Fußball-WM 2018

"Bist du Ronaldos Onkel?" Island lässt Messi ganz cool verzweifeln

Messi - erst verzweifelt gesucht, dann nur nur noch verzweifelt.

Messi - erst verzweifelt gesucht, dann nur nur noch verzweifelt.

(Foto: REUTERS)

Die Atmosphäre monumental, der Gegner mit null Erfahrung, der große Maradona im Stadion - und dann das. Gegen Island blamiert sich Argentinien, weil Superstar Messi gegen den coolen Fußballzwerg zur tragischen Figur wird.

Ganz vorne liegt Deutschland, logisch. Aber direkt hinter den Weltmeistern von Joachim Löw, da kommt in der Gunst der deutschen Fußballfans schon: Island. Das hat eine Umfrage vorm WM-Start ergeben und nach WM-Spiel eins der isländischen Fußballgeschichte bleibt festzuhalten: Mit ihrem erstaunlichen Debüt im mit 44.190 Zuschauern ausverkauften und sonnendurchfluteten Spartak-Stadion haben die kickenden Isländer Hannes, Birkir, Alfred & Co. ihrer Beliebtheit ganz sicher keinen Abbruch getan, und zwar weltweit.

Es war - natürlich - kein Gourmet-Fußball, den Island gegen Lionel Messi und seine spielerisch auch nicht vor Ideen sprühenden Argentinier zeigte. Aber es war mitreißend und leidenschaftlich, wie Islands Debütanten dem großen Favoriten in ihrem ersten WM-Spiel cool ein 1:1 (1:1) abtrotzten. Wie sie nur vier Minuten nach der argentinischen Führung durch Sergio Agüero (19.) durch Bundesliga-Profi Alfred Finnbogason (23.) ausglichen. Wie Torwart Hannes Halldórsson selbst einen Elfmeter von Messi (63.) entschärfte und sich neben Premierentorschütze Finnbogason WM-Unsterblichkeit verdiente. Es war, um es mit Islands glückseligem Coach Heimir Hallgrimson zu sagen, einfach ein "großes Spiel für uns".

Mit simpler Abwehrarbeit geknackt

Für die Argentinier war der ergebnistechnisch blamable Auftakt im WM-Todesgrüppchen D mit Kroatien und Nigeria als weiteren Gegnern vor den Augen von Fußball-Ikone Diego Maradona "ein Spiel mit großer Frustration". So fasste Coach Jorge Sampaoli die 96 Minuten inklusive Nachspielzeit zusammen, in denen er wie aufgezogen rast- und ratlos durch seine Coachingzone getigert war. Und mehrere Male kurz davor gestanden hatte, selbst aufs Spielfeld zu stürmen. Aber auch ein zwölfter Mann hätte Argentinien an diesem Abend gegen diese Isländer wohl nicht geholfen. Hallgrimson stellte treffend fest: "Wir haben brillant in der Abwehr gespielt."

Man of the Match: Der Thor im Tor, Keeper Halldórsson.

Man of the Match: Der Thor im Tor, Keeper Halldórsson.

(Foto: imago/ULMER Pressebildagentur)

Das Bemerkenswerte am Duell Doppel-Weltmeister inklusive fünffachem Weltfußballer gegen WM-Debütant war ja: Isländische Heldengrätschen in Serie waren gar nicht nötig, um Messi und Co. zu stoppen und auf das feine Agüero-Tor zu beschränken. Eine gewohnt konzentrierte, disziplinierte, bisweilen auch grenzwertig ruppige Abwehrleistung im Kollektiv genügte bereits, was für Argentinien mit Blick auf den weiteren Turnierverlauf keine gute Nachricht ist. Auch nicht, dass Birkir Bjarnason in der 8. Minute sogar die Großchance zur isländischen Führung gehabt hatte. Was doch durchkam aufs isländische Tor, entschärfte Thor Halldórsson souverän, er war der einzig logische Man of the Match.

Messi, der vorab noch entspannt mit seinem Einlaufkind geplaudert hatte, verließ den Rasen nach Spielende mit versteinerter Miene. Als der polnische Schiedsrichter Szymon Marciniak die Partie nach einem vergebenen Last-Minute-Freistoß in der 95. Minute in den Jubelsturm der isländischen Fans hinein abgepfiffen hatte, drosch er den zu ihm zurückgeprallten Ball einfach in den Abendhimmel.

Island-Fans feiern WM-Party

Lust auf Selfies verspürte der Superstar anders als sein ewiger Rivale Ronaldo am Vorabend in Sotschi nicht. Die Isländer feierten da noch mit ihren euphorisierten Fans, das berühmte "Huh!" schallte nun ungestört von Pfiffen der argentinischen Fans durchs Spartak-Stadion. Die hatten die Arena mit Schlusspfiff fast fluchtartig verlassen. Nicht nur auf dem Rasen, auch auf den Rängen hatten die Isländer der argentinischen Übermacht in einer durchaus monumentalen Atmosphäre getrotzt.

"Es ist bitter, dass wir nicht drei Punkte holen konnten. Ich glaube, wir hätten es verdient gehabt. Mit einem Sieg zu starten ist immer wichtig", sagte Messi später in der Mixed Zone. "Wir haben ein schnelles Tor gemacht, danach mussten sie etwas mehr aufmachen. Aber sie hatten das Glück schnell auszugleichen." Bitterkeit schwang auch in Messis Einschätzung mit, "dass Island auch nicht spielen wollte". Angesprochen auf die weniger als 30 Prozent Ballbesitz seines Teams antwortete Coach Hallgrimsson in der Pressekonferenz entspannt: "Wir wollten die Räume nutzen, aber das ist schwer, wenn du den Ball einfach nicht hast."

Besonders bitter dürfte Messi geschmeckt haben, dass er maßgeblich zum verpassten Sieg gegen den mit nur 334.000 Einwohnern nun hochoffiziell kleinsten Außenseiter der WM-Geschichte beigetragen hatte. Nicht weil er schlecht spielte, das tat er nicht. Er dribbelte, er schoss, er holte sich den Ball immer wieder in der eigenen Hälfte, um von dort Argentiniens Spiel aufzuziehen. Er war, trotz Agüeros Treffer zum 1:0, der gefährliche Fixpunkt in Argentiniens insgesamt zu statischer Offensive. In Russland spielt ja, hatte Coach Sampaoli erklärt, Messis Argentinien, nicht seins. Aber Messi selbst glückte, anders als Rivale Ronaldo, kein Tor. Nicht aus dem Spiel, nicht per Freistoß, nicht einmal per Elfmeter in der 63. Minute.

Den von Hördur Magnusson an Maximiliano Meza verschuldeten Strafstoß schoss er nach links, halbhoch, nicht sehr platziert - und für Islands Elfmeter-Killer Halldórsson nicht überraschend. "Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Ich wusste, dass die Situation kommen könnte. Ich habe mir viele Messi-Elfmeter angeschaut", sagte der 34 Jahre alte Keeper: "Dem besten Spieler der Welt bei einem Elfmeter zu begegnen, ist ein großer Moment. Es ist ein Traum, der wahr wird."

Aus den Duellen mit Topstars zieht Halldórsson eine besondere Motivation. 2016, beim isländischen EM-Debüt gegen Portugal, hatte Halldórsson schon Cristiano Ronaldo zur Verzweiflung gebracht. Auch diese Partie endete 1:1, Ronaldo tobte hinterher ob der Performance der Neulinge und Island schaffte es nach einem wundersamen Turnier sogar bis ins Viertelfinale. Die Frage, warum sein Team den Premierenpunkt erneut wie einen Premierensieg feiere, erinnerte Halldórsson ganz offenkundig an 2016. Er parierte sie so lässig wie Messis Elfmeter. Seine Antwort: "Bist du Cristiano Ronaldos Onkel?"

Quelle: ntv.de

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