Der lange Marsch Tsipras ist weit gekommen
11.08.2015, 15:32 Uhr
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras.
(Foto: REUTERS)
Hat Alexis Tsipras vor den Gläubigern kapituliert, oder holt er das Maximale für sein Land heraus? Egal, eine Einigung kann sich für den griechische Ministerpräsidenten auszahlen.
Wie mag sich Alexis Tsipras fühlen? Schließlich bekommt er nun genau das, was er niemals wollte: ein drittes Hilfsprogramm gepaart mit umfassenden Reform- und Sparauflagen – und entsprechender Kontrolle durch die Gläubiger. Griechenlands Ministerpräsident unterwirft sich viel härteren Bedingungen als sein Vorgänger Antonis Samaras. Ob man es nun Pragmatismus oder Einknicken nennt: Der Deal könnte sich für Tsipras auszahlen – auch wenn Teile seines Syriza-Bündnisses ihm die Gefolgschaft kündigen.
Um zu verstehen, was für einen langen Weg Tsipras hinter sich hat, hilft ein Blick auf das, was Syriza vor den Parlamentswahlen angekündigt hatte. Im so genannten Thessaloniki-Programm finden sich vollmundige Versprechen: Griechenland sollte von Sparzwängen, Reformauflagen und Schulden befreit werden. Syriza kündigt dort einen "nationalen Wiederaufbauplan" an. Dieser bestand vor allem darin, Milliarden auszugeben, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Finanziert werden sollte das im Wesentlichen durch einen Forderungsverzicht der Gläubiger und dadurch, dass die Europäische Zentralbank griechische Staatsanleihen kauft. Auflagen im Gegenzug für Kredite sollten der Vergangenheit angehören.
Daraus wurde nichts. Die Gläubiger stellten die Hilfe ein und weigerten sich, die letzte Tranche aus den insgesamt 240 Milliarden schweren Hilfspaketen freizugeben, bevor die Regierung im Gegenzug Reformen einleitet – und deren Umsetzung kontrollieren lässt. Auch auf einen neuen Schuldenerlass wollten sich die Gläubiger nicht einlassen.
Und so lief das zweite Hilfsprogramm aus. Griechenlands Regierung – und ihr schillernder Protagonist Yanis Varoufakis – hatten sich verzockt. Statt einen "nationalen Wiederaufbau" zu bekommen fiel Griechenland in die Rezession zurück, die Banken mussten schließen, Staatspleite und "Grexit" drohten. Nicht Deutschland als Verfechter der Sparpolitik war isoliert, sondern Griechenland.
Der "Grexit" droht
Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die von den Gläubigern durchgesetzte Rettungslogik nicht funktioniert hatte. Im Grunde erhielt die griechische Regierung neue Kredite nur, um alte Schulden zu begleichen. Zugleich wurden die Kredite an überzogene Sparauflagen geknüpft. Die griechische Wirtschaft brach ein, die Arbeitslosigkeit erreichte Rekordstände.
Dennoch drohte die in Finanzminister Varoufakis verkörperte Mischung aus Sendungsbewusstsein und Chuzpe Griechenland in die Pleite und aus der Eurozone zu befördern. Tsipras zog die Notbremse – gerade noch rechtzeitig. Erst ersetzte er Varoufakis durch Euklid Tsakalotos, dann akzeptierte er zahlreiche Reformauflagen und peitschte viele von ihnen im Eilverfahren durchs Parlament. Erhöhung des Renteneintrittsalters, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Öffnung von Märkten – nach Syriza klingt das nicht.
Und so könnte sich Tsipras gemessen an dem, was er vor den Parlamentswahlen angekündigt hatte, als Verlierer oder gar als Erfüllungsgehilfe der verhassten Troika fühlen. Doch das muss er nicht.
Denn obwohl die bisher eher wenig erfolgreiche Rettungslogik im Prinzip fortgesetzt wird, hat Tsipras etwas Wichtiges erreicht: Sie wird deutlich abgemildert. So muss Griechenland im kommenden Jahr einen Primärüberschuss (Haushaltssaldo minus Zinszahlungen) von 0,5 Prozent erzielen – ein durchaus realistisches Ziel, dass der Regierung etwas Luft gibt.
Der Fokus liegt weniger auf Sparpolitik, sondern auf Reformen. Für Griechenland sind das gute Nachrichten. Auch wenn einige Maßnahmen wie Mehrwertsteuererhöhung in Zeiten von Konjunkturschwäche eher kontraproduktiv sind: Von Reformen etwa im Justiz- und Finanzsystem oder der stufenweisen Abschaffung aller Frührenten wird das Land profitieren. Und werden die Reformen umgesetzt, werden sich die Gläubiger einem teilweisen Schuldenerlass nicht mehr verweigern können.
Da Tsipras sich in der griechischen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut, kann er umstrittene Maßnahmen selbst gegen heftigen Widerstand durchsetzen. Dann würde er als Ministerpräsident in Erinnerung bleiben, der in Griechenland Reformen vorangetrieben hat – welcher seiner Vorgänger kann das schon von sich behaupten.
Quelle: ntv.de