Teslas erster Elektro-Pick-up Elon Musk setzt mit Cybertruck auf "Brutalismus"
29.08.2023, 18:41 Uhr Artikel anhören
Der Cybertruck - vom Design her definitiv ein Statement. Aber gibt es auch genügend Käufer für einen Pick-up im futuristischen Panzer-Look?
(Foto: picture alliance / Newscom)
Teslas Cybertruck scheint nach Jahren Verzögerung endlich auf der Zielgeraden. Die Auslieferung erster Modelle könnte noch in diesem Jahr erfolgen. Branchenbeobachter sind gespalten: Wird Elon Musks "radikale Designidee" ein Riesen-Flop oder der letzte Schrei?
Das peinliche Scheiben-Malheur, als Tesla den Cybertruck 2019 erstmals vorgestellt hat, ist manch einem sicherlich noch gut in Erinnerung. Große Show, viel Tamtam, Rauch, Lichteffekte, ein Tesla-Mann wirft eine Metallkugel und zu seiner großen Überraschung hinterlässt sie ein faustgroßes Loch in der angeblich unzerbrechlichen gepanzerten Seitenscheibe des Pick-ups. Genaugenommen sogar zwei. Denn er wiederholt das Experiment bei einer zweiten Scheibe - mit demselben Ergebnis. Elon Musk, der auf der Bühne steht und zuschaut, ringt kurz um Fassung und kommentiert dann achselzuckend: "Zumindest ist sie nicht durchgeflogen."
Vier Jahre später soll der Pick-up nun endlich vor dem Serienstart stehen - mit geschlagenen zwei Jahren Verspätung. Tesla hat den Auslieferungsbeginn in den USA für Ende des dritten Quartals versprochen, also spätestens Ende September. Ein Video und Fotos, die in den vergangenen Wochen im Internet auftauchten, heizen die Spannung an. In den vergangenen Jahren sei in Austin, wo der Cybertruck gebaut wird, noch viel am Cybertruck herumgedoktort und nachgebessert worden, kommentieren Fans die Bilder. Die Panzerscheiben dürften wohl auch ein Update erfahren haben.
Was gleich geblieben ist - nach allem, was nach draußen gedrungen ist - , das seltsam kantige Design, das mit einem traditionellen Pick-up wenig gemein hat. Die deutlich erkennbare Keilform wirkt genauso sperrig und irgendwie unpraktisch wie vor vier Jahren - auch wenn man sich seither ein bisschen an die Vorstellung gewöhnt hat. Die Karosserie aus unlackiertem Edelstahl mag korrosionsbeständig sein - Elon Musk bezeichnete sie einmal als Exoskelett -, ist aber mindestens ebenso befremdlich.
Branchenexperten sind sich einig: Der Cybertruck ist vom Design her radikal, er provoziert genauso, wie er polarisiert. Manche fühlen sich abgestoßen, für andere jedoch ist es ein Hingucker und eine willkommene Abwechslung: Seit Jahren habe eine höfliche Apple-Ästhetik bei den Produkten großer Technologieunternehmen im Silicon Valley dominiert, schrieb eine Kommentatorin der "Financial Times" Anfang des Jahres. Ob bei Smartphones, intelligenten Lautsprechern, Heimrobotern, selbstfahrenden Autos, Uhren oder anderen Geräten. Überall sehe man nur glatte, abgerundete Kanten und gedämpfte Farben. Der "Brutalismus" des Cybertrucks sei geradezu eine Erleichterung.
Mit seiner Form errege der Cybertruck Aufmerksamkeit, sagt San Levy, Autoanalyst von Barclays, dem "Wall Street Journal". Und Mark Wakefield von der US-Unternehmensberatung Alixpartner pflichtet bei: "Er sieht anders aus als alles, was es bisher auf dem Markt gab." Tatsächlich ist es genau das, was Musk vorschwebte. Auf der verunglückten Präsentation vor vier Jahren hatte er es so formuliert: "Trucks haben 100 Jahre lang immer gleich ausgesehen. Wir wollen etwas anderes machen." Dieses Ziel hat Musk definitiv erreicht. Nun muss er den Cybertruck nur noch an den Mann und die Frau bringen.
Nischenprodukt oder der letzte Schrei?
Die Frage ist allerdings: Gibt es überhaupt genügend Käufer für so ein Gefährt im futuristischen Panzer-Look? Dass sich US-amerikanische Farmer einen Cybertruck zulegen statt eines Pick-ups der Traditionsmarken Ford, GM und Stellantis, ist zumindest schwer vorstellbar. "Die Menschen sind sehr markentreu", gibt Mark Wakefield von Alixpartner zu bedenken. "Die Autos sind gut, die Teams in den Konzernen sind spitze. Sie wissen, was ihre Käufer brauchen."
Analyst Levy beschreibt, wo es Tesla gelingen könnte, Marktanteile abzujagen: "60 Prozent der Pick-ups werden gewerblich genutzt", hier werde der Cybertruck wohl kaum eine Rolle spielen. Aber bei den 40 Prozent, die Pick-ups fahren, weil sie damit einen bestimmten Lebensstil verbinden, könnte Tesla durchaus punkten, sagt er. Ford-Chef Martin Sander formulierte es selbst in einem Fernsehinterview einmal so: "Wenn Musk einen Cybertruck fürs Silicon Valley produzieren will, dann ist das okay." Sein Konzern würde sich beim Design aber lieber an den traditionellen Käufern orientieren.
Auch Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler zweifelt nicht daran, dass es in den USA Käufer für den extravaganten Truck gibt. "Potenzielle Käufer sind einerseits individuelle Trucker, von denen es in den USA etliche gibt, und andererseits Unternehmen, die sich als besonders fortschrittlich labeln wollen", sagt er ntv.de. Vor allem aber sei der Cybertruck eine neue "Wachtumsquelle". Er gebe den Tesla-Aktionären die nötige "Fantasie". "Ich glaube, Tesla setzt damit ein echtes Design-Statement. Von Zeit zu Zeit braucht es solche radikalen Designideen."
Fest steht: Der US-Markt ist reif für neue Elektro-Fahrzeuge. Amerika hat sich bei Elektromobilität zuletzt stark entwickelt. Im zweiten Quartal sind die Verkäufe von E-Autos um gut 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Pick-ups sind die populärste Fahrzeugklasse in den USA. Mit wachsender Reichweite werden auch schwerere Fahrzeuge für die Käuferschaft interessant. Gelingt Musk die Markteinführung des Cybertrucks, wird Tesla in eines der profitabelsten Segmente des US-Marktes einsteigen und hier zumindest versuchen, mit den Elektro-Pick-ups von Ford und Rivian zu konkurrieren.
Der Preis ist heiß
Bei der Frage, welche Käufer Musk erreicht, wird sicherlich auch der Preis ausschlaggebend sein. Noch hat Musk ihn nicht verraten. Die Angaben auf der Website, wo man den Cybertruck für 100 Dollar unverbindlich reservieren kann, sind schon lange verschwunden. Ursprünglich geplant waren drei Stufen des Trucks, beginnend mit einem Einstiegsmodell für 39.900 US-Dollar bis hin zu einer High-End-Version ab 69.900 US-Dollar. Seit Monaten demonstriert Musk, wie er sich erfolgreich über Kampfpreise Marktanteile sichert. Er betont stets, dass er für Wachstum auch einen Rückgang der Profitabilität in Kauf nimmt.
Die Konkurrenz scheint mit Kampfpreisen zu rechnen. Ford hat den Preis seines Elektro-Pick-ups F-150 "Lightning" Anfang Juli bereits um 10.000 Dollar gesenkt. Das Modell kostet damit jetzt in einfacher Ausführung 49.995 US-Dollar.
Der Einzige, der jetzt noch zwischen dem Cybertruck und der Markteinführung steht, ist Musk selbst. Aufschübe sind bei ihm immer eingepreist. Er selbst schürte kürzlich Zweifel mit einer internen Mail, in der er sich angeblich über die mangelhafte Qualität des Fahrzeugs beschwerte. Laut übereinstimmenden US-Medienberichten fand er die Abstände zwischen verschiedenen Bauteilen inakzeptabel. "Aufgrund der Beschaffenheit des Cybertrucks, der aus hellem Metall mit überwiegend geraden Kanten besteht, sind Abweichungen in den Maßen störend", schrieb er laut CNBC. "Wenn Lego und Getränkedosen, die sehr günstig sind, das können, können wir das auch."
"Das einzigartige Design des Cybertrucks erfordert für Tesla eine hohe Präzision im Produktionsprozess", sagt Konstantin Oldenburger von CMC Markets ntv.de. Dies beinhalte zwar das Risiko, die Erwartungen an eine Serienproduktion zeitnah erfüllen zu können. Aber letztlich stehe der Cybertruck vor allem für eins: "für das Thema Innovation, mit dem Tesla immer wieder Schlagzeilen macht und Investoren und Fans bei Laune hält". Wahrscheinlich würden manche auf die große Enthüllung sogar noch länger warten.
Quelle: ntv.de