Wirtschaft

Was bringt 2024? Der deutschen Autobranche droht eine "Existenzkrise"

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VW steht mit seinen ID-Modellen in einem harten internationalen Konkurrenzkampf.

VW steht mit seinen ID-Modellen in einem harten internationalen Konkurrenzkampf.

(Foto: Volkswagen)

Auf der IAA in München dominieren chinesische Elektroauto-Hersteller das Geschehen. In China verliert der langjährige Marktprimus Volkswagen mehr und mehr an Boden. Zwei Fakten, die zeigen, dass sich die Autoindustrie wandelt - sehr schnell. Düstere Zeiten für die heimischen Autokonzerne? Muss sich Deutschland nun an China orientieren? Was wird zudem aus Tesla? Automobilexperte Helmut Becker liefert ntv.de Antworten.

ntv.de: Herr Becker, das Autojahr 2023 war hochspannend. Wie könnte 2024 werden?

Helmut Becker: 2024 wird noch spannender! Wie geht es in der Politik weiter, wie in der Ökonomie? Kann Deutschland sich durch die Krisen links und rechts weiter so durchschlängeln wie bisher? Wie kann die Autoindustrie das alles abfedern, was auf sie zukommt?

Das sind sehr viele offene Fragen …

Richtig, und Vorhersagen sind wie immer schwierig. Dennoch, trotz aller Unsicherheit: Der Mainstream der Prognosen ist verhalten optimistisch. Dem schließe ich mich an: schwaches Wachstum, rückläufige Inflation, sinkende Zinsen - immerhin.

Also auch im neuen Jahr eine schwierige Gemengelage: Rechnen Sie mit externen Störfaktoren, vielleicht von politischer Seite? So stehen im Januar bereits Wahlen in Taiwan an, die das Verhältnis zwischen den USA und China belasten könnten - und dann folgen Ende des Jahres noch die US-Präsidentschaftswahlen …

Seit Beginn der 2020er-Jahre haben wir Störfaktoren genug. Die werden auch 2024 noch virulent sein: Krieg in der Ukraine, Nahost-Krieg beispielsweise. Ob Taiwan und die Präsidentschaftswahl in den USA den Krisenreigen erweitern werden, ist nicht vorhersehbar. Sollte China bei Taiwan militärisch Ernst machen und Trump die Wahl in den USA Ende des Jahres gewinnen, ist alles denkbar.

Was könnte denn ein US-Präsident Donald Trump für die globale Autoindustrie bedeuten?

Kurz, knapp und drastisch ausgedrückt: dramatischer Einbruch bei Produktion, Absatz und Beschäftigung. Am Ende vielleicht sogar ein schwerer Handelskrieg!

Also sollten die deutschen Konzerne eine Wahl Trumps fürchten?

Ich denke schon. Erinnern wir uns an die Parole "America First", die seine letzte Amtszeit geprägt hat. Die deutsche Autoindustrie lebt zu 80 Prozent vom Export. Selbst der Primäreffekt einer Störung im Außenhandel mit China und den USA reicht aus für eine Rezession. Aber dabei würde es ja nicht bleiben: Die negativen Sekundäreffekte, also die kaskadenartigen Folgewirkungen bei den europäischen Partnern sowie dem Rest der Welt würden hier eine Existenzkrise hervorrufen. Das muss man so klar sagen! Auch um wieder wertzuschätzen, was die Politik bis heute trotz aller externen Schocks und Belastungen verhindern konnte.

Überhaupt: Wie sehen Sie die deutschen Autobauer und -zulieferer für 2024 aufgestellt?

Eindeutig schlechter als 2023. Der globale Wettbewerbsdruck nimmt generell zu. Die chinesischen Hersteller drängen immer stärker auf den Weltmarkt. Die Preise sinken und damit auch die Renditen.

Worauf sollten sich die deutschen Branchenvertreter konzentrieren? Wo sollte ihr Fokus liegen?

Auf zweierlei: Bei der Elektromobilität das machen, was die Chinesen auf breiter Front in den letzten 30 Jahren praktiziert haben - Kopieren und mit Autofirmen Partnerschaften eingehen, um Elektro-Plattform-Knowhow zu transferieren. Andererseits sollten sie aber auch das Thema Verbrenner warmhalten. Noch haben wir hier Vorsprünge, die es auszubauen gilt für das Zeitalter der synthetischen Treibstoffe, das mit Sicherheit kommen wird.

Apropos: Wie wird sich der deutsche Autoabsatzmarkt 2024 entwickeln?

Für 2023 ist in etwa mit 2,83 Millionen Neuzulassungen zu rechnen. Das sind 6,8 Prozent mehr als 2022. Da sich die gesamtwirtschaftlichen Konjunktur- und Wachstumserwartungen eher verschlechtert haben, dürfte für den deutschen Automarkt 2024 allenfalls ein kleines Wachstum zu erwarten sein. Die bisherigen Zulassungs-Prognosen liegen entsprechend dicht beieinander, reichen im Schnitt von 2,8 bis 2,9 Millionen. Ein Selbstläufer wird 2024 also nicht.

Mal weg aus Deutschland. China ist und bleibt der wichtigste Autoabsatzmarkt für die gesamte Branche, politische Spannungen hin oder her. Elektromobilität wird dort großgeschrieben. BYD ist mittlerweile Weltmarktführer, drängt nach Europa. Wird 2024 das Jahr der chinesischen Autobauer?

China bringt heute etwa 25 Millionen Neuwagen auf die Straße, davon sind zwei Drittel immer noch Verbrenner. Aber China ist Weltmarktführer bei Elektroautos und BYD wiederum mit 2,5 Millionen Weltmarktprimus bei elektrisch betriebenen Fahrzeugen - Batterieautos (BEV) und Plug-In-Hybride (PHEV) zusammengezählt. BYD ist damit inzwischen größer als BMW oder Mercedes-Benz. Selbst wenn man nur die BEV betrachtet, hat BYD mittlerweile den E-Auto-Pionier Tesla überholt.

Und BYD zieht es nach Europa …

Richtig. BYD ist dabei kein Einzelfall: Mindestens ein Dutzend chinesische E-Auto-Bauer wollen auf dem europäischen Markt Fuß fassen. Ob dieser Angriff erfolgreich sein wird, muss sich aber erst noch zeigen. In der Vergangenheit enttäuschten die Autohersteller aus dem Reich der Mitte in Europa regelmäßig.

Wo sehen Sie deren Stärken?

Chinesische Autobauer haben extrem schnell gelernt - auch ich habe mich getäuscht, Asche auf mein graues Haupt. Ihre Autos sind inzwischen qualitativ hochwertig und wettbewerbsfähig; sie bieten kleinere und billigere Autos für den Massenmarkt. Aber noch nicht so billig, dass sie bei uns massenhaft gekauft würden.

Nochmals eine Prognose: Welcher Autokonzern könnte dieses Jahr für eine positive Überraschung sorgen - international und national betrachtet?

International neben BYD vor allem Hyundai. Der südkoreanische Hersteller hat klammheimlich Marktanteile hinzugewonnen. Hyundai ist sehr innovativ, auch im Vertrieb, was die Kooperation mit Amazon zeigt. In Europa sehe ich nach wie vor Skoda und die Elektro-Tochter Cupra von Seat stark positioniert.

Und national?

National könnte und muss VW positiv überraschen - auch dank Skoda und Cupra.

Wie ist es um den Elektroauto-Pionier Tesla bestellt?

Es sieht so aus, als ob die große Zeit von Tesla vorbei ist. Wachstumsraten wie in den ersten Jahren wird es nicht mehr geben, auch weil die Modelle mittlerweile in die Jahre gekommen sind. Überhaupt ist die Modellpolitik des Musk-Konzerns verbesserungswürdig. Richtig erfolgreich sind nur Model 3 und Model Y. Der E-Pickup Cybertruck, der in den USA seit ein paar Wochen erhältlich ist, dürfte auf Jahre nicht profitabel sein. Der Startpreis für das Edelstahlmonster ist einfach zu hoch. Hierzulande darf man den Cybertruck zudem nur mit LKW-Führerschein fahren. Das ist nicht wirklich ein Kaufargument!

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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