Wirtschaft

So finanzieren sich die IS-Kämpfer Der Ölkrieg des Terror-Staats

Der Siegeszug des Islamischen Staats ist blutige Eroberung und wirtschaftliche Erfolgsgeschichte zugleich.

Der Siegeszug des Islamischen Staats ist blutige Eroberung und wirtschaftliche Erfolgsgeschichte zugleich.

(Foto: REUTERS)

Mit Panzern und Humvees walzt der Islamische Staat ganze Landstriche in Syrien und im Irak brutal nieder. Die Terror-Miliz ist viel gefährlicher als Al-Kaida. Denn sie kämpft mit einer Waffe, die Osama bin Laden nie hatte.

Wo immer die Flagge des Islamischen Staats (IS) weht, gibt es kein Erbarmen. Die Kämpfer des Kalifats steinigen Ehebrecher, kreuzigen öffentlich ihre Gegner und schneiden Geiseln die Köpfe ab. In der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul, die sie schon im Juni überrannten, ermordeten sie 670 Häftlinge. Einfach weil sie keine Sunniten waren.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel nennt IS eine "extreme Bedrohung", gefährlicher als Al-Kaida: Die Terror-Miliz verbinde Ideologie mit geballter militärischer Schlagkraft. Und verfüge über riesige Finanzmittel. Es sind nicht nur ihre Panzerwagen und blutigen Sturmangriffe, die die Dschiihadisten so gefährlich machen. Das Kalifat ist auch wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte.

Der Terror-Staat finanziert sich selbst

Eine Armee ist umso schlagkräftiger, je stärker die Wirtschaft des Landes ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der "Islamische" nicht von jedem anderen Staat der Welt: Die Finanzen entscheiden mit über Sieg oder Niederlage. Anders als Al-Kaida, die auf Spenden von reichen Unterstützern in den Golfstaaten angewiesen war, finanziert sich der Islamische Staat selbst. Genau das macht ihn gefährlicher als Osama bin Ladens Organisation von Exil-Terroristen im weit abgelegenen Afghanistan.

Bei der Eroberung von Mosul sollen die Terroristen fast eine halbe Milliarde Dollar von der irakischen Zentralbank erbeutet haben. Eine weitere lukrative Einnahmequelle sind offenbar Lösegelder: Für James Foley, den US-Reporter, den der IS vergangene Woche enthauptete, forderten die Terroristen 100 Millionen Dollar. Mindestens 20 westliche Geiseln sind in Syrien noch in der Hand von Dschihadisten-Milizen. Ein 27-jähriger Brandenburger entkam den Terroristen nach über einem Jahr Gefangenschaft - gegen eine "substanzielle Gegenleistung", berichtete die Welt am Sonntag. Das Auswärtige Amt hat das allerdings dementiert.

Die gefährlichste Waffe des Kalifats

Doch Kriegsbeute und Lösegelder sind Sonderposten in der Bilanz des Terror-Staats. Seine Haupteinnahmequellen liegen woanders. Der IS ist so stark, dass er sogar "Steuern" erhebt: Schutzgeld von Minderheiten, Bauern und Landbesitzern. Und den regulären Staat ersetzt: Seinen Kämpfern zahlt der IS Sold, für die Bevölkerung gibt es Sozialleistungen. Auch in Nordsyrien hat er seine Herrschaft nach dem blutigen Sturm des Militärflughafens Al-Tabka, der letzten Bastion des Assad-Regimes in der Gegend, zementiert. Der IS herrscht nun ungestört über den gesamten Nordosten Syriens.

Genau dort, in der Gegend um Rakka, Deir ez-Zor und Hassaka, wo das Herz des IS schlägt, liegen auch seine größten Aktivposten - die wichtigsten Ölfelder Syriens. Sie sind das eigentliche Erfolgsgeheimnis des Kalifats: Die IS-Dschihadisten sitzen im Grenzgebiet zwischen Euphrat und Tigris auf einem Schatz, den Osama bin Ladens Al-Kaida im afghanischen Hindukusch nie hatte: Öl. Es ist die gefährlichste Waffe des Islamischen Staats.

Eine Milliarde Dollar jährlich

Die Extremisten erobern gezielt Ölressourcen und -infrastruktur. Sie wollen damit eine Basis für ihren Staat legen. Im Juni besetzten sie das größte syrische Ölfeld bei Deir ez-Zor. Die größte Raffinerie des Irak in Baiji haben sie noch nicht eingenommen, greifen sie aber immer wieder an. Mindestens vier Ölfelder bei Mossul sind nun seit Juni in ihrer Hand. 80.000 Barrel tägliche Förderkapazitäten sollen die Dschihadisten inzwischen kontrollieren - mehr als die gesamte Tagesproduktion Tunesiens.

Das Kalifat sei in der Lage, täglich Öl für bis zu drei Millionen Dollar zu verkaufen, sagte Theodore Karasik, Forscher am Think Tank Inegma aus Dubai kürzlich dem US-Sender CNN. Der Chef der kurdischen Regionalregierung Massud Barsani hat laut CNN diese Größenordnung bestätigt. IS könnte demnach allein durch Öl mehr als eine Milliarde Dollar jährlich einnehmen. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Die Kurden wollen den Schrecken des IS möglichst aufbauschen, um Waffenlieferungen zu rechtfertigen.

Käufer zu finden dürfte für die Terroristen ein Leichtes sein. Denn sie haben ein unschlagbares Argument: Das Kalifat verschleudert sein Öl für 25 bis 60 Dollar pro Fass auf dem Schwarzmarkt - der offizielle Ölpreis liegt bei etwa 100 Dollar. Bei solchen Dumpingpreisen ist das Öl der Dschihadisten ein lukratives Schnäppchen für allerlei dunkle Gestalten.

Selbst Assad und die Kurden kaufen bei IS

"Wir verkaufen das Öl für einen Bruchteil des regulären Preises an Geschäftsleute, die uns nahestehen und es dann wiederum an Schmuggler in der Türkei verkaufen", zitiert die Journalistin Souad Mekhennet in der FAZ Abu Yusaf, einen Sicherheitschef des Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi. Angeblich soll das Öl sogar über unterirische Pipelines in die Türkei kommen. Ohne das Wissen der türkischen Regierung dürfte der Schmuggel kaum möglich sein.

Und noch eine Absurdität bringt der brutale Bürgerkrieg in Syrien hervor: Das Assad-Regime und die Kurden, die erbittertsten Gegner des Islamischen Staates, sind offenbar selbst seine besten Kunden. Schließlich sieht man dem Öl nicht mehr an, woher es kommt, wenn der IS es einmal weiterverkauft hat. Ein kurdischer Händler berichtete anonym gegenüber "Asharq al-Awsat", der führenden pan-arabischen Zeitung, er habe IS-Öl in die irakischen Kurdengebiete geschmuggelt, seitdem der IS weite Teile der Region überrannt hat. Eine weitere anonyme Quelle bestätigte, das Öl werde sogar bis nach Pakistan verfrachtet.

Die "New York Times" berichtete unter Berufung auf US-Beamte, Assad habe den IS gezielt gestärkt, indem er ihr Öl kaufe und die Dschihadisten von Bombardements verschone. Laut Aktivisten soll auch die islamistische Nusra-Front Öl an Assad liefern, um im Gegenzug Strom zu bekommen und Luftangriffen zu entgehen.

Der perfekte Ort für Öl-Terroristen

Und noch etwas treibt das schmutzige Wirtschaftsmodell des IS an: Die Kurden und die irakische Zentralregierung liefern sich seit Jahren einen Machtkampf um die Kontrolle des Öls im Nordirak. Der Streit lähmt die Förderung, ein Öl-Gesetz wartet seit 2008 auf seine Verabschiedung. Seit wenigen Monaten exportieren die Kurden deshalb Öl ohne die Zustimmung der Zentralregierung. Ein idealer Nährboden für Schmuggler.

Der Konflikt zwischen Bagdad und den Kurden spielt dem IS in die Hände: Das gigantische Ölfeld bei Kirkuk, eines der drei Mega-Vorkommen, aus dem der Großteil der irakischen Förderung stammt, haben die kurdischen Peschmerga im Juli besetzt. Nicht unbedingt, um es vor dem IS zu retten, sondern um zu verhindern, dass die Bagdader Regierung ihre Exporte sabotiert.

Der Irak ist der perfekte Ort für die Öl-Terroristen: Das Land hat die fünftgrößten Reserven der Welt und ist nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Produzent. Viele Felder im Norden sind seit Jahren außerhalb der Kontrolle der Regierung. Der Ölschmuggel hat Tradition. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass das Kalifat jemals einen großen Marktanteil erobert: drei Viertel von Iraks Öl-Exporten kommen laut US-Energiebehörde aus dem Süden. Doch rund 17 Prozent der Reserven liegen in der Nähe von Mossul und Kirkuk. Das reicht, um sich vollzusaugen.

Zwar kommen auf Dauer auch auf den IS Probleme zu: Iraks Förderanlagen sind veraltet. Viele Felder sind noch gar nicht erschlossen. Unter den Kämpfern des Kalifats dürften sich auch kaum qualifizierte Ölarbeiter befinden. Doch die Pipeline für den Export in die Türkei läuft von Baiji an Mossul vorbei und dann nach Norden über die türkische Grenze - mitten durch IS-Gebiet. Die Röhre ist die Lebensader des Islamischen Staats: Notfalls kann er sich den Treibstoff für sein Wachstum einfach abzapfen.

Quelle: ntv.de

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