"Peitschen-Effekt" treibt Preise Lagarde lehnt Zinswende ab
19.11.2021, 12:05 Uhr
"Diese Inflation ist unerwünscht und schmerzhaft", sagt Lagarde.
(Foto: REUTERS)
Die Preise steigen, dennoch will die Europäische Zentralbank die Zinsen nicht erhöhen. Präsidentin Lagarde rechnet zwar damit, dass die Teuerung weiter zunimmt. Doch auf mittlere Sicht werde die Inflation wieder absinken.
Die Europäische Zentralbank lässt sich vom kräftigen Anstieg der Teuerungsraten nicht zu einem rascheren Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes drängen. "Wir nehmen diese Phase der höheren Inflation nicht auf die leichte Schulter", sagte EZB-Chefin Christine Lagarde während eines Bankenkongresses in Frankfurt.
Die Notenbank dürfe "angesichts vorübergehender oder angebotsbedingter Inflationsschocks nicht zu einer vorzeitigen Straffung der Geldpolitik übergehen", so Lagarde. "In einer Zeit, in der die Kaufkraft bereits durch höhere Energie- und Treibstoffkosten geschmälert wird, würde eine unangemessene Straffung einen ungerechtfertigten Gegenwind für den Aufschwung bedeuten."
Die Teuerungsraten klettern seit Monaten. In Deutschland etwa lagen die Verbraucherpreise im Oktober um 4,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Inflation in Europas größter Volkswirtschaft ist damit so hoch wie zuletzt vor 28 Jahren. Auch im Euroraum lag die Inflationsrate mit 4,1 Prozent im Oktober deutlich über dem von der EZB mittelfristig angestrebten Ziel von 2 Prozent.
"Diese Inflation ist unerwünscht und schmerzhaft - und es gibt natürlich Bedenken, wie lange sie anhalten wird. Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst und beobachten die Entwicklungen sorgfältig", sagte Lagarde. "Insbesondere ist uns bewusst, dass eine höhere Inflation die Realeinkommen der Menschen drückt, vor allem derjenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung."
"Außergewöhnliche Umstände"
Lagarde bekräftigte jedoch die Sichtweise der Notenbank, dass ein Großteil des Inflationssprungs durch Sonderfaktoren zu erklären sei, die sich im nächsten Jahr allmählich wieder abschwächen sollten. Die Währungshüter nennen zum Beispiel die Erholung der Ölpreise nach dem Corona-Schock sowie Lieferengpässe infolge der gestiegenen Nachfrage. Zudem schlägt die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Deutschland durch.
Die EZB wird Lagarde zufolge auch nach dem Ende der akuten Pandemie-Notlage die Wirtschaft weiter stützen. Dies gelte auch mit Blick auf die "angemessene Justierung" der von der EZB betriebenen Anleihenkäufe, sagte die Französin. "Wir werden unsere Absichten dazu im Dezember mitteilen", fügte sie hinzu. Einer Zinswende im kommenden Jahr erteilte Lagarde trotz der derzeit erhöhten Inflation erneut eine deutliche Absage.
Viele Volkswirte und Banker warnen davor, die aktuelle Inflationsentwicklung zu unterschätzen. Einige werfen der EZB vor, mit dem billigen Geld die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will.
"Wir sind entschlossen, dafür zu sorgen, dass sich die Inflation mittelfristig bei unserem Ziel von 2 Prozent stabilisiert", betonte Lagarde. "Heute wird die Inflation weitgehend durch die außergewöhnlichen Umstände, die durch die Pandemie entstanden sind, in die Höhe getrieben." Daher müsse die Geldpolitik "geduldig und beharrlich bleiben", sagte die EZB-Präsidentin.
Unternehmen bestellen eifrig
Sie verwies darauf, dass die Inflationsrate 2020 nur 0,3 Prozent betragen habe, was in diesem Jahr automatisch zu einer höheren Inflation führe. Wichtiger seien aber jene Faktoren, die mit dem Wiederanlaufen der Wirtschaft nach der Pandemie zu tun hätten: Energiepreise und Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage.
Der Anstieg der Energiepreise im Oktober um 23,7 Prozent auf Jahressicht trug laut Lagarde 2,2 Prozentpunkte zur Gesamtteuerung von 4,1 Prozent in der Eurozone bei. "Dieser Anstieg hängt mit der Wiederbelebung der Wirtschaft und der Erholung der weltweiten Nachfrage sowie mit anderen Sonderfaktoren zusammen", sagte Lagarde. Dazu gehörten Beschränkungen des Ölangebots von Seiten der Organisation Erdöl exportierender Länder und ihrer Verbündeten (Opec+), die schleppende US-Schieferölproduktion sowie geringere Gasexporte Norwegens und Russlands.
Ein weiterer inflationstreibender Faktor war Lagarde zufolge die Verlagerung des Konsums von Dienstleistungen zu Industriegütern. Auf der Angebotsseite sehen sich die Hersteller demnach mit akuten Engpässen bei wichtigen Gütern konfrontiert, die durch den "Peitschen-Effekt" noch verschärft würden - eine Situation, in der Unternehmen, die mit einer höheren Nachfrage konfrontiert sind, mehr und früher als normalerweise bestellen, um ihre eigene Lieferfähigkeit abzusichern.
Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa/DJ