Wirtschaft

Opfer seines eigenen Erfolgs Ist der Dieselmotor noch zu retten?

Er gilt als Symbol deutscher Ingenieurskunst. Aber der Dieselmotor kämpft mit einem Imageproblem: seinem gesundheitsschädlichen Stickoxid-Ausstoß. Fahrverbote sind im Gespräch. Bedeutet das das Aus für den Diesel?

Seit dem VW-Abgasskandal wird in Deutschland der Tod des Diesels besungen. Die Presse hat ihren Dauerbrenner. Grund für all das: Nach Angaben des Verkehrsministeriums in Baden-Württemberg verursachen Dieselmotoren in den Ballungsräumen 70 Prozent des Stickoxids (NOx) in der Luft. Und diese gelten als gesundheitsschädlich. Laut EU ist ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter zulässig. Bundesweit werden in bis zu 80 Städten regelmäßig die EU-Obergrenzen für den Stickoxidausstoß überschritten.

Inzwischen diskutieren Städte nicht nur über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, sondern generell für alle Autos mit Verbrennungsmotoren. Von einem solchen Fahrverbot für Diesel-Pkw mit Euro-5- und älteren Normen wären in Deutschland laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) 12,5 Millionen Autos betroffen.

Symbol deutscher Ingenieurskunst

Der Dieselmotor wird damit zum Opfer seines eigenen Erfolges. Zum einen, weil er weniger verbraucht als sein Benzin-Bruder und damit auch weniger schädliches CO2 ausstößt. Und zum anderen, weil er in den meisten Ländern steuerlich begünstigt ist. Und schließlich, weil Kunst und Können deutscher Motoreningenieure in Industrie und Wissenschaft ihm alle Raubeinig- und Behäbigkeit abentwickelt haben. Der Dieselmotor ist international zum Symbol deutscher Ingenieurskunst geworden.

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Und weil dem so ist, legt das Dieselauto in den letzten 30 Jahren eine automobile Erfolgsgeschichte ohnegleichen hin. Dazu als Beleg ein paar signifikante Zahlen: Wurden 1980 in Deutschland gerade mal rund 500.000 Dieselautos gebaut, so schnellte die Produktion bis 2015 auf etwa 2,8 Millionen Dieselautos hoch - knapp die Hälfte aller in Deutschland produzierten Pkw. Trotz Abgasskandals kauften 2016 in Deutschland immer noch 1,539 Millionen Kunden ein neues Dieselauto und damit fast jeder zweite Neuwagenkunde (46 Prozent). 1990 lag der Dieselanteil an den Neuzulassungen erst bei 14 Prozent.

Das hat Folgen. Am 1. Januar 2017 erreichte die deutsche Dieselflotte mit 15,089 Millionen Fahrzeugen einen Höchststand (32,7 Prozent aller zugelassenen Pkw). Kurz: Jedes dritte heute in Deutschland zugelassene Automobil ist ein Dieselfahrzeug.

Zu wenige mit Euro-6-Norm

In Ballungszentren wie Stuttgart dürfte die Quote allerdings noch wesentlich höher sein. Und hier schlägt das Gesetz der großen Zahl gnadenlos zu - in Form des Abgasproblems. Gerade einmal 1,625 Millionen Dieselfahrzeuge entsprechen aktuell der scharfen Euro-6-Norm, während die restlichen 89 Prozent maximal Euro 5 erreichen und damit stark umweltschädlich sind.

Die Frage ist erlaubt: Wann stirbt der Diesel? Es ist die Ironie des Technik-Schicksals, dass gerade der verbrauchs- und CO2-arme Dieselmotor zum Opfer seines eigenen Erfolges wird. So wundert es nicht, dass Fachleute wie beispielsweise Bosch-Chef Volkmar Denner sich vehement gegen Fahrverbote für Diesel und eine Verteufelung der Diesel-Technologie wehren.

Sauberer Diesel ist möglich

Legt man die Ergebnisse des jüngsten Wiener Motorensymposiums - dem Mekka aller Motorenentwickler - zugrunde, so ist nach dem heutigen Stand der Technik ein "sauberer" Dieselmotor möglich. Die dort präsentierten Messungen von Daimler und Bosch zeigten, dass die neue Motorengeneration von Vier- und Sechszylinder-Dieseln die strengsten Stickoxid-Grenzwerte sowohl auf dem Prüfstand als auch auf der Straße einhalten können. Zudem stößt der Diesel seit Einführung des Partikelfilters so gut wie keinen Feinstaub mehr aus.

Clean Diesel - Ja oder nein?

Hat der Diesel noch eine Zukunft oder ist er am Ende? Experten streiten. Pro und Contra bei n-tv.de:

"Der klimafreundliche Diesel ist ein Mythos"

"Schluss mit unseriösen Diesel-Statements!"

Damit steht einer Rettung des Diesels nichts mehr im Weg. Ein sauberer Diesel ist technisch möglich. "Man muss den Leuten sagen, dass die Technik da ist", sagt Bosch-Chef Denner. Jetzt komme es darauf an, die neuen Motoren schnell auf den Markt zu bringen. Eile tut not, denn die Diskussion um drohende Fahrverbote haben die Kundschaft verunsichert. Der Marktanteil von Dieselautos an den Neuzulassungen hat sich in den letzten Monaten deutlich auf inzwischen noch rund 40 Prozent verringert.

Kein Wunder, dass die betroffene Industrie Alarm schlägt und vor diesem Hintergrund die diskutierten Fahrverbote für Dieselautos strikt ablehnt. Allein bei Bosch hängen weltweit etwa 50.000 Jobs vom Diesel ab, in Deutschland sind es 15.000. Hinzu kommen viele weitere bei nachgelagerten Betrieben.

Umrüstung? Software-Update?

Wie aber sieht es mit dem Betrieb der 12,5 Millionen älterer Diesel aus, die - wenn überhaupt - heute nur die Abgasnorm Euro-5 erfüllen? Ist eine Um- oder Nachrüstung möglich? Laut Aussagen von Fachleuten ist es praktisch nicht möglich, ein Euro-5-Fahrzeug so umzurüsten, dass es die Euro-6-Norm auch nach den ab September 2017 gültigen Tests auf der Straße (RDE) erfüllt. Dafür müssen ein Katalysator (SCR) und ein Harnstoff-Tank installiert werden - ein umfassender baulicher Eingriff. Der überdies bis zu 3000 Euro kosten würde und bei den meisten Fahrzeugen höher wäre als der Restwert des Autos.

Dagegen sei eine deutliche Verbesserung des Abgasverhaltens von neueren Euro-5-Fahrzeugen über Anpassungen der Software zu erreichen. "Wir haben alle Komponenten, aber die Entscheidung über den Umfang der Maßnahmen liegt bei den Herstellern", heißt es bei Bosch.

Der Pferdefuß dabei: Mit sinkendem NOx-Ausstoß bei der Software-Umrüstung steigen die klimaschädlichen CO2-Emissionen. Damit droht den betroffenen Fahrzeugen der Entzug der Zulassung durch das Kraftfahrtbundesamt - und somit der totale Wertverlust. Denn nach wie vor gilt: "Ein Auto, das nicht fährt, ist überhaupt nichts wert!", heißt es aus der Bosch-Führung.

Ein Weg aus dem Dilemma

Die Politik, die Kunden und auch die Autoindustrien sind im Dilemma: Was tun? Zum einen: Die Rettung ist da, ein sauberer Diesel ist technisch möglich. Die Zukunft des Diesels wäre damit gesichert. Aber: Ein neuer sauberer Diesel kostet den Kunden - und Wähler - mehr Geld. Immerhin kann jeder Kunde selber entscheiden, was er kauft.

Was aber macht die Politik mit dem Altbestand? Die Umrüstung der alten Diesel - soweit möglich - kommt den privaten Kunden teuer zu stehen. Und was macht man mit den ganz alten Diesel-Pkw? Absolutes Fahrverbot und damit kalte Enteignung? Oder eine neue Abwrackprämie aus Steuermitteln? Vielleicht kombiniert mit langen Übergangsfristen oder Kaufprämien für E- und Hybridfahrzeuge? In jedem Fall werden alle, auch der Staat, Federn lassen müssen. Gesundheit gibt es eben nicht zum Nulltarif.

Quelle: ntv.de

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