
EZB-Präsidentin Christine Lagarde.
(Foto: REUTERS)
Anfang des Jahres deutete US-Notenbankchef Powell Zinssenkungen an - und die Börse feierte eine Party. Doch nun wachsen die Zweifel, ob es tatsächlich bald zur geldpolitischen Wende kommt.
Es soll das Jahr der Zinssenkungen werden. Bereits im März werde die US-amerikanische FED bestimmt loslegen - das war jedenfalls die vorherrschende Meinung an den Finanzmärkten. Mittlerweile wachsen aber die Zweifel.
Ausgelöst hatte die Zins-Hoffnung FED-Chef Jerome Powell. Er hatte im Dezember angedeutet, dass es im neuen Jahr mit dem wichtigsten Leitzins nach unten gehen könnte - und zwar um 0,75 Prozentpunkte. Das sorgte an den Börsen für gute Laune, es ging dort steil nach oben. Denn Powells Andeutung wurde so interpretiert, dass der erste Zinsschritt im März kommt und weitere zweifellos folgen. Mit Blick auf die EZB setzte sich die Erwartung durch, dass sich die Europäer unter Führung von EZB-Präsidentin Christine Lagarde an den Amerikanern ein Beispiel nehmen.
Der Grund: Die Notenbanken sind auf ihrem Weg schon sehr weit gekommen, das Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen. Die Teuerung im Euro-Raum lag im Dezember bei 2,9 Prozent, in den USA bei 3,4 Prozent.
Sinkende Zinsen kurbeln tendenziell die Konjunktur an, da Kredite günstiger werden. Die Börse wollte sich die Partystimmung selbst nicht von Zentralbankern auf beiden Seiten des Atlantiks verderben lassen, die nicht müde wurden zu betonen, dass Zinssenkungen keine ausgemachte Sache seien - schon gar nicht in einigen Wochen.
Doch das Mantra der Notenbanker zeigt langsam Wirkung. "Unter den Investoren macht sich jetzt Ernüchterung breit, was die Zinserwartungen anbelangt", sagte Jochen Stanzl, Analyst beim Broker CMC Markets. "Sie gehen zwar weiterhin von Zinssenkungen aus, hinterfragen aber immer mehr Zeitpunkte und Anzahl dieser Schritte."
Finanzmarkt setzt auf den April
Unter dem Strich bleibt Zuversicht. Die Analysefirma Capital Economics geht laut "Financial Times" davon aus, dass die weltweit 20 wichtigsten Notenbanken die Leitzinsen in diesem Jahr so stark senken werden wie seit der Finanzkrise nicht mehr - insgesamt um 35 Prozentpunkte. "Dies wird ein Jahr der Zinssenkungen sein", zitiert die Zeitung die Capital-Ökonomin Jennifer McKeown. Das liege daran, dass die steigenden Energiekosten und die Unterbrechungen der Lieferketten, die die Inflation ab 2022 in die Höhe schnellen ließen, endlich wieder zurückgehen. Gleichzeitig habe die vorherige aggressive Straffung der Geldpolitik begonnen, die Wirtschaftstätigkeit zu belasten.
Am Finanzmarkt wird derzeit darauf spekuliert, dass die EZB die Zinsen spätestens im April senkt - mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ist skeptisch. "Ich halte das für ziemlich früh", sagte er ntv. Der Ökonom geht davon aus, dass die EZB die Zinsen vermutlich erst zur Jahresmitte senkt. Einen Zinsschritt der FED erwartet er zu einem früheren Zeitpunkt. Zum einen habe die FED die Zinsen eher und stärker erhöht als die Europäer. Zum anderen sei die Inflation in den USA tiefer gefallen als in der Eurozone.
Die Notenbanker fürchten, die Geldpolitik zu früh zu lockern. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte am Wochenende gesagt, eine zu schnelle Zinssenkung könne eine neue Inflationswelle auslösen. Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau sagte mit Blick auf die Inflation: "Es ist zu früh, den Sieg zu verkünden." Zugleich sagte er, die EZB werde wahrscheinlich in diesem Jahr die Zinsen nach unten setzen. "Sofern es keine großen Überraschungen gibt - wir blicken in den Nahen Osten." "Ich werde mich zur Jahreszeit nicht äußern," fügte er hinzu.
Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann hält es sogar unter anderem angesichts der geopolitischen Unsicherheiten noch gar nicht für ausgemacht, dass die EZB dieses Jahr die Zinsen herabsetzen wird. "Wir sollten auf die Zinssenkung 2024 gar nicht bauen", sagte er Bloomberg.
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sieht das auch so. Es sei noch zu früh, um über Zinssenkungen zu sprechen. "Die Inflation ist immer noch hoch", sagte er. Deshalb seien diese Diskussionen verfrüht. "Vielleicht können wir bis zur Sommerpause warten", so Nagel. Die Währungshüter sollten den Fehler vermeiden, zu früh die Zinsen zu senken. Solch ein Fehler sei in der Vergangenheit begangen worden. "Ich möchte diesen Fehler nicht wiederholen." Die Börsen seien manchmal optimistisch und manchmal auch überoptimistisch. "Das ist ihre Sichtweise, ich habe eine andere Ansicht", erläuterte er. Von Sitzung zu Sitzung voranzuschreiten, sei der richtige Weg.
Quelle: ntv.de, mit rts