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Professor auf Solo-Pfaden Charité-Zoff um Klassik in vollen Sälen

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Auch die Berliner Philharmoniker würden sicher gerne wieder vor einem vollen Haus spielen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Chef des Charité-Instituts für Epidemiologie hält klassische Konzerte in vollen Sälen für machbar. Entscheidend dafür sei die wissenschaftliche Beurteilung der Wirksamkeit von Masken. Doch sein Arbeitgeber sieht das nicht so und distanziert sich von seinem Mitarbeiter, der auch Dirigent ist.

Wenn in Deutschland derzeit klassische Konzerte stattfinden, dann entweder nur vor laufenden Kameras oder vor sehr ausgedünnten Sitzreihen. Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Charité, hält das für unnötig. Er teilt dem RBB mit, solche Veranstaltungen seien auch in vollbesetzten Sälen unter bestimmten Bedingungen möglich. Der Sender berichtet daraufhin exklusiv, die Charité halte Opern und Klassikkonzerte vor vollen Sälen für machbar. Das liest die Charité allerdings gar nicht gerne, denn sie ist überhaupt nicht der Meinung ihres Institutsleiters.

Masken-Pflicht und Luftaustausch

"Die entscheidende Grundlage ist die wissenschaftliche Beurteilung der Wirksamkeit von einem Mund-Nasen-Schutz. Wenn man einen solchen Schutz trägt, werden etwa 95 Prozent der Viruslast absorbiert. Das heißt, man selber ist geschützt, und auch das Gegenüber", sagt Willich. Ob er jede Maske akzeptiert oder einen chirurgischen Mund-Nasen-Schutz vorschreiben möchte, geht aus dem RBB-Artikel nicht hervor. Eine aktuelle Metaanalyse spricht allerdings dafür.

So oder so reicht eine Masken-Pflicht alleine nicht aus. Denn auch ein korrekt angelegter chirurgischer Mund-Nasen-Schutz kann die Freisetzung von Aerosolen nicht effektiv genug unterbinden. Ebenso wenig können sie eine Ansteckung verhindern. Willich setzt daher "moderne ausreichende Belüftungsanlagen" voraus, "teilweise auch mit speziellen Filtern." Es müsse ein "ordentlicher Luftaustausch" gewährleistet sein.

Bars sollen geschlossen bleiben

Um in den Pausen oder vor und nach Veranstaltungen die Infektionsgefahr niedrig zu halten, behielten hier die üblichen Hygieneregeln ihre Gültigkeit, sagt der Epidemiologe. "Die Bars sollten also geschlossen bleiben, damit der Mundschutz aufgesetzt bleiben kann, und um Gedränge zu vermeiden. Zudem eine kontaktlose Einlasskontrolle und die Registrierung von Kontaktdaten beim Erwerb der Konzertkarten." Außerdem sollen alle Kontaktflächen wie Türklinken, Armlehnen, Treppengeländer sowie der gesamte Sanitärbereich nach jeder Veranstaltung gründlich gereinigt werden.

Warum nur klassische Konzerte oder Opern in vollen Häusern stattfinden dürfen, begründet Willich mit dem Verhalten des Publikums. "Das Besondere bei klassischen Konzerten ist, dass das Publikum in der Regel aufgeklärt und sehr diszipliniert ist, dass nicht gesprochen wird während der Veranstaltung, dass man still da sitzt, alle in einer Reihe, man sitzt sich auch nicht gegenüber." Willich ist selbst Dirigent, war Rektor der Hochschule für Musik "Hans Eisler" in Berlin und gründete das World Doctors Orchestra.

Risikobewusstes Publikum?

Außerdem glaubt der passionierte Dirigent, dass das höhere Durchschnittsalter des klassischen Publikums zur Sicherheit beiträgt. "Die Risikofaktoren für Corona sind hohes Alter und relevante chronische Begleiterkrankungen. Ich denke, wenn man einer solchen Risikogruppe angehört, sollte und wird man selbst entscheiden, ob man sich der Öffentlichkeit aussetzt, ob man gewisse Risiken, und seien sie auch sehr gering, eingeht oder nicht."

Auch die Musiker selbst dürfen nach Willichs Studie wieder fast so eng wie vor Corona zusammenrücken. Weitere physiologische und strömungstechnische Untersuchungen zeigten, dass auch bei Bläsern letztlich nur in einem sehr dichten Umkreis, ungefähr ein Meter um den Spieler herum, Tröpfchen und Aerosole zu erwarten seien im Fall eines infizierten Mitspielers. "Auf dieser Basis konnten wir jetzt die Distanzregeln reduzieren. Bei Streichern reicht ein Meter und bei Bläsern 1,5 Meter Abstand. Das entspricht fast wieder einer normalen Orchesteraufstellung", sagt Willich.

Charité distanziert sich

Da der RBB-Artikel einige Fragezeichen offen ließ, bat ntv.de die Charité um die Studie des Epidemiologen. Doch stattdessen schickte deren Unternehmenssprecherin eine ziemlich scharfe Distanzierung. Bei der "Stellungnahme zum Publikumsbetrieb von Konzert- und Opernhäusern während der COVID-19-Pandemie" handele es sich nicht um ein abgestimmtes Papier, schreibt sie. "Dieses gibt nicht die Position des Charité-Vorstands wieder. Der Entwurf berücksichtigt nicht die aktuelle Dynamik des Infektionsgeschehens und der damit verbundenen Risiken. Das Papier ist daher nicht als Handlungsvorschlag, sondern als Grundlage einer weiteren kritischen Diskussion im Rahmen der Berliner Teststrategie zu betrachten."

Quelle: ntv.de

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