Wirtschaft

Europas Gasspeicher leeren sich Am Horizont zieht eine neue Energiekrise auf

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Europa und Deutschland können ohne weiteres auf dem Weltmarkt Flüssiggas einkaufen. Die Frage ist: zu welchem Preis?

Europa und Deutschland können ohne weiteres auf dem Weltmarkt Flüssiggas einkaufen. Die Frage ist: zu welchem Preis?

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Die europäischen Gasvorräte überstehen die ersten beiden Winter ohne riesige Lieferungen aus Russland überraschend entspannt. Dieses Jahr sinken die Füllstände jedoch rasant. Nicht nur der Bundesregierung schwant Böses: Muss sie wie vor drei Jahren Mondpreise bezahlen, um die Speicher wieder zu füllen?

Wenn die Deutschen dieser Tage bei Minusgraden ihre Heizungen aufdrehen, purzeln die Füllstände der Gasspeicher. Die Lage ist zwar stabil, die Versorgungssicherheit laut Bundesnetzagentur gesichert. Dennoch beobachten Branchenexperten bereits seit einigen Wochen mit Sorge, wie schnell sich die Gasspeicher leeren. Denn die Planungen für die kommende Heizperiode laufen bereits: "Es besteht ein zunehmendes Risiko, dass die EU den Winter mit niedrigen Füllständen beendet, was das Auffüllen teuer macht", warnt der Chefanalyst von Global Risk Management in Kopenhagen im Wirtschaftsportal Bloomberg.

Denn die Speicher müssen über den Sommer wieder gefüllt werden. Das treibt die Preise an den Gasmärkten schon jetzt nach oben. Es werden Erinnerungen an den Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine und die europäische Energiekrise wach.

Gerettet von milden Wintern?

Am 1. November müssen die europäischen Gasspeicher zu 90 Prozent gefüllt sein, so lautet die EU-Vorgabe. Das war im vergangenen Jahr kein Problem, die Vorgabe wurde bereits im August erfüllt. Die EU sei "bereit für den nächsten Winter", erklärte die EU-Kommission stolz. Möglicherweise zu stolz, denn die Winter 2023 und 2024 hatten etwas gemeinsam: Sie waren ungewöhnlich mild, der Heizbedarf gering und somit der Bedarf, die Gasspeicher wieder aufzufüllen. Zu jeder Zeit waren sie zu mindestens 62 Prozent gefüllt.

Dieser Wert ist dieses Jahr bereits deutlich unterschritten worden. Der deutsche Füllstand beträgt knapp 40 Prozent - und damit fast 31 Prozentpunkte weniger als zur selben Zeit im Vorjahr. Denn dieser Winter ist kalt, die Menschen benötigen deutlich mehr Gas zum Heizen: Anfang dieser Woche kühlte die Luft speziell im Osten merklich ab, örtlich lag sie nachts bei minus 15 Grad oder noch weniger.

Zusätzlich wurden die Vorräte durch einen ungewöhnlich windstillen Jahresstart belastet, Erdgas deswegen zur Stromerzeugung genutzt. Gleichzeitig nahm der Nachschub ab, wenn auch minimal: Seit Jahresbeginn fließt kein Pipeline-Gas mehr aus Russland durch die Ukraine nach Europa, der langjährige Vertrag für Transitlieferungen lief zum Jahreswechsel aus.

Doppelt so hohe Preise

Der britische Energiekonzern Centrica schlug daher bereits im Januar Alarm: Die Reserven seien auf ein "besorgniserregend niedriges Niveau" gesunken, teilte der Mutterkonzern des größten britischen Gasversorgers mit. Großbritannien ist ein Ausreißer in Europa. Verglichen mit Deutschland und anderen EU-Staaten verfügt das Vereinigte Königreich über deutlich weniger Speichermöglichkeiten.

Dennoch bringt die Warnung die Problematik auf den Punkt: Immer mehr Länder, auch Deutschland, reißen sich auf dem Weltmarkt mit anderen Abnehmern um Flüssiggaslieferungen, um ihre Vorräte aufzustocken - und treiben damit die Preise nach oben: Am niederländischen Drehkreuz TTF stiegen sie in der ersten Februarwoche auf den höchsten Stand seit zwei Jahren. Mit gut 58 Euro pro Megawattstunde waren sie doppelt so hoch wie vor einem Jahr um diese Zeit.

Die Entwicklung deute auf einen erhöhten Bedarf an Flüssiggas in Europa hin, sagen Analysten der norwegischen Bank DNB. "Der Markt versucht verzweifelt, genügend LNG anzulanden. Das Preisniveau deutet auf einen Aufschlag für LNG-Ladungen nach Europa im Vergleich zu Asien hin." Und auf Wetten gewiefter Investoren: Die Gaspreise würden auch von Investmentfonds getrieben, die auf steigende Preise setzen, sagen die Analysten.

Bitte nicht zu aggressiv

Unmittelbar stellt diese Entwicklung keine Gefahr dar, die steigenden Preise belasten allerdings erneut die knappen Kassen von Einkäufern, Regierungen und letztlich Verbrauchern. Denn die Verantwortlichen fürchten ein Szenario, in dem sie Gas zu jedem Preis einkaufen müssen, um ihre Speicher zu füllen. Die EU gibt nämlich nicht nur das November-Ziel vor, sondern auch Zwischenziele für Februar, Mai, Juli und September.

Um die Weltmarktpreise durch die eigene Nachfrage in den kommenden Wochen und Monaten nicht unnötig weiter nach oben zu treiben, haben Deutschland, Frankreich und die Niederlande die EU daher um eine Lockerung der Speichervorgaben gebeten. Auch Dänemark, Griechenland, Italien, Spanien und Österreich sollen das Vorhaben unterstützen. Die tschechische Regierung drängt sogar auf freiwillige Ziele.

Die Bundesregierung hofft durch die Lockerung auf sinkende Gaspreise. Mehr Flexibilität könne dafür sorgen, dass es zu einer "Normalisierung der Marktverhältnisse" kommt, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Große Energiekonzerne stimmen zu: "Wenn wir bei der Lagerung zu aggressiv sind und den Einkauf überstürzen, ist die einzige Möglichkeit, LNG aus Asien zu beziehen und dafür mehr zu zahlen", sagte TotalEnergies-Chef Patrick Pouyanné jüngst bei der Vorstellung seiner Jahresbilanz.

Abhilfe könnten ausgerechnet die viel gescholtenen und bisher wenig ausgelasteten LNG-Terminals schaffen. Diese wären beim richtigen Preis auch kurzfristig in der Lage, große Liefermengen für den europäischen Markt aufzunehmen.

Tauwetter in Deutschland und Riad

Allein die Möglichkeit, dass die Speichervorgaben gelockert werden könnten, zeigt Wirkung: Innerhalb weniger Tage fiel der Gaspreis am niederländischen Drehkreuz von knapp 60 auf unter 50 Euro pro Megawattstunde. Für Entlastung sorgen allerdings nicht nur die Gespräche auf EU-Ebene, sondern auch die Temperaturen: Nach dem Sturz in den zweistelligen Minusbereich steigen sie noch in dieser Woche plötzlich wieder bis auf frühlingshafte 20 Grad und minimieren den Heizbedarf spürbar. Durch die amerikanisch-russischen Ukraine-Gespräche in Saudi-Arabien stehen plötzlich auch wieder russische Pipeline-Lieferungen nach Europa im Raum.

Klar bleibt aber auch: Sich bei der Gasversorgung aufs Wetter oder die Machthaber in Washington, geschweige denn Moskau zu verlassen, ist keine kluge Energiepolitik. So schnell die Temperaturen gestiegen sind, können sie wieder fallen. Genauso schnell, wie die Ukraine-Gespräche von den USA auf die Tagesordnung gesetzt wurden, können sie abgebrochen werden. Dann droht erneut ein Vierklang aus niedrigen Temperaturen, fehlendem Wind, dem Auslaufen des ukrainischen Transitvertrags und der Notwendigkeit, sich auf den nächsten Winter vorzubereiten, der Deutschland und Europa in eine kostspielige Energiekrise treiben könnte.

Quelle: ntv.de, mit AFP

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