Kein Gas in Mannheim ab 2035 Wenn die Stadt das Gasnetz stilllegt
11.12.2024, 15:01 Uhr
Familienvater und Eigenheimbesitzer Christian Brosch rechnet - nach Abzug aller Fördermöglichkeiten - mit Kosten von rund 20.000 Euro, um seine Gasheizung loszuwerden.
(Foto: picture alliance/dpa)
Schon in gut zehn Jahren wird es in Mannheim kein Erdgas zum Heizen mehr geben. Der Versorger MVV will das Gasnetz der Stadt 2035 stilllegen. Für viele Kunden ist die Ankündigung ein Schock. Trotzdem loben Verbraucherschützer das Vorgehen.
Christian Brosch war schockiert. "Ich fühlte mich sehr vor den Kopf gestoßen von dieser Entscheidung", sagt der 40-jährige Unternehmensberater, der seit vier Jahren mit seiner Familie in Mannheim in einer Doppelhaushälfte wohnt - mit Gasheizung. Im November hat der Mannheimer Energieversorger MVV verkündet, das Gasnetz der Stadt bis 2035 stilllegen zu wollen. Davon sind laut MVV 25.000 Haushalte in Mannheim betroffen. Nicht nur in Broschs Stadtviertel Schönau ist der Ärger groß.
Mannheim ist Vorreiter: Weder beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU), noch beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist ein weiterer Energieversorger bekannt, der bisher ein Ausstiegsdatum für sein Gasnetz genannt hat. Allerdings müssen sich bundesweit Kommunen und Energieversorger mit dem Thema beschäftigen. Denn gemäß Klimaschutzgesetz soll Deutschland bis 2045 klimaneutral sein. Dazu gehört auch der weitgehende Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas. Außerdem verpflichtet die seit August geltende EU-Gas- und Wasserstoffbinnenmarktrichtlinie Gasnetzbetreiber, Stilllegungspläne vorzulegen. Die Richtlinie muss dem Wirtschaftsministerium zufolge bis August 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden. Deutschland steht eine Mammutaufgabe bevor: Laut BDEW heizten noch 2023 rund 48 Prozent der Haushalte im Land mit Gas.
Wann genau und wie sich einzelne Kommunen von fossilen Brennstoffen verabschieden werden, wird sich laut VKU erst noch zeigen. "Die Kommunen sind gerade erst dabei, ihre Wärmepläne zu erarbeiten, aus denen dann abgeleitet werden kann, wo, wann und wie schnell die Wärmeversorgung umgestellt werden könnte", sagt ein Sprecher. Allerdings sei jetzt schon klar: "Strom und Fernwärme werden an Bedeutung gewinnen, Gas an Bedeutung verlieren." Größere Städte müssen demnach bis 2026 ihre Wärmepläne erarbeiten, kleinere bis 2028.
Mit dem schon für 2035 angekündigten abrupten Ende der Gasversorgung hat MVV seine Kunden schockiert. Ein langfristiger oder schrittweiser Ausstieg aus dem Gasnetz birgt allerdings auch Risiken für die Verbraucher. Die Verbraucherzentrale warnt vor Preissteigerungen, etwa bei den Netzentgelten. "Je mehr Verbraucher sich aus dem Gasnetz verabschieden, indem sie beispielsweise auf eine Wärmepumpe umstellen, umso teurer wird es für die Zurückbleibenden", sagt ein Sprecher. "Das wird besonders einkommensschwache Haushalte treffen. Den Letzten beißen die Hunde."
Kein Wasserstoff für Privathaushalte
Die Verbraucherzentrale empfiehlt Gasheizungs-Besitzern eine vorausschauende Planung:
- Verbraucher sollten zunächst die Ergebnisse der kommunalen Wärmeplanung für ihr Wohngebiet beobachten.
- Sie sollten sich unabhängig beraten lassen. Wer in einem Gebäude wohnt, das einen sehr niedrigen Wärmestandard habe, sollte einen Sanierungsplan aufstellen.
- Zu einer neutralen Beratung gehören die Fördermöglichkeiten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sowie der KfW-Bank.
- Grundsätzlich ist es einfacher, den Austausch der Heizungsanlage geplant vorzunehmen, zum Beispiel im Sommer, und nicht dann, wenn die Heizung in der kalten Jahreszeit kurzfristig ausfallen sollte.
- Wenn die Heizung ein gewisses Alter erreicht habe - beispielsweise mehr als 15 Jahre - sollten sich Verbraucherinnen und Verbraucher Gedanken machen, wann ein Austausch sinnvoll wäre und welche neue Heizungsvariante für sie passen würde.
Eine Möglichkeit zur weiteren Nutzung von Gasnetzen könnte eine Umstellung auf grüne Gase sein, wie Wasserstoff oder Biomethan. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) spricht dabei von "unverzichtbaren" Alternativen. Allerdings gebe es bisher in Deutschland nur eine begrenzte Herstellung von Biomethan. Auf eine ähnliche Situation verweist der VKU beim Wasserstoff.
Der MVV hat Privathaushalten in Bezug auf grüne Gase bereits eine Absage erteilt: Biomethan gebe es nicht genug und Wasserstoff sei zu teuer. Bei Geschäftskunden, die an das Gas-Hochdrucknetz angeschlossen seien, sei dagegen Wasserstoff eine mögliche Option, hieß es kürzlich in einer Mitteilung.
Die Verbraucherzentrale lobt die Mitteilung des Mannheimer Energieversorgers als transparent gegenüber den Kunden. Wenn innerhalb der nächsten zehn Jahren eine Gasheizung ersetzt werden müsse, wüssten die Verbraucher nun, dass es sich für sie nicht mehr lohne, eine neue Gasheizung zu kaufen, heißt es.
Gasheizungs-Besitzer Brosch aus Mannheim versucht jetzt, sich über Alternativen zu informieren. "Das Erste, was ich gemacht habe: Ich habe mir für Januar eine Energieberatung bei der Verbraucherzentrale gebucht." Da in seinem Teil des Stadtviertels die MVV keine Fernwärme anbietet, bleibe ihm nur eine Wärmepumpe, sagt Brosch. Da gehe er im Moment von rund 35.000 Euro Kosten und einer möglichen Förderung von 15.000 Euro aus. "Also bin ich bei 20.000 Euro, die bei mir hängenbleiben, ohne weitere Finanzierungsmaßnahmen", sagt Brosch. "Und das ist natürlich ein Betrag, den muss man erst mal aufbringen." Er habe Rentner in der Nachbarschaft, die nicht wüssten, wie sie einen solchen Betrag über Kredite überhaupt finanzieren könnten.
Quelle: ntv.de, Stefanie Järkel, dpa