Wirtschaft

Verfassungsrichter entscheiden Darf Draghi den Euro retten?

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Mit einem einzigen Satz sorgt EZB-Präsident Mario Draghi 2012 dafür, dass die Schuldenkrise nicht außer Kontrolle gerät. Seine Ankündigung stößt in Deutschland dennoch auf wütende Kritik. Nun fällt das Verfassungsgericht ein Urteil.

Ist eine der wichtigsten Entscheidungen der Europäischen Zentralbank im Kampf gegen die Schuldenkrise vereinbar mit dem deutschen Grundgesetz? Darüber urteilt am Dienstag das Bundesverfassungsgericht - und befindet sich damit in einer durchaus unangenehmen Situation.

Das OMT-Programm

OMT wurde Ende 2012 beschlossen. Damit konkretisierte der EZB-Rat (gegen die Stimme von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann) die Aussage von EZB-Präsident Mario Draghi vom Juli 2012, die EZB werde alles von ihrem Mandat gedeckte ("what ever it takes ...") tun, um den Bestand des Euro zu sichern. Ob er das durfte, darüber geht die Meinung unter Juristen und Ökonomen auseinander.

Diese "What-ever-it-takes"-Aussage wird im ordnungspolitisch geprägten Deutschland oft als Sündenfall und als Anfang vom Ende einer unabhängigen Zentralbank interpretiert. Außerhalb Deutschlands, vor allem in Südeuropa und den USA, finden Experten Draghis Vorgehen dagegen völlig normal: Welche Zentralbank würde schon zulassen, dass "ihre" Währung bedroht wird?

Konkret ist die EZB im Rahmen von OMT bereit, ohne Mengenbegrenzung Anleihen eines Staats am Sekundärmarkt zu kaufen, wenn dessen Zinsen auch deshalb überhöht sind, weil an den Finanzmärkten der Eindruck besteht, dass dieser Staat gegen seinen Willen aus dem Euro ausscheiden könnte.

Damit erzeugt sie eine zusätzliche Nachfrage nach diesen Papieren. Deren Preis steigt, spiegelbildlich sinkt die Rendite. Regierungen können bei neuen Emissionen den Käufern von Staatsanleihen weniger Zins bieten, damit die eine neue Emission zeichnen.

Der Stein des Anstoßes: Vor rund vier Jahren hatte die EZB angekündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von angeschlagenen Euro-Staaten zu kaufen. Die Renditen für Staatsanleihen auch von Schwergewichten wie Italien und Spanien waren zuvor in die Höhe geschossen, den Ländern fiel es damit immer schwerer, ihre Schulden zu bedienen. Mit anderen Worten: Es war denkbar, dass die dritt- und die viertgrößte Volkswirtschaft des Eurozone zahlungsunfähig werden - mit ungewissen Konsequenzen.

Und so sprach Mario Draghi einen denkwürdigen Satz: Der EZB-Präsident kündigte an, die Zentralbank werde alles tun ("Whatever it takes"), um den Euro zu verteidigen. Wenig später beschloss die EZB, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von bedrohten Staaten zu kaufen. Dieses OMT genannte Programm wurde zwar nie eingesetzt. Doch allein die demonstrative Entschlossenheit reichte aus, um die Märkte zu beruhigen, die Renditen zu drücken und die Staatsschuldenkrise zu entschärfen.

In Deutschland stieß die Ankündigung dennoch nicht gerade auf Begeisterung, im Gegenteil. Neben lauter Kritik gab es eine Klagewelle. Der Vorwurf: Die EZB habe ihr geldpolitisches Mandat überschritten, denn OMT sei nichts anderes als verbotene Staatsfinanzierung durch die Notenpresse.

Das Bundesverfassungsgericht folgte vor rund zwei Jahren im Prinzip der Argumentation der Kläger, unter ihnen der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Die Richter vertraten die Auffassung, dass die OMT-Käufe gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen. Doch zugleich legten sie den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vor.

Dieser billigte allerdings das OMT-Programm, machte für eine Aktivierung ähnliche Vorgaben wie das Verfassungsgericht und gab den Fall nach Karlsruhe zurück. Die vom EuGH gemachten Auflagen sieht die Zentralbank als unproblematisch an: EZB-Direktor Yves Mersch bezeichnete sie im Februar bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe gar als "Eckpunkte unserer Arbeitsweise".

Die EZB kaufe die Anleihen nicht direkt von Staaten, sondern nur auf dem sogenannten Sekundärmarkt, zu dem nicht mehr kreditwürdige Staaten keinen Zugang haben, so Mersch. Überdies müsse die EZB vor einem Kauf eine ausreichende Frist verstreichen lassen, damit sich ein Marktpreis bilden könne. Zudem würden nur Anleihen von Staaten gekauft, die sich zuvor dem sogenannten ESM-Rettungsschirm und den damit verbundenen Auflagen unterwerfen. Die Bundesregierung entscheide außerdem mit über die Aufnahme eines Staats in das ESM-Programm und sei so mittelbar auch in OMT eingebunden.

EZB kauft üppig

Wesentlicher für das Verfassungsgericht dürfte aber sein, dass der EuGH den zentralen Kritikpunkt der Kläger zurückgewiesen hat: Die Richter sind der Auffassung, dass die EZB ihr Mandat durch das OMT-Programm nicht verletzten würde. Es sei zwar richtig, dass die EZB vorrangig die Preisstabilität gewährleisten solle. Sie dürfe aber auch "ohne Beeinträchtigung dieses Ziels die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union unterstützen", hatten die Luxemburger Richter entschieden.

Es ist durchaus möglich, dass Karlsruhe dies grundsätzlich nun auch so sieht. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass das Gericht von seiner Kritik an der EZB völlig abrückt - denn das dürfte als Gesichtsverlust empfunden werden.

Im Februar hatte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle signalisiert, dass ein scharfer Bruch mit dem EuGH vermieden werden soll. Voßkuhle betonte, dass die vom Verfassungsgericht geforderten Vorgaben zur Einschränkung des OMT-Programms in dem EuGH-Urteil weitgehend berücksichtigt worden seien.

Gleichwohl könnte das Verfassungsgericht aber Bundesregierung und Parlament Auflagen mit auf den Weg geben, ab wann und inwieweit sie die Reißleine zu ziehen haben. Dies könnte den Karlsruher Richtern erlauben, trotz bestehender Bedenken dem OMT-Programm zuzustimmen.

Unabhängig davon, wie das Urteil ausfällt: Seit März 2015 kauft die EZB zusammen mit den nationalen Notenbanken im Währungsraum im Rahmen des "Quantitative Easings" (QE) Staatsanleihen der Euro-Länder. Das offizielle Ziel: Die niedrige Inflation soll angeheizt werden.

QE wird damit als geldpolitisches Instrument für ganz andere Zwecke eingesetzt als OMT. Letztendlich ist bei QE die Wiederherstellung von Preisstabilität das Ziel, was die EZB als Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent definiert. Bis mindestens Ende März 2017 will die EZB im Rahmen dieses Programms Staatsanleihen und andere Wertpapiere - darunter seit kurzem auch Unternehmensanleihen - im Volumen von insgesamt 1,74 Billionen Euro erwerben. Pro Monat sind Wertpapierkäufe im Volumen von 80 Milliarden Euro geplant.

Auch gegen diese Maßnahme gibt es Verfassungsbeschwerden. Wann darüber entschieden wird? Ungewiss.

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa/AFP

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