Übergewicht als Risikofaktor? Corona kann Fettzellen infizieren
13.12.2021, 15:06 Uhr
Fettleibige Menschen sind Corona-Risikopatienten.
(Foto: picture alliance/dpa/CTK)
Viele Corona-Patienten, die unter einem schweren Verlauf leiden, sind übergewichtig. Das ist seit Beginn der Pandemie bekannt. Die Ursache dafür jedoch nicht. Die Ergebnisse einer neuen Studie zeigen, warum Fettleibigkeit ein Risiko für eine Corona-Infektion darstellt.
Dass Übergewicht und Fettleibigkeit ein Risiko für einen schweren Verlauf von Corona darstellen, ist bereits bekannt. Schätzungen zufolge sind 30 bis 50 Prozent der Menschen, die einen schweren Corona-Verlauf haben, übergewichtig. Bislang haben Mediziner Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Probleme und Atemstörungen für das erhöhte Risiko verantwortlich gemacht. Doch ein internationales Forscherteam hat das Fettgewebe von verstorbenen Covid-19-Patienten untersucht - und eine weitere Ursache gefunden.
Laut der neuen, noch nicht begutachteten Studie kann das Coronavirus sowohl Fettzellen als auch bestimmte Immunzellen im Körperfett infizieren und so eine schädliche Abwehrreaktion des Körpers auslösen. In einem Interview mit der Deutschen Welle erklärte die Hauptautorin der Studie und Professorin an der Stanford University Medical Cetner, Catherine Blish, die Ergebnisse: "Die Daten unserer Studie deuten darauf hin, dass die Infektion des Fettgewebes und die damit verbundene Entzündungsreaktion einer der Gründe dafür sein könnte, warum fettleibige Personen bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 so schlecht abschneiden".
Bisherige Studien haben gezeigt, dass Sars-CoV-2-Proteine in zahlreichen Geweben, darunter Lunge, Gehirn, Darm und Bauchspeicheldrüse, nachgewiesen werden können. Fettzellen wurden jedoch noch nicht untersucht. Dabei ist die Hypothese, dass sich ein Virus im Fettgewebe verstecken könnte, gar nicht so weit hergeholt - auch bei Influenza A und HIV infiziert das Virus Fettzellen. Also untersuchte das Forscherteam die Fettzellen von Patienten, die an Corona gestorben waren.
Corona kann sich in Fett verstecken
Wie erwartet, war der Nachweis von Sars-CoV-2 in der Lunge am höchsten. Aber interessanterweise folgt das Fettgewebe als Nächstes. Laut der Studie ist das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 - auch als ACE2-Rezeptoren bekannt - dafür verantwortlich. Denn ohne diese Rezeptoren kann das Virus nicht in das Gewebe gelangen. Bislang wurde bei Corona-Patienten eine hohe Dichte an ACE2-Rezeptoren in der Lunge gefunden. Das Sars-CoV-2-Virus bindet sich an die ACE2-Rezeptoren und dringt so in die Lunge der infizierten Person ein. Laut den Studienautoren sind genau diese Rezeptoren in Fettzellen reichlich vorhanden - mehr als in anderen Zellen und sogar mehr als im Lungengewebe.
Das Coronavirus kann daher sehr gut in die Fettreserven eindringen und sich dort lange Zeit verstecken. Der Studie zufolge sind nicht nur die Fettzellen selbst betroffen - auch bestimmte, im Fettgewebe befindliche Immunzellen, sogenannte Makrophagen, können mit Corona infiziert werden. Hier findet die Entzündungsreaktion statt, die bei fettleibigen Menschen oft zu einem schweren Verlauf führt.
Long Covid in Fettzellen
Diese Entzündung kann schnell auf andere Körperteile übertragen werden. Denn Fett befindet sich nicht nur an Bauch und Beinen. Auch Organe sind in Fett eingebettet und werden von der Entzündungsreaktion betroffen. Das Problem: "Was immer im Fett passiert, bleibt nicht im Fett", sagte Philipp Scherer, ein Wissenschaftler, der sich mit Fettzellen auseinandersetzt, der "New York Times". "Es wirkt sich auch auf das benachbarte Gewebe aus."
Das bedeutet: "Je mehr Fettmasse und insbesondere viszerale Fettmasse, desto schlimmer ist die Entzündungsreaktion", sagte Tracey McLaughlin, eine der Hauptautorinnen der Studie, der "New York Times".
Dazu fanden die Forscher in der Studie auch einen Zusammenhang mit Long Covid bei fettleibigen Patienten. Die Übertragung der Infektion auf die Organe kann sich über einen langen Zeitraum hinziehen. "Wenn Fettzellen ein Reservoir für Virusinfektionen darstellen, kann Fettleibigkeit nicht nur zu einer schweren akuten Erkrankung, sondern auch zu einem lang anhaltenden Covid-Syndrom beitragen", heißt es in der Studie.
Folgen für die Impfkampagne?
Bisher wurde der Fettanteil eines Menschen bei den Behandlungsmethoden nicht wirklich berücksichtigt - obwohl ein großer Teil der behandlungsbedürftigen Corona-Patienten fettleibig oder übergewichtig ist. Das Virus in den Fettzellen reagiert der Studie zufolge auf die bekannte antivirale Therapie mit Remdesivir - auch andere Medikamente könnten die Reaktion in den Makrophagen verhindern oder zumindest verringern. Die Ergebnisse der Studie sind nicht nur für die Behandlung übergewichtiger und fettleibiger Menschen wichtig.
Auch die Impfkampagne könnte von den Ergebnissen der neuen Studie beeinflusst werden. Möglicherweise müsste die Impfung nach dem Gewicht dosiert werden. "Diese Forschung ist ein weiterer Weckruf für Ärzte und das öffentliche Gesundheitswesen, sich eingehender mit der Problematik übergewichtiger und fettleibiger Menschen und den Behandlungen und Impfstoffen, die wir ihnen verabreichen, zu befassen", sagte Barry Popkin, Professor für Ernährung an der University of North Carolina, der "New York Times".
Quelle: ntv.de, cls