Millionenerbin Engelhorn Es fühlt sich "fantastisch an", arbeiten zu müssen
22.06.2024, 12:43 Uhr Artikel anhören
Marlene Engelhorn verfügt noch über ein Übergangsbudget, das ihr helfen soll, in das Berufsleben zu wechseln.
(Foto: IMAGO/Alex Halada)
Repräsentativ ausgewählte Mitglieder eines Bürgerrats haben beschlossen, wie 90 Prozent des Vermögens von Marlene Engelhorn verteilt werden soll. Die 31-jährige Millionenerbin betont im Interview mit ntv und RTL, dass sie nun keineswegs arm, sondern immer noch privilegiert sei. Sie sei froh, endlich "normal und demokratisch" zu sein. Die 25 Millionen Euro fließen an rund 80 Organisationen, die sich mit den Themen Klima und Umwelt, leistbares Wohnen, Gesundheit und Soziales sowie Integration und Bildung beschäftigen.
Der "Gute Rat für Rückverteilung" hat bekannt gegeben, an welche Organisationen Ihr Vermögen geht. Wie geht es Ihnen jetzt als vergleichsweise arme Frau?
Marlene Engelhorn: Ich werde ja nicht arm, nur weil ich das Vermögen über diesen Bürger:innenrat rückverteilen lasse. Ich habe ein Übergangsbudget, das ich jetzt verwende, um aus meinem Rückverteilungsprojekt ins Erwerbsleben zu wechseln. Dann werde ich so wie 99 Prozent der Gesellschaft arbeiten müssen. Also, wie fühlt sich das an, endlich normal und demokratisch zu sein? Ehrlicherweise: ganz fantastisch.
Was haben Sie für Pläne?
Ich weiß es wirklich noch nicht genau. Aber mir wird schon was einfallen. Ich bin ja getragen von Privilegien über das Vermögen hinaus und bin sicher, dass es mir gelingen wird, ins Erwerbsleben zu wechseln. Aber es ist entzückend, dass die Medien sich solche Sorgen um mich machen.
Ich glaube, das ist eher Neugierde. Sie mussten sich nie Sorgen um materielle Dinge machen und haben aus freien Stücken heraus gesagt: "Ich will das nicht mehr haben. Ich brauche das nicht, um glücklich zu sein." Das fasziniert die Menschen.
Es stimmt, dass es ganz normal ist für das reichste Prozent, aufzuwachsen, ohne zu wissen, was Geldsorgen eigentlich sind. Nie muss gefragt werden: "Haben wir genug, um alles zu bezahlen, was wir brauchen?" Wenn ich mein Vermögen aufgebe, geht es mir ja weiter gut im Leben. Man muss zwischen Wohlstand und Vermögen unterscheiden. Vermögen heißt Macht: Ich kann damit Realitäten schaffen. Ich kann die Leben von anderen Menschen mit meinem Geld beeinflussen, ohne diese Menschen fragen zu müssen. Diese Macht, die ich habe, nur weil ich reich geerbt habe, steht mir in einer Demokratie nicht zu. Ich habe kein Mandat und muss keine Rechenschaft ablegen. Das finde ich grundsätzlich problematisch. Deswegen interessiert mich die Verteilungsfrage.
Wie hat dieses Interesse bei Ihnen begonnen?
Ich hatte keinen plötzlichen Moment der Erleuchtung. Ich bin eingebettet in ein Beziehungsnetz, wo Menschen mir auch mal ins Gesicht gesagt haben: "Sag mal, tickst du noch ganz richtig? Du kannst das nur, weil du dieses Vermögen hast." Wenn man nur unter sich bleibt, in der vermögenden Bubble des reichsten Prozents, sagt niemand einem das ins Gesicht, und man wird blind für die Realität der normalen Menschen, sprich der 99 Prozent, die diese Gesellschaft durch ihre Arbeit und ihre Steuern am Laufen halten. Für mich bedeutet die Rückverteilung von Vermögen keinen Abstieg, sondern einen Aufstieg in die demokratische Gesellschaft. Ich bekomme mehr, als ich aufgebe: Ich bekomme eine neue Form der Teilhabe, weil ich die illegitime Macht, die mir in die Wiege gelegt wurde, zurückgegeben habe an die Gesellschaft, wo sie hingehört.
Ein Gremium aus 50 repräsentativ ausgewählten Personen hat jetzt entschieden, wo das Geld hingehen soll, auf das Sie verzichten. Haben Sie darauf Einfluss genommen?
Ich habe mich komplett rausgenommen. Ich will ja gerade diese Macht abgeben. Ich war beim allerersten Treffen für eine Stunde da, um mich zu bedanken, dass diese Menschen sich bereit erklären, diese Arbeit zu machen. Dann bin ich wieder verschwunden. Und mir ging es nicht darum, dass ich am Ende bei der Rückverteilungsliste lese, was ich gerne möchte, sondern dass ich dort von den Bürger:innen erfahren darf, was sie stellvertretend für die Gesellschaft als wichtig erachten.
Sind sie zufrieden mit der Verteilung?
Natürlich hätte jede Person, die diese Liste liest, sich vielleicht eine andere Zusammenstellung gewünscht. Aber das ist ja das Schöne an der demokratischen Gesellschaft, dass wir viele unterschiedliche Perspektiven haben. Für mich ist der Prozess viel bedeutsamer als die konkrete Liste. Wir haben gezeigt, dass man das demokratisch schaffen und dass das sogar Spaß machen kann. Die Liste nehme ich gerne genauso an, wie sie ist. Aber viel schöner finde ich, dass gerade bewiesen wurde, dass Bürger:innenräte so ein hervorragendes Instrument sind.
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Meine Familie ist demokratisch eingestellt. Die findet es gut, dass ich mich für eine gerechte Besteuerung einsetze.
Ich kenne keine vergleichbare Persönlichkeit, die einen solchen Schritt wie Sie gegangen ist. Stehen Sie mit Ihrer Haltung allein da?
Öffentlich bin ich allein, mit dem, was ich tue. Aber privat gibt es einige Vermögende, die sich der Rückverteilung widmen, und die das so demokratisch wie möglich gestalten. Das Ding mit der Öffentlichkeit, mit Transparenz und Vermögen ist ein Riesen-Dilemma. Das gilt auch für mich. Ich gebe Ihnen zum Beispiel keine Auskunft über die exakte Höhe meines Vermögens. Das liegt an den familiären Verbindlichkeiten. Meine Familie hat sich die Öffentlichkeit nicht ausgesucht. Deswegen spreche ich strikt nur über mich und versuche, so wenig Rückschlüsse über andere zuzulassen wie möglich. Ich persönlich fände ein Transparenzregister hervorragend. Dann wäre das Thema erledigt. Jeder wüsste: Wem gehört eigentlich die Welt? Wenn wir uns das nicht anschauen, dann müssen wir uns dieser Macht ausliefern, die im Verborgenen bleibt. Ich bin nicht so allein, wie das aussieht in der Öffentlichkeit.
Können Sie sich vorstellen, mit ihrem Engagement in die Politik zu gehen, beispielsweise als Abgeordnete zu kandidieren?
Es gibt mehr als genug superprivilegierte, vermögende Leute in der Politik. Spannender wäre, zu schauen, welche Menschen fehlen in den Parlamenten, und wie kann man das ändern. Ich werde mich wahrscheinlich für immer mit dem Thema Verteilungsgerechtigkeit beschäftigen. Wie genau das ausschaut, weiß ich nicht. Ich muss das ja anders machen als bisher, weil ich mich nicht mehr durch mein Vermögen finanzieren kann. Unsere Demokratie weiterzuentwickeln mit Bürger:innenräten, mit Beteiligungsverfahren, mit Steuergerechtigkeit - das ist ein Beitrag, den ich leisten will. Wie genau, da werden Sie sich überraschen lassen müssen.
Mit Marlene Engelhorn sprach Andreas Becker.
Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
Quelle: ntv.de