Wirtschaft

Deutsch-russische Verflechtungen Warum die Sicherheitsbehörden Wirecard schützten - und dann fallen ließen

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Die Begriffe Bilanzskandal oder Wirtschaftskrimi seien zu kurz gegriffen für den spektulären Fall von Wirecard, sagt Autorin Birgit Jennen.

Die Begriffe Bilanzskandal oder Wirtschaftskrimi seien zu kurz gegriffen für den spektulären Fall von Wirecard, sagt Autorin Birgit Jennen.

(Foto: picture alliance / SZ Photo)

Jahre nach dem Zusammenbruch des Skandalkonzerns Wirecard werden immer neue Details über die Verbindungen von Ex-Spitzenmanager Jan Marsalek vor allem zum russischen Geheimdienst bekannt. Wirtschaftsjournalistin und Autorin Birgit Jennen hält den Fall Wirecard im Kern für einen sicherheitspolitischen Skandal - und für symptomatisch für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.

ntv.de: Ihrer Einschätzung nach handelt es sich bei Wirecard nicht nur um einen Bilanzskandal, bei dem ein Beteiligter auch eine skurrile Verbindung nach Russland hat, sondern im Kern um einen Geheimdienstskandal. Welche Hinweise gibt es dafür?

Birgit Jennen: Die Begriffe Bilanzskandal oder Wirtschaftskrimi sind zu kurz gegriffen bei Wirecard. Man muss die Frage stellen, wie es möglich ist, dass Jan Marsalek jahrelang im Vorstand eines deutschen Dax-Konzerns agieren konnte, während er offensichtlich Verbindungen zum russischen Geheimdienst aufbaute, obwohl es jahrzehntelang Warnungen gab von britischen und amerikanischen Bündnispartnern, die Wirecards Geschäftspraktiken wie auch Marsalek persönlich schon lange im Blick hatten. Haben unsere Behörden wirklich einfach Fehler gemacht, nicht sauber gearbeitet? Nach meiner Recherche ist diese Erklärung nicht glaubhaft.

Was ist demnach eine mögliche Erklärung?

Man sollte die wirtschafts- und sicherheitspolitischen Hintergründe in den Blick nehmen: Es war außenwirtschaftspolitisch durchaus gewollt, dass die deutsche Wirtschaft nicht nur einen IT-Vorzeigekonzern etabliert, sondern auch mit Russland ins Geschäft kommt. Von den US-Amerikanern wollte die deutsche Politik, wenn es um die wirtschaftliche Anbindung an Russland ging, sich nicht reinreden lassen. Im Gegenteil, über eine enge wirtschaftliche Vernetzung zwischen Deutschland und Russland sollte der Frieden in Europa gesichert werden können. Diese Vernetzung war bis zu einem bestimmten Grad gewollt, hat auf verschiedenen Ebenen stattgefunden und wurde nach meiner Ansicht auch von deutscher Seite mit geheimdienstlichen Mitteln geschützt.

Welche Belege gibt es dafür?

Birgit Jenne arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Wirtschafts- und Politikjournalistin unter anderem als Büroleiterin von Bloomberg News in Berlin. Ihr Buch "Putins Marionetten: Wie geheime Netze in der deutschen Wirtschaft und Sicherheitsdienste uns an Russland ausliefern" ist gerade im Deutschen Wirtschaftsbuch Verlag erschienen.

Birgit Jenne arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Wirtschafts- und Politikjournalistin unter anderem als Büroleiterin von Bloomberg News in Berlin. Ihr Buch "Putins Marionetten: Wie geheime Netze in der deutschen Wirtschaft und Sicherheitsdienste uns an Russland ausliefern" ist gerade im Deutschen Wirtschaftsbuch Verlag erschienen.

(Foto: Birgit Jennen)

Im Fall von Wirecard fällt auf, dass der Konzern immer wieder, wenn es brenzlig wurde, über Beratungen oder Kanzleien an behördliche Informationen kam, die der Konzern eigentlich nicht hätte haben sollen, die es ihm aber ermöglichten, die Kritiker aus den USA oder Großbritannien abzuwehren. Auch ein enger Austausch mit der Polizei wirft Fragen auf, inwieweit Wirecard hier möglicherweise ungewöhnliche Hilfestellung von Staatsseite genossen hat. So konfiszierte die Polizei nach einem US-Rechtshilfeersuchen bei Wirecard zuerst Daten, gab die Datenträger aber kurz darauf an Wirecard-Anwälte zurück, sodass Wirecard die Daten selbst auswerten konnte. Ein Chatverlauf, in dem Marsalek behauptet, gar mit den Jungs vom BND in Kontakt zu stehen, legt eine Nähe zu den Sicherheitsdiensten nahe. Die Rolle der Nachrichtendienste, des Staatsschutzes oder anderer Sicherheitsdienste ist bei der Aufklärung des Falles bislang zu kurz gekommen. Wirecard ist ein sicherheitspolitischer Skandal.

Sie gehen noch einen Schritt weiter: Wirecard sei, was die Vernetzung auf der politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Ebene angeht, kein Einzelfall.

Wirecard ist sicherlich das plakativste Beispiel und bietet sich an, um zu zeigen, was für Auswüchse in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen möglich waren, über eine lange Zeit hinweg, obwohl die Bündnispartner gewarnt haben. Auf der einen Seite ist das ein Sonderfall, dass ein Manager wie Marsalek etwa Milizen in Libyen mit russischer Hilfe aufbauen will. Aber als ich recherchiert habe, wie diese extremen Auswüchse möglich waren, habe ich festgestellt, dass diese Vernetzung mit russischen Akteuren, in verschiedenen Formen in Breite stattfand. Politisch gewollt waren Vernetzungen und Einflusskanäle insbesondere um den staatlichen Gaskonzern Gazprom herum auf der einen und deutsche Unternehmen auf der anderen Seite.

In dem Buch geht es auch um große deutsche Konzerne wie Siemens oder BASF. Wo und wie ziehen Sie die Grenzen zwischen Unternehmen, die sich aus ihrem wirtschaftlichen Interesse vernetzten, und einer gefährlichen Verflechtung, die russischer Einflussnahme diente?

Natürlich sind Unternehmen wie Siemens erst einmal von Wirtschaftsinteressen geleitet. Im Falle Russlands sind sie aber bewusst strategische Partnerschaften etwa mit Gazprom eingegangen. Und Gazprom verfolgt als teilstaatlicher Konzern nicht nur Wirtschafts-, sondern vor allem auch geopolitische Interessen. Und Regie bei diesen Partnerschaften führte letztendlich der Kreml. Das zeigte sich spätestens 2014 nach der Annexion der Krim. Die deutsche Industrie wurde erfolgreich dadurch bei der Stange gehalten, dass viele Projekte, die zuvor geplant worden waren, dann nach 2014 umgesetzt werden sollten. Siemens-Chef Joe Kaeser reiste beispielsweise mitten in der Krimkrise nach Moskau, traf sich mit Putin und versicherte ihm, dass alle Verpflichtungen und die Vereinbarungen weiterhin Bestand hätten. Da sieht man, wie tief sich die deutsche Industrie hat einwickeln lassen. Die Unternehmen blieben und investierten noch in Russland, als sich andere internationale Geschäftspartner längst zurückgezogen hatten. Denn die deutsche Wirtschaft war, politisch gewollt etwa im Rahmen des Petersburger Dialogs, eine Allianz mit dem Kreml eingegangen. Und ein Ergebnis dieser Allianz war gerade, dass diese Partnerschaft auch in Krisen wie 2014 weitergeführt werden konnte.

Dass Unternehmen und ihre Verbände Netzwerke bilden, ist erst einmal etwas ganz Gewöhnliches. Warum waren die Verflechtungen mit Russland, von denen Sie sprechen, problematisch?

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Es gibt ganz normale Netzwerke, die den Handel zwischen Deutschland und Russland förderten, zum Beispiel den Ostausschuss der deutschen Wirtschaft. Viele der Akteure deutscher Unternehmen haben in Russland tatsächlich in gutem Glauben gehandelt. Sie dachten teilweise, im Sinn der Interdependenztheorie durch gegenseitige Abhängigkeiten den Frieden zu fördern in Europa. Allerdings hätten sie und vor allem die deutsche Politik bald merken müssen, dass der russische Staatschef Wladimir Putin gar keinen Frieden in Europa wollte. Die Bundesregierung hätte nicht zulassen dürfen, dass die Verbindungen der deutschen Wirtschaft mit Russland entsprechend den strategischen Interessen des Kremls immer weiter ausgebaut wurden. Der Wirtschaft hätten im Umgang mit Russland Grenzen gesetzt werden müssen. Stattdessen hat die Bundesregierung etwa Nord Stream als rein wirtschaftliches Projekt definiert, die sicherheitspolitischen Warnungen der Partner auch hier abgeblockt. So konnte Russland auch noch nach 2014 Deutschland in Partnerschaft mit der deutschen Industrie weiter in eine Energieabhängigkeit treiben. Eine Besonderheit dieser Netzwerke ist die Rolle privater strategischer Beratungen oder Sicherheitsfirmen. Das sind Beratungen an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Sicherheitsorganen. Bekannt ist etwa die Unternehmensberatung Pluteos, wo Ex-BND-Chef August Hanning tätig ist. Die Gruppe wirbt mit ihren Intelligence- und Sicherheits-Experten, mit ihren enormen Erfahrungen und großem Kontaktnetz.

Was machen diese Agenturen genau?

Das Grundproblem dieser Berater, in der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Sicherheit, ist, dass man nicht weiß, was sie machen und für wen sie tätig sind. Sie können für die Wirtschaft genauso wie für ausländische Akteure, oder auch Regierungen tätig sein, etwa um Netzwerke und Verbindungen in die deutsche Politik und Sicherheitsstellen aufzubauen. Nach dem Zusammenbruch von Wirecard haben wir interessante Einblicke bekommen: Berater haben unter anderem Kontakte für das Management in die deutsche Politik eingefädelt. Dadurch wurde für Wirecard eine Art politischer Schutzschirm geschaffen, was zumindest teilweise erklärt, wie das Unternehmen so lange trotz der Hinweise auf illegale Machenschaften und die Verbindungen zu Russland operieren konnte. Für Wirecard tätig wurde nicht nur der bayerische Ex-Polizeipräsident Waldemar Kindler, sondern auch der ehemalige Geheimdienstbeauftragte im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche. Er war laut Vereinbarung mit Wirecard explizit für den Bereich Security zuständig, was in der Praxis bedeutete, dass er half, Kontakte zum Kanzleramt aufzubauen.

Bei Wirecard ist bekannt geworden, welche ehemaligen Geheimdienstler alle tätig waren und welche Rolle sie spielten. Nicht bekannt ist, dass die auch bei vielen anderen Unternehmen tätig waren.

Absolut. Und diese Intransparenz ist gefährlich: Es kann nicht sein, dass Berater - welcher Art auch immer - mit Russland oder bei nächster Gelegenheit etwa für China Strategien entwickeln, die letztendlich das Ziel haben, Deutschland in eine Abhängigkeit zu manövrieren. Solche Strategien wurden übrigens auch von ganz renommierten Beratungsfirmen entwickelt. Darauf geht etwa ein Plan zurück, Aufsichtsräte russischer Staatskonzerne mit deutschen Führungspersonen zu besetzen.

Kann man sagen, dass der Bilanzskandal, indem er zum Zusammenbruch von Wirecard führte, auch etwas Gutes hatte: Er hat Einblicke in diese Strukturen ermöglicht, die sonst im Dunkeln geblieben wären?

Ich würde bezweifeln, dass Wirecard in erster Linie wegen der Bilanzmanipulationen zu Fall gekommen ist. Ich denke, das ist nicht komplett zu trennen von den politischen und geheimdienstlichen Verwicklungen mit Russland. Es gab ja seit Jahrzehnten Warnungen der Bündnispartner. Die ignorierten die deutschen Stellen aber konsequent. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Wirecard an einem Punkt eine rote Linie überschritten hat: Als Wirecard zur Hausbank des ukrainischen, ehemaligen Gazprom-Geschäftspartners Dmytro Firtasch wurde, dessen Auslieferung die USA schon seit Jahren forderten. Gleichzeitig rückte Wirecard dann auch noch gefährlich nah an die damals neue Administration von Donald Trump und an Merkel persönlich heran. Da fiel das Fallbeil über Wirecard.

Wer ließ das Fallbeil fallen?

Die Sicherheitsdienste, die so lange bei Wirecard zugeschaut hatten, und den Konzern wohl auch für ihre Zwecke nutzen, waren nun wohl bereit, die Reißleine zu ziehen. Zwischen den Sicherheitsbehörden gab es offenkundig unterschiedliche Ansichten und Interessen. Die Tätigkeit für Firtasch könnte der Punkt gewesen sein, an dem sich dann diejenigen durchsetzten, für die die Verfolgung von Geldwäsche Priorität hatte. Ich denke, da ist auch der BND eingeschwenkt und wollte dem Treiben von Wirecard dann auch ein Ende setzen. Neuer Wirecard-Chef wurde daraufhin bezeichnenderweise jemand, der jahrelang in den USA in der Bekämpfung von Geldwäsche gearbeitet hatte.

In solche Strukturen bekommt die Öffentlichkeit normalerweise keinen Einblick. Ist das etwas Positives am Fall Wirecard?

Das wäre etwas Positives, wenn man daraus entsprechende Lehren ziehen würde. Aber das sehe ich nicht. Es ist immer noch die Rede vom Wirecard-Bilanzskandal oder Wirtschaftskrimi. Wir haben noch nicht aufgearbeitet, inwiefern dieser Fall symptomatisch für ein Scheitern der deutschen Sicherheitspolitik im Wirtschaftsbereich ist, welchen Freiraum wir Russland und anderen Diktaturen einräumen, in Deutschland Geschäfte zu machen und ihre geostrategischen Interessen mithilfe der deutschen Wirtschaft durchzusetzen.

Mit Birgit Jennen sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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