem Italiener ("Der Rizzitelli und ich sind schon ein tolles Trio") wirbelte der blonde Schwabe für den Rekordmeister die Bundesliga auf. Trotz aller sportlichen Erfolge blieb den Fußballfans aber vor allem sein legendärer Tritt in eine blaue Tonne im Gedächtnis. Reumütig musste er hinterher Abbitte leisten und versprach: "Das wird nicht wieder vorkommen. Werbetonnen brauchen sich vor mir nicht zu fürchten."

Als Klinsmann einige Zeit danach von den Bayern wegging, nahm er zum Abschied den Meistertitel mit nach England zu Tottenham. Seine Schlussworte nach der intensiven Zeit bei den Bayern: "Schön war's, verrückt war's, irgendwie!" Viele Jahre später kam er noch einmal zurück nach München und überraschte angeblich sogar seine Mutter mit dieser spektakulären Neuigkeit. Als Pressevertreter sie fragten, ob sie schon von der Verpflichtung ihres Sohnes als Trainer des FC Bayern gehört habe, antwortete sie: "Nee, das habe ich noch nicht gewusst. Ach du scheiße!"

Auch Hoeneß' Erfahrung kann Klinsmann nicht retten

Zum Start in die Spielzeit war bei den Bayern vieles neu. Klinsmann ("Ich werde jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen") hatte den Verein einmal komplett umgekrempelt. Doch eines blieb beim Alten: Uli Hoeneß, der eigentlich seinen Platz auf der Bank gegen einen Sitz auf der Tribüne eintauschen wollte, wurde vom neuen Bayern-Coach Jürgen Klinsmann gebeten, diese Idee zu verwerfen. Hoeneß freute sich sichtlich über die Bitte des ehemaligen Nationaltrainers und nahm zwischen ihm und seinem Assistenten Martin Vasquez Platz. Klinsmann sagte damals zu seiner unerwarteten Entscheidung: "Uli ist mein Chef, aber auch mein Ratgeber. Das sind 30 Jahre Erfahrung neben mir. Es wäre ja dumm, darauf zu verzichten. Darum habe ich ihn gebeten, sich weiter auf die Bank zu setzen."

Doch am Ende sollte auch Uli Hoeneß Klinsmann nicht mehr helfen können. Als die Bayern fünf Spieltage vor Schluss Gefahr liefen, die direkte Qualifikation für die Champions League zu verspielen, handelten sie schnell und schmissen Klinsmann nach der 0:1-Niederlage am 29. Spieltag zu Hause gegen den FC Schalke 04 raus - auch wenn am darauffolgenden Tag der Bayern-Konkurrent VfL Wolfsburg in Cottbus mit 0:2 unterlag. Nachdem Uli Hoeneß Klinsmann die Nachricht überbracht hatte, sagte er: "Ich glaube, Jürgen war überrascht, dass wir unsere Entscheidung, die wir gestern getroffen haben, so konsequent durchziehen. Er hat ja das Spiel unserer Freunde in Cottbus gestern auch gesehen und vielleicht gedacht, dass die Entscheidung so aufgeschoben wird."

Die kurze Liaison endete unglücklich. Doch zum richtigen Krach mit Klinsmann - mit dem man nach dem Ausscheiden wie üblich eigentlich Stillschweigen vereinbart hatte - kam es erst nach einem TV-Auftritt des ehemaligen Bayern-Trainers in Günther Jauchs Sendung "stern TV". Hoeneß reagierte hörbar verschnupft: "Ich habe in Latein gelernt: Si tacuisses, philosophus mansisses - das bedeutet: Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben." Und auch auf Jauch war der Manager sauer: "Der hat dem Jürgen eine Plattform gegeben, Dinge zu erzählen, die nicht stimmen, ohne kritische Fragen zu stellen." Über des TV-Moderators Ankündigung von Jürgen Klinsmann als "Barack Obama des deutschen Fußballs" konnte Hoeneß hingegen nur lachen: "Wenn Jürgen der Obama des deutschen Fußballs ist, dann bin ich Mutter Teresa."

76 legendäre Tage bei Hertha BSC

Das war das Ende der Trainerkarriere von Jürgen Klinsmann in Deutschland. Vorerst, wie sich später herausstellen sollte. Denn dann kam die Spielzeit 2019/20. Anfang Februar nach genau 76 Tagen und 76 Millionen, die er auf dem Transfermarkt verpulvert hatte, schmiss der Schwabe allerdings als Trainer von Hertha BSC wieder hin. Kurz darauf präsentierte er der neugierigen Öffentlichkeit noch ein herrlich offenherziges Tagebuch.

Unter der Überschrift "Zusammenfassung: Zehn Wochen Hertha BSC" ließ der frühere Coach der Nationalmannschaft seine Tätigkeit auf 22 DIN-A4-Seiten in einem internen Protokoll Revue passieren und offenbarte schonungslos die Lage bei der Hertha - wie zwei Fragmente zeigen: "Mannschaft in einem katastrophalen körperlichen wie mentalen Zustand." Und: "Die Planung der Vorbereitung auf die Rückrunde, für die Michael Preetz verantwortlich ist, ist eine Katastrophe." Es wird vermutlich nun endgültig sein letztes Kapitel als Coach in der Bundesliga gewesen sein.

Damals, als die Zeit als Bundestrainer vorbei war, schrieb der "Spiegel": "Das Ende von Siegfried & Roy". Das war nach dem Sommermärchen der WM 2006. Als auch die Überredungskünste von Franz Beckenbauer gescheitert waren, die Klinsmann von seinem Rücktritt als Bundestrainer abhalten sollten: "Der Kaiser hat gesagt: 'Mach ja weiter!' Und ich habe gesagt: 'Schau'n mer mal.'" Damals ging Klinsmann zurück in die USA. Seinem Co-Trainer Joachim Löw gab er zuvor aber noch mit auf den Weg: "Jogi kann mich rund um die Uhr anrufen. Er soll nur an den Zeitunterschied denken."

Klinsmann und das Sommermärchen

Als er nach der EM 2004 Nachfolger von Rudi Völler wurde, dachten viele wie Ottmar Hitzfeld: "Das ist wie Phönix aus der Asche aus dem Hut gezaubert." Dabei hatte Klinsmann die Sache selbst von langer Hand geplant gehabt. Seinem Berater Ronald Eitel hatte er eines Tages ein Fax geschrieben, auf dem nur stand: "Bundestrainer finde ich okay. Was meinst du? Wie gehen wir es an?" Eine nicht unwichtige Rolle spielte schließlich Ex-DFB-Teamchef Berti Vogts bei der Umsetzung der fixen Idee. Vogts meinte später: "Ohne mich wäre Jürgen Klinsmann heute noch mit dem Surfbrett unterwegs.". Thomas Gottschalk nutzte die überraschende Neuigkeit für einen Gag in seiner Samstagabend-Show: "Ich habe im Sommer einen Schock bekommen! Als ich hörte, der neue Bundestrainer kommt aus Kalifornien und ist blond, dachte ich: Ha - muss ich denn alles machen?"

Doch anfangs lief es nicht rund für Klinsmann und sein Team. Spätestens nach der 1:4-Niederlage in Italien im März 2006 wurde die Lage für den Schwaben bedenklich. Einerseits kritisierte die Fußball-Öffentlichkeit die Trainingsmethoden von Klinsmann ("Als das Gummiband-Training im Fernsehen kam, habe ich mich gefragt, ob wir den 1. April haben", Hermann Gerland) und andererseits sorgte sein Wohnsitz für Diskussionen. Klinsmann weigerte sich nach Deutschland zu ziehen. Er blieb in Kalifornien ("Wenn er den WM-Titel holt, dann kann er sogar nach Hawaii ziehen", Stefan Effenberg) wohnen. Der Bürgermeister von Kalifornien, einem Ortsteil im schleswig-holsteinischen Schönberg, nutzte die hitzige Diskussion, um für seinen Ort zu werben: "Er spart sich lange Flüge und kann trotzdem Sonne, Strand und Meer genießen."

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Die Wogen glätteten sich erst mit dem Start des Turniers. Spätestens mit dem Sieg im zweiten Vorrundenspiel gegen die Polen in Dortmund in letzter Minute war alles vergessen. Die WM im eigenen Land wurde zum unvergesslichen "Sommermärchen" - und der blonde Schwabe hatte mit seiner empathischen Art einen großen Anteil an diesem Erfolg und dieser wunderbaren Zeit.

Am Ende seiner aktiven Fußballkarriere hatte Klinsmann noch gesagt: "Ich habe keine Lust mehr auf Flughafen, Fußball und wieder Flughafen. Das brauche ich nicht mehr. Und ich benötige auch kein Geld mehr." Nun ist er doch weiter im Fußballbusiness geblieben. Vielleicht hat er sich irgendwann an ein anderes altes Motto von sich erinnert: "Ein Bäcker kann nicht von dem Brot leben, das er gestern gebacken hat. Und ein Fußballer kann nicht von seinem letzten Spiel leben. Es geht immer um hier und jetzt." Alles Gute und Glück auf, lieber Jürgen Klinsmann, zum 60. Geburtstag!

Quelle: ntv.de

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