Argentinien droht WM-Aus Warum das System Messi scheitert
26.06.2018, 12:21 Uhr
Lionel Messi - Argentiniens eierlegende Wollmilchsau.
(Foto: imago/LaPresse)
Argentinien hat Lionel Messi - geht es nach der Erwartungshaltung, beschert der Superstar vom FC Barcelona der "Albiceleste" den WM-Titel im Alleingang. Doch das System hat einen riesigen Fehler - der sich allerdings vermeiden ließe.
Vor zwölf Jahren, 2006 in Deutschland, nahm Lionel Messi an seiner ersten Weltmeisterschaft teil. Der kleingewachsene Argentinier hatte damals bereits zwei Jahre im Profigeschäft auf dem Buckel. Das verheißungsvolle Talent brachte die Landsleute wie auch die Anhänger des FC Barcelona ins Schwärmen. Schnell wurde allen klar, dass es sich bei Messi um einen Jahrhundertfußballer handelt. Um einen, der sich nahtlos neben Pelé, Cruyff, Beckenbauer und natürlich Maradona einreiht oder eventuell sogar eine Stufe über ihnen steht.
Doch so sehr Messi mit einem unvergleichlichen Talent am Ball gesegnet war, so ungünstig schien die Konstellation in der Nationalmannschaft. Eigentlich verfügt die argentinische Messi-Generation über einige herausragende Nebendarsteller, die sich um den unangefochtenen Superstar bewegen könnten. Javier Mascherano, Juan Riquelme, Carlos Tévez, Sergio Agüero, Ángel Di María und Gonzalo Higuaín waren oder sind immer noch Wegbegleiter Messis im Trikot der Albiceleste. Aber für den großen Wurf reichte es bei einem WM-Turnier nicht. Selbst die Copa América konnte er noch nie gewinnen.
Nicht die eierlegende Wollmilchsau

So könnte Argentinien beispielsweise mit Messi auf der rechten Seite spielen. Mascherano würde hinter ihm und Dybala absichern, während Banega über halblinks vorstieße.
Seit Messis Debüt in der A-Nationalmannschaft im Jahr 2005 durften sich acht Trainer daran probieren, das Optimum aus dem Talent des Ausnahmekönners herauszuholen. Unter ihnen waren erfahrene Hasen wie José Pekerman, Exzentriker wie Diego Maradona und extrovertierte Taktiker wie aktuell Jorge Sampaoli. Insbesondere in den letzten acht oder zehn Jahren ließen sie Messi nahezu alle Freiheiten. Mal durfte er auf seiner in Barcelona angestammten Position auf dem rechten Flügel spielen, mal durfte er im Zentrum sein Unwesen treiben. Und zumeist tat er alles irgendwie gleichzeitig.
Genau darin liegt das Problem. Bei Barcelona ist Messi seit jeher eingebettet in ein funktionierendes Gefüge. Er ist der größte Star, aber Andrés Iniesta oder Sergio Busquets sind für den Erfolg des Teams mindestens genauso wichtig. In Diensten Argentiniens soll Messi die fußballerische Version der eierlegenden Wollmilchsau sein – Spielmacher, Antreiber, Passgeber und Torjäger in einem.
Putschistenführer Messi
So offensichtlich wie bei der laufenden WM war es allerdings noch nie. Im Auftaktspiel gegen Island setzte Sampaoli mit Mascherano und Lucas Biglia zwei defensivstarke Mittelfeldspieler im Rücken von Messi ein. Die notwendige Unterstützung erfuhr der argentinische Superstar dadurch naturgemäß nicht. Im Offensivzentrum war er oftmals auf sich ge- und von mehreren Isländern umstellt.
Im darauffolgenden Spiel gegen Kroatien zeichnete sich ein ähnliches Bild ab. Nur dieses Mal war Messi komplett auf verlorenem Posten, weil er mit Luka Modrić und Barcelona-Kollegen Ivan Rakitić von zwei Weltklasse-Sechsern umzingelt war. Dass Sampaoli zu allem Überfluss den überschaubar talentierten Maximiliano Meza an Messis Seite stellte, passte perfekt zur Gesamtsituation. Nach der krachenden 0:3-Pleite geriet Sampaoli gehörig unter Druck – und dies auch dank Messi.
Von einer Hotelzimmer-Revolte war die Rede. Messi sei einer der Anführer gewesen, der Sampaoli noch vorm letzten Gruppenspiel entlassen sehen wollte. Sampaoli ist weiterhin Nationaltrainer und angeblich in seinen Kompetenzen nicht beschnitten, "außer, dass Messi die Aufstellung macht und Mascherano die Anweisungen gibt", wie er süffisant mitteilte.
Die Legende vom unschuldigen, unbekümmerten Jungen aus Rosario ist schon lange eben das – eine Legende. Messi hat sich im Klub als auch in der Nationalmannschaft in die Anführerrolle gedrängt. Und wer möchte sich schon gegen ihn stellen. Immerhin kann keiner fußballerisch mit ihm mithalten.
Auf die angestammte rechte Seite
Doch wenn Messi, wie Sampaoli behauptet, die Aufstellung selbst bestimmt, dann muss er im abschließenden Gruppenspiel gegen Nigeria eine gute Idee in der Schublade haben. Denn die "Albiceleste" braucht einen deutlichen Sieg und die Unterstützung Kroatiens im Parallelspiel. Eventuell sollte Messi verstärkt auf der rechten Außenbahn agieren. Von dort aus zieht er normalerweise bei Barcelona das Spiel auf, kann sich aber situativ etwas aus dem Geschehen raushalten.
Genau diese Mischung benötigt Argentinien im Moment. Messi auf der rechten Seite würde Mitspieler in die Verantwortung zwingen. Kreativspieler Éver Banega ist so einer, der die Initiative übernehmen und das Spiel aus dem Mittelfeld ankurbeln könnte. Bisher verschenkte Sampaoli das Potenzial des 29-Jährigen. Ähnliches gilt für Paulo Dybala, der sich wie Messi vor allem auf der rechten Seite wohlfühlt. Kämen beide aber gemeinsam zum Einsatz, könnten sie durch Positionsrochaden für Überraschungsmomente sorgen, die Argentinien unbedingt benötigt und ohne die auch Superstar Messi nicht zur Geltung kommen kann.
Quelle: ntv.de