Elektro-Show im Ex-Flughafen Volkswagen ruft neue Ziele aus
13.03.2014, 12:18 Uhr
Fast der komplette VW-Vorstand: Zusammen bekommen sie für 2013 rund 64 Millionen Euro.
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Weitab von Wolfsburg packt Europas größter Automobilkonzern ehrgeizige Zahlen auf den Tisch. Die große Bilanzvorlage wird zum denkwürdigen Ereignis. VW-Chef Winterkorn rückt von dem Vorhaben ab, Toyota möglichst schnell vom Thron zu stoßen.

Im ehemaligen Flughafen Tempelhof bringen Präsentationsexperten einen E-Golf vor der Jahrespressekonferenz auf Hochglanz: Der Staubwedel gehört nicht zur Serienausstattung.
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Die Zehn-Millionen-Marke soll bereits dieses Jahr fallen: Zur großen Bilanzpressekonferenz hat VW-Chef Martin Winterkorn Analysten und Branchenkenner mit einem neuen, noch ehrgeizigeren Absatzziel überrascht. Mehr als zehn Millionen Fahrzeuge will der Dax-Konzern demnach im laufenden Jahr an seine Kunden ausliefern. "Die Chancen stehen gut, dass wir die Marke der zehn Millionen Auslieferungen sogar schon in diesem Jahr übertreffen", erklärte Vorstandschef Martin Winterkorn bei der Bilanzvorlage in Berlin wörtlich.
Winterkorn legte die Latte damit zwar deutlich höher, Analysten zeigten sich aber in ersten Reaktionen dennoch zuversichtlich, dass der Autobauer diese Vorgabe durchaus erreichen kann: Nach dem Bestwert von 9,73 Millionen Fahrzeugen im vergangenen Jahr müssten die Wolfsburger für den Sprung über die Zehn-Millionen-Hürde im Jahr 2014 mindestens rund 3 Prozent Absatzzuwachs verzeichnen. 2013 hatten sie ein Plus von 4,9 Prozent erzielt. Ende Februar hatte VW für das laufende Jahr eine "moderate" Verbesserung in Aussicht. Mit mehr als zehn Millionen Fahrzeugen hätte der Konzern 2014 bereits eines seiner Ziele für das Jahr 2018 erreicht.
In der Präsentation des Jahresberichts entdeckten aufmerksame Beobachter zudem ganz neue Töne. Der Kampf um die Spitzenposition als Weltmarktführer spielt in den strategischen Plänen bei VW offenbar nur noch eine untergeordnete Rolle. Statt Wachstum um jeden Preis will der Konzern mit seinen zwölf Marken stattdessen künftig mehr an jedem verkauften Auto verdienen.
Bislang hatte VW-Chef Winterkorn vor allem die begehrte Branchenspitze in der Autobranche im Blick und wollten Weltmarktführer Toyota vom Thron stoßen. Im abgelaufenen Jahr erreichte Volkswagen einschließlich seiner beiden Lkw-Töchter Scania und MAN ein weltweites Absatzvolumen von 9,73 Millionen Fahrzeugen. Damit sieht sich VW schon jetzt als zweitgrößter Autobauer hinter Toyota und vor der Opel-Mutter General Motors (GM).
2013 war für den VW-Konzern eines der erfolgreichsten Jahre in den bisher acht Jahrzehnten der Unternehmensgeschichte. Ausgewählte Bilanzkennzahlen zur jüngsten Entwicklung:
Kennzahl | 2013 | 2012 |
Umsatz | 197 Mrd. | 193 Mrd. |
Ebit | 11,7 Mrd. | 11,5 Mrd. |
Erg. n. St. | 9,1 Mrd. | 21,9 Mrd. |
Absatz | 9,7 Mio. | 9,3 Mio. |
Mitarbeiter | 572.800 | 550.000 |
(Quelle: Unternehmensangaben, gerundet)
Winterkorn kündigte zwar für dieses und das nächste Jahr mehr als 100 neue Modelle, Varianten und Produktaufwertungen an, um die Auslieferungen weiter zu steigern. Zugleich machte er aber klar, dass das Rennen um die Krone in der Automobilbranche für ihn nicht mehr im Vordergrund stehe. Vielmehr wolle der Konzern mehr auf die Qualität des Ergebnisses und seiner Fahrzeuge achten. Bei der Bilanzvorlage in Berlin spricht der Autobauer von "qualitativem Wachstum" als neuem Ziel.
Autos aus dem Baukasten
Das von VW entwickelte System gleicher Bauteile beginnt sich auszuzahlen. Es sorgt für zahlreiche Einspareffekte und bietet dem Konzern nun womöglich auch ein Betätigungsfeld, in dem die Zielvorgaben leichter zu erreichen sind. Die zentrale Gewinnkennzahl hatte sich mehrere Jahre lange kaum bewegt, unter anderem, weil der Konzern große Summen in die Entwicklung des neuen Baukastensystems gepumpt hatte. Im abgelaufenen Jahr stieg der Betriebsgewinn leicht von 11,5 Milliarden Euro im Vorjahr auf zuletzt knapp 11,7 Milliarden Euro.
Das neue Baukastensystem bietet VW viele Vorteile. Hier sind bestimmte Baugruppen wie Achsen, Motor und Getriebe so ausgelegt, dass sie nicht nur in einen bestimmten Autotyp passen, sondern gleich für mehrere Modelle und Marken verwendet werden können. Dadurch soll die Zahl der Modellvarianten zunehmen, die Stückkosten sollen zugleich um 20 Prozent sinken. Die Bauzeit soll sich je Auto um 30 Prozent verkürzen.
Bereits heute wird der VW Golf, der Audi A3, der Skoda Octavia und der Seat Leon nach diesem Prinzip gebaut. Als nächstes folgt die neue Generation des Mittelklassemodells Passat, die Ende 2014 auf den Markt kommen soll. Auch Elektroautos, bei denen VW nun stärker aufholen will, sollen mithilfe des Baukastens schneller und günstiger gefertigt werden können. Im laufenden Jahr soll sich die Zahl der Fahrzeuge aus dem Baukasten auf zwei Millionen verdoppeln. Bis 2016 soll sich die Zahl erneut verdoppeln - auf dann vier Millionen Stück.
VW-Angebot an Scania-Aktionäre
Zu einem höheren Ergebnis soll auch die Lkw-Allianz von MAN und Scania beitragen, bei der VW nun stärker das Heft in die Hand nimmt. Den Minderheitsaktionären von Scania bieten die Wolfsburger ab nächster Woche 22,26 Euro je Anteilschein, um die widerspenstige Tochter ganz in ihren Besitz zu bekommen. Bislang haben die Minderheitsaktionäre bei Scania ein wichtiges Wort mitzureden, da VW und MAN zusammen erst gut 60 Prozent des Kapitals und rund 90 Prozent der Stimmrechte an Scania halten.
Anders als direkte Konkurrenten wie Peugeot, Renault oder Fiat, die nur dank rigider Einschnitte oder mit Hilfe von Partnern überleben, können die Wolfsburger nach Ansicht von Beobachtern jene Schlaglöcher umkurven, die derzeit viele Massenhersteller aus der Spur bringen. So trug zum Beispiel allein der vor eineinhalb Jahren komplett übernommene Sportwagenbauer Porsche rund 2,6 Milliarden Euro zum Ergebnis bei. Aus den beiden Gemeinschaftsunternehmen in China strich VW sogar 4,3 Milliarden Euro ein, rund 600 Millionen mehr als im Vorjahr.
Mehr als 4 Euro Dividende
Der Umsatz wuchs um zwei Prozent auf 197 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss brach jedoch um mehr als die Hälfte auf 9,1 Milliarden Euro ein. Im Vorjahr hatten Sondereffekte im Zusammenhang mit der Porsche-Übernahme die Bilanz aufgebläht. Die Dividende soll nun um je 50 Cent auf 4,00 Euro je Stamm- und 4,06 Euro je Vorzugsaktien erhöht werden.
Für einen Autohersteller war der Ort der Bilanzvorlage höchst ungewohnt: Für die Vorlage des Geschäftsberichts hat sich Volkswagen ausgerechnet die Hallen eines früheren Flughafens ausgesucht. Die Einladung nach Berlin enthält eine deutliche Botschaft. Zur großen Jahrespressekonferenz lädt Europas größter Automobilkonzern diesmal nicht in die Konzernzentrale nach Wolfsburg ein, sondern ins Zentrum der deutschen Hauptstadt - mitten hinein in eine Atmosphäre aus Mobilitätsgeschichte und neuem urbanen Lebensgefühl.

Elektrisch angetriebene Testwagen warten in der Berliner Frühjahrssonne auf neugierige Fahrer: Auf dem Tempelhofer Feld lädt Volkswagen zu "E-Mobilitätswochen".
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Bis zu seiner endgültigen Schließung im Jahr 2008 galt Tempelhof als einer der dienstältesten deutschen Verkehrsflughäfen. Mittlerweile wird das angrenzende Gelände mit seinen zwei kilometerlangen Startbahnen und den umfangreichen Vorfeldbereichen als Stadtpark genutzt. Das riesige, eigentlich komplett autofreie Areal inmitten der Millionenmetropole erfreut sich von Jahr zu Jahr wachsender Beliebtheit bei Spaziergängern, Erholungssuchenden und Touristen.
Berlin als Botschaft
Dort, wo sonst Techno-Partys stattfinden oder Models zur Fashion-Week über den Laufstieg stolzieren, wollen die Wolfsburger nun in zwei eigens angemieteten Hangars über ihre Geschäfte des zurückliegenden Jahres berichten und zugleich Investoren aus aller Welt für die Perspektiven des deutschen Autobaus begeistern. Im Umfeld gibt es ein mehrtägiges Kulturprogramm für die breitere Öffentlichkeit. Unter dem Motto "electrified" veranstaltet VW dort seit dem vergangenen Wochenende ein 14-tägiges Festival mit elektronischer Tanzmusik, klassischer Klaviermusik und zahlreich geladener Prominenz.
Die Hallen des Flughafens bieten dabei nicht nur eine spektakuläre Kulisse für neue Prestigemodelle wie den Golf GTE, den Elektro-Golf oder das City-Modell E-Up. Der gesamte Ort steht symbolisch für veränderte Nutzungsgewohnheiten, urbanes Lebensgefühl und den Innenstadtverkehr der Zukunft. Im angrenzenden Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist Konsumkritik und Öko-Bewusstsein tief verwurzelt. Hier sehen Autobauer ein geeignetes Experimentierfeld für neue Mobilitätskonzepte wie Car-Sharing. Über die blanke Zahlenvorlage hinaus bietet VW auf dem angrenzenden Flughafengelände angereisten Auto-Experten und allen Besuchern der "E-Mobilitätswochen" auch die Möglichkeit, das abgasfreie Fahrvergnügen auf einem abgesperrten Parkour selbst auszutesten.
Erste Eckdaten und Ergebnisse aus dem zurückliegenden Jahr hatte VW bereits Ende Februar vorgelegt. Neben Bestmarken bei Umsatz und Gewinn überraschte der im Dax notierte Konzern damals auch mit der Ankündigung einer Komplettübernahme seiner Lkw-Tochter Scania. Fast sieben Milliarden Euro soll dies kosten.
15 Millionen für Winterkorn
Am Rande der Bilanzpressekonferenz enthüllte Volkwagen nun eine weitere Kennzahl: Der Konzern belohnt seinen Chef Winterkorn für das Erfolgsjahr 2013 mit einer Vergütung in Höhe von 15 Millionen Euro. Die Summe liegt rund eine halbe Million Euro oder gut 3 Prozent über dem Vorjahresniveau. Schon damals war er der bestbezahlte Vorstandschef in Europa. Wie aus dem in Berlin präsentierten Geschäftsbericht weiter hervorgeht, erhalten die neun VW-Vorstände zusammen insgesamt sogar 64,1 Millionen Euro - ein Plus von gut 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert.
Die Vorstands-Saläre setzen sich aus drei Säulen zusammen: Zwei Komponenten sind erfolgsabhängig und damit variabel. Die dritte Säule besteht aus einer Art fixem Grundgehalt. Der VW-Aufsichtsrat hatte vor einem Jahr die erfolgsabhängigen Bonuszahlungen gekappt. Zuvor hatte Winterkorn für das Jahr 2012 rund 17,5 Millionen Euro bekommen.
Starke Reaktionen an der Börse
Im Frankfurter Aktienhandel kommt das neue Absatzziel offenbar gut an: Die im Dax notierten Vorzugsaktien reagierten mit einem deutlichen Kurssprung. Zwischenzeitlich legten die Titel um fast 4 Prozent zu. Die Zielmarke von zehn Millionen Einheiten könnte VW damit schon vier Jahre früher erreichen als bislang geplant. "Nach der schwachen Kurs-Entwicklung seit Jahresanfang war die Aktie etwas aus dem Fokus gerutscht", kommentierte ein Händler. "Mit so einer starken Aussage werden natürlich Käufer in den Markt gedrängt."
Ein anderer Händler führt den plötzlichen Kurssprung allerdings auf "Roboter" zurück: "Die erste VW-Meldung, die über die Ticker lief, war die mit dem vorgezogenen Absatzziel. Darauf sind dann die Maschinen alle gesprungen". Dass die restlichen Aussagen und vor allem der Ausblick "eigentlich ziemlich vorsichtig sind", sei dabei nicht berücksichtigt worden. Übergeordnet sei der Ausblick jedoch "im Rahmen des zu Erwartenden", meinte er mit Blick auf die bekräftigte Prognose für 2014. Der Aktienkurs könnte sich daher im Tagesverlauf wieder beruhigen. Am frühen Nachmittag notiert der VW-Kurs 3,2 Prozent im Plus bei 186,25 Euro - und damit deutlich besser als der Gesamtmarkt.
Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts