Wirtschaft

Jahrelange Insolvenzverschleppung? Die Horror-Bilanz der Griechenland-Hilfen

Das griechische Parlament spiegelt sich in Glasscheiben.

Das griechische Parlament spiegelt sich in Glasscheiben.

(Foto: REUTERS)

Die Lage in Athen ist katastrophal. Die Gläubiger haben vieles falsch gemacht, sagt Linken-Politiker Hunko. Nackte Zahlen zeigen es, nicht nur die Regierungen in Athen haben versagt. Von einer "Griechenland-Rettung" kann kaum die Rede sein.

Seit 2010 halten EU, EZB und IWF Griechenland finanziell über Wasser - und doch wird die Lage immer schlimmer. Bislang konnten sie den Staatsbankrott zwar abwenden. Immerhin sind sogenannte Hilfskredite in Höhe von rund 240 Milliarden Euro nach Griechenland geflossen. Aber heute steht Athen näher am Abgrund denn je. Wenn sich die EU und die griechische Regierung nicht bis Ende April einigen, ist der Staat pleite. Der Versuch, Griechenland zu retten, wäre dann nur eine jahrelange Insolvenzverschleppung.

Den Misserfolg der Troika-Politik der vergangenen Jahre belegt eine 40 Seiten lange Antwort der Bundesregierung auf einen Fragenkatalog der Linksfraktion, der n-tv.de vorliegt. Sie enthält viele Daten, die den wirtschaftlichen Schrumpfungsprozess über die vergangenen Jahre dokumentieren. Für Linken-Politiker Andrej Hunko zeigt sie in der Summe, "dass der bisherige Ansatz der Griechenland-Programme auf ganzer Linie gescheitert ist". Die Krise sei dadurch nur weiter hinausgezögert worden. In diesem Punkt stimmen viele Experten, egal welcher Parteizugehörigkeit, mit ihm überein.

Die Antworten der Bundesregierung zeigen vor allem, dass viele Troika-Annahmen von Beginn an viel zu optimistisch waren. Zudem wurden auch keine Korrekturen vorgenommen, wenn die Prognosen auf der Strecke nicht zutrafen. Das hatte schwerwiegende Folgen sowohl für die Wirtschaftsleistung als auch für den Sozialstaat. Dass Griechenland immer tiefer im Schuldensumpf versackt ist, hat zum Teil zumindest auch mit diesen falschen Annahmen zu tun.

Wirtschaft abgewürgt

Der erste kapitale Rechenfehler der Gläubiger betrifft das griechische Wirtschaftswachstum: Grundlage der internationalen Hilfen war die Annahme, dass Griechenland - trotz harter Sparvorgaben - schon ab 2012 um 1,1 Prozent wachsen würde. Tatsächlich schrumpfte die Wirtschaftsleistung in dem Jahr aber um 6,6 Prozent. In den Jahren von 2010 bis 2014 brach sie sogar um mehr als ein Fünftel ein. Die Staatsverschuldung kletterte gleichzeitig von rund 300 Milliarden im Jahr 2009 auf 318 Milliarden Euro 2014. Politische Konsequenzen hatte das nicht.

Obwohl die Fieberkurve über die Jahre stieg und Griechenland immer mehr an den Spar- und Reformvorgaben krankte, blieben die Geldgeber hart auf Kurs. Von einem "Sparprogramm" zu sprechen, sei falsch, sagt der Linken-Politiker. Die Gläubiger redeten bewusst von "Austeritätsprogramm", was aus dem Lateinischen übersetzt so viel wie Programm der Härte oder Strenge bedeutet.

Zum Besseren hat sich unter diesem Programm wenig entwickelt. Geändert hat sich hingegen die Gläubigerstruktur. War Griechenland vor fünf Jahren noch zu 94 Prozent bei privaten Gläubigern verschuldet, ist deren Anteil seither auf rund 11 Prozent geschrumpft, wie ebenfalls aus der Anfrage hervorgeht. Die griechischen Schulden bei Banken wurden von öffentlichen Geldgebern - EU, EZB und IWF - abgelöst. Die meisten "Hilfsgelder" sind direkt in den Finanzsektor geflossen, die Griechen selbst haben davon nichts gesehen.

Grundfalsch waren auch die Annahmen der Troika, was das griechische Tafelsilber am Markt bringen würde. Wie aus den Antworten weiter hervorgeht, sollte die Privatisierung der griechischen Staatskasse in den vergangenen Jahren 22 Milliarden Euro bringen. Noch für dieses laufende Jahr weist die EU optimistische 2,2 Milliarden aus. Dabei brachte der Verkauf von staatlichen Besitztümern insgesamt bisher nur schlappe 2,6 Milliarden Euro ein.

Dass nicht mehr dabei herumgekommen ist, liegt nicht an der Troika, sondern an der Verweigerungshaltung der griechischen Regierungen. Dennoch ist auffällig, dass die EU an ihren optimistischen Prognosen festhält, selbst wenn sie realitätsfern sind. Unter der Links-Rechts-Regierung um Ministerpräsident Alexis Tsipras ist gar nicht abzusehen, dass die Vorgaben irgendwann eingehalten werden.

Für Hunko sind die Privatisierungsauflagen in zweifacher Hinsicht ein Fiasko. Die Besitztümer, die bereits verkauft wurden, seien zum einen verramscht worden. Zum anderen wittere China in Griechenland günstige Einkaufsgelegenheiten und trete als großer Käufer auf. Beides sei nicht im Interesse der EU.

Steuerquelle versiegt

Ein weiterer Punkt, bei dem sich die Troika gehörig verrechnet hat, sind die Steuereinnahmen. Sie schrumpften von 2010 bis 2013 um 2,8 Milliarden Euro. Ein Grund hierfür ist, dass die Einkommen der Griechen durch die Sparvorgaben der Troika zwischen 2010 bis 2013 um ein Drittel einbrachen. Die Arbeitslosigkeit erhöhte sich gleichzeitig um knapp 15 Punkte auf 27,5 Prozent. Weil die Menschen weniger konsumieren konnten, versiegten auch die Staatseinnahmen.  

Ein weiterer Grund für rückläufige Steuereinnahmen war die Senkung der Unternehmenssteuer von 40 auf 33,4 Prozent. Dass es in der Kasse plötzlich nicht mehr klingelte, lag also nicht allein an der mangelnden Zahlungsmoral der Griechen, wie ein gängiges Vorurteil lautet, sondern auch an den Vorgaben der Troika.

Interessant ist die Zweigleisigkeit, mit der die Geldgeber bei der Steuerregelung vorgegangen ist. Die Gläubiger seien "auf einem Auge blind" gewesen, sagt Hunko. Sie hätten zwar in die Besteuerung der einfachen Bevölkerung eingegriffen. Die Besteuerung der Reichen, wie die der Reeder zum Beispiel, habe die Troika aber als "innenpolitische Sache" den Griechen überlassen. Rückblickend betrachtet sicherlich ein Fehler.

Deutsche verdienen Millionen

Ein wichtiges Schlaglicht auf die große "Rettungsaktion" wirft der Geldstrom, der von Griechenland nach Deutschland für erteilte Hilfen geflossen ist. Wie die Anfrage der Linken bei der Regierung ergab, zahlte Athen bisher allein aus dem ersten Hilfspaket 360 Millionen Euro Zinsen an Berlin. Deutschland zählt allgemein zu den größten Profiteuren der Eurokrise. Dank der großzügigen Geldpolitik der EZB kann Berlin so billig Geld am Finanzmarkt tanken wie nie.

Dass solche Länder an der Rettungsaktion auch noch verdienten, sei nicht nur "symbolisch", sondern auch "zynisch", sagt Hunko. Insgesamt ist es nicht eine magere, sondern eine traurige Bilanz der Krisenpolitik in Griechenland. Hier haben nicht nur die griechischen Regierungen, sondern auch die Troika ganz offensichtlich versagt.

Quelle: ntv.de

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