Fußball-WM 2018

Ronaldo oder Ramos - das war's Sorry Russland, aber die WM-Party ist vorbei!

Sorry, liebe Russen, aber eure WM-Party ist bald vorbei.

Sorry, liebe Russen, aber eure WM-Party ist bald vorbei.

(Foto: AP)

Läuft bei Russland. Besser gesagt: Lief bei Russland. Der beste Gastgeber-Start bei einer WM seit 1934 ändert nämlich nichts daran, dass die Party in zwei Spielen vorbei ist. Für die Sbornaja ist das aber nicht schlimm.

Als Taisir Al-Jassim am 8. Juni die linke Außenbahn in der Leverkusener BayArena entlang wuchtet, den Ball nur so halb präzise auf Mohammed Al-Sahlawi passt und Mats Hummels noch irgendwie die deutsche Prä-WM-Katastrophe verhindert, da passiert Erstaunliches: Die Fußballer aus Saudi-Arabien genießen plötzlich eine nie dagewesene Wertschätzung. Der 67. der Fifa-Weltrangliste ist in diesem Moment nicht mehr das arme Land, das Miroslav Klose im Eröffnungsspiel der WM 2002 einst vorführte (8:0). Saudi-Arabien ist nun eine Mannschaft, die beim Turnier in Russland überraschen kann. Vor allem den WM-Gastgeber, diesen in der Heimat verspotteten Haufen von überzufriedenen Nicht-Nationalisten. Die Lebensdauer dieser arabischen Heldengeschichte konnte es indes bloß mit der Meinungsstabilität eines Donald-Trump-Tweets aufnehmen. Mit dem ersten Anpfiff in der Moskauer Luschniki-Arena wurde sie in nur 90 Minuten umgedichtet in ein nie für möglich gehaltenes russisches WM-Märchen.

Dabei war der furiose 5:0-Erfolg gegen ein absurd schwaches Saudi-Arabien lediglich ein erstes zartes Händeschütteln zwischen der "Sbornaja" und den russischen Fußball-Fans: Er mündete in eine kollektive und enthemmte Umarmung nach dem Teilzeit-beherzten 3:1-Sieg gegen Ägypten im zweiten Gruppenspiel. Das Erreichen des Achtelfinales ist nur noch in irrsinnigen Rechenspielen nicht möglich. Und so hispaniert sich die russische Presse in totale Euphorie. Die Zeitung "Sport-Express" schreibt: "Wir reißen die Rivalen in Stücke. Wir fliegen über das Spielfeld, begeistern die ganze Welt. Und wir geben den Russen den Glauben an den Fußball zurück. Dabei herrschte im Land bis vor Kurzem noch Fußball-Atheismus. Wer, sagen Sie mir, WER hätte einen Tag vor dem Beginn der WM an eine solche Entwicklung geglaubt?" Und auch die "Sowjetski Sport" ist außer sich vor Glück: "Unsere Sbornaja hat uns unsere Liebe zurückgegeben."

Und die offenbarte sich in einem nächtlichen Party-Wahnsinn zwischen Spielort St. Petersburg, Moskau, Kaliningrad oder Jekaterinburg. Autokorsos, Fahnenmeere und immer wieder "Rossija! Rossija!"-Rufe. Das Land ist stolz auf seine so verspotteten und immer mal wieder von Dopingvorwürfen begleiteten Fußballer und deren dagegen beliebten Trainer. "Stanislaw Salamowitsch Tschertschessow gebühren große Ehre und Respekt, dass er dieses Team geformt hat", sagte zum Beispiel Sergej Anochin, Vizepräsident des russischen Fußballverbandes, der Agentur Tass. "Alle Kritik hat sich in Lob verwandelt." Hass und Liebe trenne nur ein Schritt. Der stellvertretende Vizeministerpräsident Witali Mutko sagte: "Tschertschessow hat eine Mannschaft geformt. Es gibt ein Team, das Team hat eine Idee, und es arbeitet auf das Ergebnis hin."

Wegtikitakat oder aus dem Turnier geGOATet

Doch so brillant das bislang ist - seit Italien 1934 (sie wurden später Weltmeister) ist ein Gastgeber mit zwei Siegen und 8:1 Toren nie besser gestartet als Russland - so sehr sich das Umfeld der Sbornaja euphorisiert, so krachend wird der Kater nach dem Achtelfinale. Dort nämlich wird die Mannschaft nach hiesiger Fußball-Logik entweder von den Spaniern wegtikitakat oder von Cristiano Ronaldo aus dem Turnier geGOATet. Zu einfach zu kontrollieren ist das russische Spiel von taktischen, reifen Mannschaften. Die von den russischen Funktionären gelobte Spielidee ist nämlich brachial simpel, wie Taktik-Experte Constantin Eckner von Spielverlagerung.de im Gespräch mit n-tv.de erklärt: "Die Angriffe laufen nahezu immer über lange Bälle. Vorne positionieren sich immer mindestens zwei Stürmer eng nebeneinander, sammeln die hohen Zuspiele und verlagern sie dann auf die Flügel." Gegen schwächere Mannschaften ist das extrem effektiv, für Teams mit mindestens mal soliden Innenverteidigern dagegen leicht zu verteidigen.

Aber was bedeutet bei dieser WM schon "hiesige" Fußball-Logik? Mexiko überrennt Deutschland, Island düpiert Argentinien, die Schweiz entnervt Brasilien, Belgien quält sich gegen Panama, und Frankreich arbeitet sich dank Paul Pogbas Maßarbeit nur hauchzart an der Blamage vorbei. Nur Russland dreht auf und schreibt das Erfolgsmärchen des laut Weltrangliste schlechtesten Turnier-Teilnehmers. Allerdings ein Zerrbild. Denn das Ranking folgt einer bizarren Logik aus Ergebnis, Spiel-Relevanz, Gegner-Position und Konföderationszugehörigkeit. Zu kompliziert? Nun, für Russland bedeutet es jedenfalls Folgendes: Weil es als Gastgeber für die WM gesetzt war, gab's in den vergangenen zwei Jahren aus dem Confed Cup keine Pflichtspiele, also nur wenig Punkte und so mit Platz 70 das tatsächlich schlechteste Ranking aller Turnier-Teilnehmer. Die realistische Stärke der Mannschaft liegt wohl eher zwischen Rang 30 und 40, also zwischen Rumänien, Irland sowie den WM-Teams Australien, Iran und Marokko. Das erfolgreiche Auftakt-Doppel gilt's entsprechend einzuordnen.

Der Sbornaja konnte der Weltranglisten-Absturz in das völlig erwartungsbefreite Umfeld von Algerien, Guinea, Mazedonien und El Salvador nur recht sein. Bei der WM hat sie schon jetzt mehr erreicht, als ihr wohl jeder zugetraut hat. Nach dem krachenden EM-Vorrunden-Aus in Frankreich vor zwei Jahren gab's wüsten Spott. Die anschließende Protz-Party der Champagner-Fußballer Alexander Kokorin (fehlt bei der WM verletzt) und Pawel Mamajew brachte der Mannschaft eine Petition ein, die die Auflösung des Nationalteams forderte. Und der bekannte Fernseh- und Radio-Journalist Wladimir Solowjow wütete: "Sie sind dummes Vieh mit Silikon im Hirn."

All das ist Geschichte. Mit zwei furiosen Spektakeln hat sich die Nationalmannschaft mit vielen Fans versöhnt, hat Würde und Stolz wieder aufgerichtet. Doch bevor DJ Ronaldo und MC Sergio Ramos nun den Achtelfinal-Rausschmeißer auflegen, bekommt die Party mit dem letzten Gruppenspiel gegen Uruguay am Montag vielleicht sogar noch das totale Stimmungshoch.

Quelle: ntv.de

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