Kraftlos, planlos - und nun? Löws Weltmeister sind nicht bereit
18.06.2018, 09:36 Uhr Artikel anhören
Einige Fans scheinen mit Sombrero besser auf die mexikanischen Gegner eingestellt, als das DFB-Team selbst.
(Foto: imago/ActionPictures)
Die deutschen Fußballer senden mit ihrer Auftaktniederlage gegen Mexiko bei der WM in Russland ein Signal. Seht her, wir sind schlagbar! Nun geht es um das sportliche Überleben. Wie konnte das passieren?
Die gute Nachricht ist: Es kann nur besser werden. Und im Grunde ist ja nichts passiert. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat erstmals seit 1982 ihre Auftaktbegegnung bei einer Weltmeisterschaft verloren. Na und? Dann gewinnt sie halt die anderen beiden Gruppenpartien und zieht dann doch ins Achtelfinale ein. Vor 36 Jahren beim Turnier in Spanien hat die DFB-Elf schließlich noch das Endspiel erreicht. Das Problem ist: So einfach ist die Sache nicht.
Beim 0:1 (0:1) gegen Mexiko gab der Titelträger im Moskauer Luschniki-Stadion vor allen Dingen in der ersten Halbzeit ein so klägliches Bild ab, dass sich nicht nur dem geneigten Beobachter die Frage stellt: Wie konnte das passieren? Ist das die Mannschaft, die nach Russland geflogen ist, um ihren 2014 in Brasilien gewonnenen Pokal erfolgreich zu verteidigen? Ist das die Mannschaft, von der Bundestrainer Joachim Löw behauptete, sie sei bereit? Ist das die Mannschaft, die mit zehn Siegen in zehn Spielen durch die Qualifikation marschiert ist und in den vergangenen dreieinhalb Wochen daran gefeilt hat, gleich im ersten Spiel ein Zeichen setzen? Ja, sie ist es. Das war allerdings nur an den Trikots zu erkennen. Und das ist für alle, die es mit der Nationalelf halten, keine gute Nachricht.
Diese Mannschaft scheint alles andere als bereit, zumindest lässt der klägliche Auftritt keinen anderen Schluss zu. Die Liste der Fehler ist zu lang, als dass sie im Moment Platz für allzu viel Optimismus bieten würde. Natürlich sorgt die immer noch nicht ausgestandene Affäre um die Spieler Mesut Özil und Ilkay Gündoğan und ihre Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für eine ungute Stimmung, die noch lange nachwirken und grundsätzlicher Natur sein könnte. Manuel Neuer, der Torwart und Kapitän, hat vor dem Auftakt eingeräumt, dass die öffentlichen Diskussionen belastend seien. Vielleicht spaltet das Thema gar die Mannschaft. Aber sollte es die Akteure der wichtigsten Mannschaft des Landes tatsächlich davon abhalten, ordentlich Fußball zu spielen?
Wo ist die Leichtigkeit geblieben?
Der Bundestrainer ist in seiner Kernkompetenz gefragt, jetzt geht es ans Eingemachte. Gegen Mexiko offenbarte seine Mannschaft mit acht Weltmeistern in der Startelf zu viele Unzulänglichkeiten, als dass er so weitermachen könnte wie bisher. Es fehlte an Dynamik, Schnelligkeit und Inspiration, von Leichtigkeit keine Spur. Das Zweikampfverhalten war schwach, das Spiel nach vorne kam nicht in Schwung - und ein Tor hat auch keiner geschossen. Die Balance innerhalb des Teams stimmte nicht.
Exemplarisch dafür stand die rechte Seite, auf der die Münchener Joshua Kimmich und Thomas Müller den Mexikanern zu viel Platz boten, weil sie sich offenbar nicht einig waren, wer denn wann verteidigen soll. Die Innenverteidiger Mats Hummels und Jérome Boateng, ebenfalls beim FC Bayern unter Vertrag, waren allzu oft auf sich alleine gestellt, aber auch sie wirkten nicht so souverän, wie sie es mal waren. Toni Kroos, der Champions-League-Sieger von Real Madrid, konnte sich nicht aus der Umklammerung seiner Gegenspieler befreien, Sami Khedira von Juventus Turin, sein Partner auf der Doppelsechs, war völlig indisponiert und ebenfalls zu langsam. Gegen Mexiko waren der lange verletzte Torhüter Neuer und der eingewechselte Marco Reus die einzigen Lichtblicke.
Alles oder nichts gegen Schweden
Die deutsche Mannschaft hat jetzt sehr viel mit sich selbst zu tun. Als erste Konsequenz strich der DFB alle Medientermine für diesen Montag und lud auch Weltmeister Philipp Lahm wieder aus. Abgesehen davon, dass diese Niederlage zum Auftakt dieser WM noch viel deftiger ausgefallen wäre, hätten die Mexikaner nur ihre zahlreichen Konterchancen konsequenter genutzt, ist sie auch ein Signal nach außen: Diese Deutschen sind schlagbar und weit davon entfernt, wieder zum überragenden Team des Turniers zu avancieren. Was das in den Köpfen der gegnerischen Spieler bewirken kann, wird die DFB-Elf vielleicht schon am kommenden Samstag erfahren, wenn es im zweiten Spiel dieser Gruppe F gegen Schweden in Sotschi schon um das sportliche Alles-oder-Nichts geht. Aber selbst, wenn sie diese und auch die abschließende Partie gegen Südkorea gewönne, wird nicht unbedingt alles besser. Qualifiziert sich das deutsche Team als Tabellenzweiter für das Achtelfinale, geht es gegen den Sieger der Gruppe E. Und der könnte dann Brasilien heißen.
Im Grunde aber sind solche Rechenspiele für Löw zurzeit von zu vernachlässigender Relevanz. Der Bundestrainer wird sich mit der Frage beschäftigen, wie er seine Mannschaft schnell in die Spur bringt. Und damit, ob es vielleicht ein wenig zu optimistisch war, davon auszugehen, dass die Weltmeister von gestern noch das Zeug haben, auch die von morgen zu werden. Jetzt wird sich zeigen, ob er seinen Kader so zusammengestellt hat, dass er die Mannschaft für die Partie gegen Schweden grundlegend umbauen kann. Es gibt vielleicht keinen Anlass zur Panik, aber genügend Gründe, sich Sorgen zu machen, dass die WM für die deutsche Mannschaft schneller beendet ist, als sie sich das vorgestellt hat.
Quelle: ntv.de