Wirtschaft

Bauernverband zum Milchgipfel "Die Bitte um Unterstützung ist legitim!"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Die Politik kann die Landwirtschaft nicht scheitern lassen, sagt der Bauernverband. Nur den Staat melken hilft den Bauern auf Dauer auch nicht. n-tv.de spricht mit Generalsekretär Krüsken über Gipfelhoffnungen und Zukunftsaussichten.

n-tv.de: Die Verbraucher freuen sich über die billige Milch, Niedrigpreise schonen das Portemonnaie. Sparsame Verbraucher sind aber auch skeptische Steuerzahler. Wie erklären Sie denen, dass die Milchwirtschaft gerettet werden muss?

Bernhard Krüsken: Das klingt, als hätten die Bauern beschlossen, den Markt mit Milch zu fluten. Tatsache ist: Die Milchanlieferung in Deutschland liegt im Mai 2016 sogar etwas unter dem Niveau von Mai 2014. Damals hatten wir einen Preis von fast 40 Cent. Jetzt laufen wir auf die 20 Cent zu. Das zeigt, die Probleme liegen vor allem auf der Nachfrageseite. Wir haben einen starken Preisdruck von Märkten, die wegen politischer Entscheidungen weggefallen sind. Das Russland-Embargo zum Beispiel. Für solche Entscheidungen sollten die Bauern nicht bezahlen. Außerdem: Wenn sich Politik, Gesellschaft, Verbraucher und Lebensmittelhandel einig sind, dass sie eine heimische, eine nachhaltige und gute Landwirtschaft wollen, dann ist in dieser extremen Situation auch die Bitte um Unterstützung legitim.

Die Milchbauern sind doch eigentlich selbst schuld an der jetzigen Misere. Sie haben sich von den rosigen Brancheneinschätzungen der Molkereien täuschen lassen. Sie haben geopolitische Risiken ausgeblendet. Andere Branchen müssen Fehleinschätzungen auch aushalten. Warum schafft das die Milchbranche nicht?

Das ist eine Frage von Anreizen und Vermarktungsstrukturen. Sie sagen, da gab es eine Fehleinschätzung. Das suggeriert, dass es eine zentrale Planung gab. Wenn wir von der Vermarktung die richtigen Signale bekommen würden, dann wäre das Aussteuern von Angebot und Nachfrage relativ einfach und für den einzelnen Betrieb wirtschaftlich kalkulierbar. Im Moment ist das jedoch nicht der Fall. Die Mechanismen in der Vermarktung funktionieren nicht. Hier kann der Staat uns nicht helfen. Wir müssen uns mit den Molkereien auseinandersetzen.

Deutsche Bauern trifft es besonders hart. In Deutschland ist Milch so billig wie nirgendwo sonst in Europa. Sind die Discounter schuld an der Misere der deutschen Bauern?

Zu sagen, die Discounter seien schuld, greift zu kurz. Ein Discounter kann die Milch für zehn Cent weniger ins Regal legen und beim Erzeuger kommt trotzdem das gleiche Geld wie vorher an. Wegen der anderen Kostenstruktur kann der Discounter sogar der bessere Kunde als der Vollsortimenter sein. Aber nehmen wir Frankreich als Beispiel: Dort ist der Milchpreis auch nicht höher als in Deutschland. Aber die Ware in den Regalen wird deutlich teurer angeboten. Man kann keine pauschalen Aussagen treffen.

Hans Foldenauer vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter sagte kürzlich, der Staat müsse helfen, weil die Milchwirtschaft "too big to fail" sei. Eine Anspielung auf die Bankenrettung. Ist das so?

Im ökonomischen Sinne ist das "too big to fail" leider nicht richtig. Milchpulver und Butter kann man auch anderswo produzieren, zum Beispiel in Neuseeland. Wahrscheinlich meinte er damit, dass Gesellschaft, Politik und Medien ein sehr starkes Interesse an Landwirtschaft und Ernährung haben. Nehmen Sie die Skandalgeschichten, Gammelfleisch etc. Die Politik kann es sich nicht leisten, Landwirtschaft scheitern zu lassen. Die Verbraucher würden das nicht gutheißen.

Sie fordern eine faire Risikoverteilung in der Wertschöpfungskette – zwischen Bauern, Molkereien und Handel. Wie sähe die aus?

Fair ist ein zu subjektives Wort. Objektiv gesehen sind immer größere Teile der Wertschöpfung nicht mehr in der Landwirtschaft. Im Moment können sich alle Akteure gut arrangieren. Die Molkereien, weil sie die niedrigen Preise an die Landwirte weitergeben und außerordentlich niedrige Rohstoffkosten haben. Der Lebensmittelhandel kommt auch klar: Er macht seinen Wettbewerb und kann sich hinter der Formulierung verstecken, wir bringen nur ins Regal, was der Markt hergibt. Nur einer kann nicht mit dieser Situation leben: der Milcherzeuger. Das hat mit Macht und Kräfteverhältnissen zu tun. Hier müssen wir einen Weg finden.

Und wo liegt der?

Alles auf den Märkten hat mit Angebot und Nachfrage zu tun. Das muss in Einklang gebracht werden. Weil es staatlich nicht funktioniert, kann es im Grunde nur an der Schnittstelle zwischen Landwirt und Molkerei gelingen. Molkereien bedienen Märkte, sie müssen abschätzen, ob sie eine gute Preis-Mengen-Kombination hinbekommen und das müssen sie mit ihren Erzeugern rückkoppeln: So bekommt man einen Steuerungseffekt hin. Nur so kann es funktionieren.

Was ist mit dem dritten im Bunde, dem Handel?

Der will eine nachhaltige, heimische, regionale Milcherzeugung. Wenn Sie die Einkaufsbedingungen kennen, dann wissen Sie, dass sich das mit dem Milchpreisniveau nicht realisieren lässt. Wenn der Handel diese Qualität will, dann gehört dazu eine wirtschaftliche Perspektive für die Milcherzeuger. Ansonsten funktioniert das nicht. 

Die Wiederbelebung der Milchquote zur Mengenreduzierung lehnen sie ab. Warum?

Weil sie in offenen Märkten nicht funktioniert. Deshalb wurde sie abgeschafft. Nehmen wir zum Beispiel den Preisvergleich von Mai 2016 mit Mai 2014: Diese Differenz hätte auch eine staatliche Mengensteuerung nicht bewältigt. Dazu kommt die Bürokratie: Wenn Sie eine kurzzeitige "Milchquote light" machen wollen, müssen Sie trotzdem in jeden einzelnen Betrieb hineingehen. Damit kommen Sie administrativ in "Teufelsküche", will sagen in einen riesigen Aufwand.

Im Gespräch sind Direkthilfen für die deutschen Bauern von 60 bis 100 Millionen Euro. Reicht das?

Ich glaube, eine akute Krisenhilfe im Sinne eines Feuerwehrfonds ist dringend nötig. Eine Summe in dieser Höhe wird die Krise aber nicht lösen, es wäre allenfalls eine Unterstützung. Die Politik kann das Problem auch nicht alleine lösen. Uns schwebt deshalb ein Paket aus mehreren Komponenten vor. Mit den Molkereien und dem Handel sind wir schon länger in der Diskussion. Auf dem Gipfel sollten jetzt Richtungsentscheidungen getroffen werden.

Der Außenschutz wird immer brüchiger – denken wir an das Handelsabkommen TTIP. Wie wird die deutsche Milchwirtschaft in zehn Jahren aussehen?

Der Strukturwandel wird weitergehen. Wenn wir jetzt keine Überbrückungshilfe organisieren können und nicht bei der Molkereistruktur und bei den Lieferbeziehungen weiterkommen, dann wird von der Milchwirtschaft in zehn Jahren nicht mehr viel übrig sein. Bei TTIP wird es darauf ankommen, wie der Schutz der sensiblen Produkte – Fleisch, Milch, Getreide, Zucker – realisiert wird. Wir gehen davon aus, dass wir Tarifquoten bekommen, die dann sicherstellen, dass es keinen unbegrenzten Marktzugang für US-amerikanische Produkte in die EU geben wird. Das ist die entscheidende Stellgröße.

Mit Bernhard Krüsken sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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