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Besiegen B-Zellen das HI-Virus? "Ein großer Fortschritt" im Kampf gegen AIDS

Die Illustration zeigt, wie Antikörper ein HI-Virus attackieren.

Die Illustration zeigt, wie Antikörper ein HI-Virus attackieren.

(Foto: www.imago-images.de)

Es ist eine Pandemie, die nicht enden will: Das AIDS-Virus HIV (Human Immunodeficiency Virus) ist zwar kontrollierbar, aber bisher nicht bezwungen. Ein Forscherteam um Adi Barzel und Alessio Nehmad von der Universität Tel Aviv versucht es mit einem neuen Ansatz: Weiße Blutkörperchen - sogenannte B-Zellen - werden gentechnisch so verändert, dass sie Antikörper erzeugen, die das Virus angreifen. Tierversuche an Mäusen waren bereits erfolgreich, nun folgen weitere an Affen. Im Gespräch mit ntv.de erklärt Adi Barzel, was dahintersteckt.

ntv.de: Herr Barzel, die polnisch-französische Physikerin und Nobelpreisträgerin Marie Curie sagte einmal, "was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr". Gehört das AIDS-Virus also schon bald der Vergangenheit an?

Zum Feiern ist es vielleicht noch ein bisschen zu früh. Ich denke, es ist ein großer Fortschritt. Nicht nur im AIDS-Bereich, sondern allgemein bei der Fähigkeit, das Immunsystem zu manipulieren, um verschiedene Krankheiten zu bekämpfen.

Adi Barzel von der Universität Tel Aviv.

Adi Barzel von der Universität Tel Aviv.

Also nicht nur AIDS?

Egal, ob Infektionskrankheiten, in diesem Fall verursacht durch das HI-Virus, oder auch Krebs, Autoimmunerkrankungen und Allergien - durch neue Technologien können wir diese Herausforderungen immer besser bewältigen. Denn diese ermöglichen es uns, das Immunsystem effektiver zu manipulieren. Wir haben es zum ersten Mal geschafft, B-Zellen, eine Art weißer Blutkörperchen, zu entwickeln. Diese neue Fähigkeit ermöglicht es uns, spezifische Antikörper gegen HIV zu erzeugen. Wir sind davon überzeugt, dass diese das Virus neutralisieren werden, was der Krankheit AIDS vorbeugt.

Wie reagiert das HI-Virus, wenn es auf die von Ihnen manipulierten B-Zellen im Körper trifft?

Das Virus stimuliert die B-Zellen und regt sie zur Teilung an, wodurch sich die Antikörper weiter verbreiten. Wenn sich das Virus verändert oder weiterentwickelt, passen sich die B-Zellen automatisch an, um es zu bekämpfen. Damit haben wir das erste Medikament, das sich im Körper des Patienten tatsächlich weiterentwickeln kann, was bedeutet, dass das Virus nicht in der Lage sein sollte, es zu überwinden.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben Behandlungen HIV-Infizierten ermöglicht, länger zu leben. Kann Ihre Forschung eine dauerhafte Heilung ermöglichen?

Wir hoffen es. Unser Ziel ist es, dass eine einzelne Injektion den täglichen Medikamentencocktail ersetzen soll, den ein Patient ein Leben lang einnehmen muss.

Wie können wir uns so eine Injektion vorstellen?

Zu Beginn unserer Behandlung wird die Virämie (der Virusspiegel im Blut, Anm. d. Red.) des Patienten durch den medikamentösen Cocktail niedrig sein. Ziel unserer Injektion wäre es dann, ihn weiter niedrig zu halten und zu verhindern, dass er ansteigt. Wir würden danach den Virusspiegel eine Zeit lang beaufsichtigen. Sollte er wieder steigen, kann der Infizierte immer noch zum Cocktail zurückkehren.

Wenn er nicht wieder steigt, ist der HIV-Infizierte dann genesen?

Dies wäre wünschenswert. Die ehemals infizierte Person soll danach wieder ein normales Leben führen können, auch sexuell. Dies können HIV-Patienten, die eine antiretrovirale Therapie in Form des medizinischen Cocktails einnehmen, auch schon heute. Solange sie die Pillen nehmen, ist ihre Virämie niedrig und so können sie auch Geschlechtsverkehr haben.

In den letzten Jahren hat die Welt viel über die Bekämpfung von Viren gehört. Ist dies eine bahnbrechende Technologie, also etwas, was noch nicht erforscht wurde, zumindest in Bezug auf HIV?

Ja, es ist bahnbrechend, obwohl sie auf die revolutionären Technologien aus den Jahren 2019/2020 aufgebaut ist. Wir waren eines von mehreren Labors, die B-Zellen entwickeln konnten, und jetzt, im Jahr 2022, sind wir das erste, das dies im Körper tun kann. Die vorherige Form dieser Behandlung erforderte, B-Zellen aus dem Blut zu extrahieren, sie dann im Labor zu behandeln und wieder zurückzuinjizieren. Dies erforderte wiederum keimfreie Räume und ein gutes Herstellungsverfahren. Die Forscher trugen spezielle Anzüge und alles war mit großem Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Mit einer einzigen Injektion wollen wir dies ersetzen.

Gilt dies auch bei Patienten, wo das AIDS-Virus bereits ausbrach?

Auch Patienten, die bereits mit dem AIDS-Virus infiziert sind und eine antiretrovirale Therapie erhalten, können viele Jahre mit der Krankheit leben und sterben nicht gleich wegen jeder kleinen Infektion. Mit der neuen Behandlungsmethode, hoffentlich auch ohne die tägliche Einnahme von Medikamenten.

Könnte dies einen weltweiten Effekt auf AIDS haben?

Wissenschaftlich gesehen könnte die Antwort Ja lauten. Die Herausforderung ist finanzieller Natur, denn es handelt sich um teure Medikamente. Wann und wie es die weniger entwickelten Länder erreichen wird, ist eine wichtige Frage. Unter anderem investieren Stiftungen wie die Bill and Linda Gates Foundation viel Geld, einschließlich der Forschung, an der ich teilnehme, um diese Medikamente in diese Regionen zu bringen. Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Was ist, wenn die erfolgreichen Tests bei den Tieren beim Menschen kaum Wirkung zeigt?

Natürlich sind wir trotz Verwandtschaft nicht ganz wie der Affe. Das bedeutet, dass einige Behandlungen, die in Tiermodellen erfolgreich waren, beim Menschen keine Wirkung zeigten. Es ist aber ein Versuch wert und wir lernen viel. Mit Durchhaltevermögen und Geduld kriegen wir es am Ende hin.

Es gibt bereits Menschen, die Medikamente einnehmen, um das Risiko einer HIV-Infektion zu verhindern. Wie unterscheidet sich Ihre Forschung von der Präexpositionsprophylaxe?

Wenn man eine Infektion vermeiden will, dann ist die Prophylaxe zu empfehlen. Nach einer HIV-Ansteckung ist sie aber nicht mehr relevant und so müssen Millionen von infizierten Menschen eine medizinische Behandlung bekommen. Diese dauert ein Leben lang, wo die Patienten mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben und die Einnahme nicht vergessen dürfen, um nicht andere anzustecken. Deshalb glauben wir, mit nur einer einzigen Injektion Abhilfe zu schaffen.

Wann denken Sie, wird die Injektion auf dem Markt kommen?

Aus meiner Erfahrung kann die erste klinische Studie an Menschen in fünf bis sieben Jahre beginnen. Ob diese Impfung dann immer wieder erneuert werden muss oder ein Leben lang hält und wie die Nebenwirkungen sein werden, wird die weitere Beobachtung der einzelnen Patienten zeigen.

Könnte ein genesener Patient sich erneut mit dem HI-Virus infizieren?

Die Art von Antikörpern, die wir entwickelt haben, wird als umfassend neutralisierender Antikörper bezeichnet. Das bedeutet, dass es zumindest theoretisch viele Arten des verbreiteten HIV-Virus besiegen kann. Weitere Forschungen würden uns wahrscheinlich dazu bringen, die B-Zellen so zu manipulieren, dass sie mehr als nur einen Antikörper exprimieren und diese Kombination könnte weitere Formen von HIV neutralisieren.

Was ist unter der CRISPR-Technologie zu verstehen?

Vor Kurzem erhielten Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier aus den USA und Frankreich der Nobelpreis verliehen, weil sie beschrieben haben, wie CRISPR ursprünglich als Immunsystem gegen das Eindringen fremden Erbguts von Viren dient. Ihre Erkenntnisse ermöglichte uns, dieses System so zu verwenden, um menschliche oder andere Zellen zu manipulieren. Durch diese Technologien können wir auf eine bestimmte Stelle im Genom zielen: der Kodex, der unseren Zellen sagt, wie sie funktionieren und unserem Körper, wie er wachsen soll. Es hilft uns, den Genom zu beeinflussen, um dort ein Gen zu verändern oder sogar zu zerstören, wenn wir nicht wollen, dass es aktiv ist. Auch nicht funktionierende können dadurch korrigiert und sogar ein Wunsch Gen an einer speziellen Stelle in dem Kodex einfügt werden. Somit können die B-Zellen den gewünschten Antikörper exprimieren, der aufgrund der Aktivität des CRISPR an seiner spezifischen Stelle eingebaut wurde.

In Ihrer Forschung arbeiten Sie mit weltweiten Wissenschaftszentren - wie zum Beispiel in den USA - zusammen. Haben Sie mittlerweile internationale Aufmerksamkeit erreicht?

Nachdem unsere Forschung im Fachmagazin "Nature Biotechnology" erschien, erregte sie internationale Aufmerksamkeit. Ich erhalte viele E-Mails von HIV-Patienten weltweit, die an dieser Behandlung interessiert sind. Auch wenn es noch ein paar Jahre dauern wird, bis es zur Verfügung steht, ist allein die Tatsache, dass es zumindest theoretisch viele Interessenten gibt, beruhigend und macht Hoffnung, dass diese Injektion den Infizierten in naher Zukunft helfen wird.

Wird diese Injektion das Sexleben der Menschheit beeinflussen?

Diese Behandlung wird teuer sein und wir können noch nicht genau sagen, welche Nebenwirkungen sie haben wird. Ich würde jeden empfehlen, beim Sex weiterhin Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und sich nicht anzustecken, nur weil es in den nächsten Jahren eine mögliche Behandlung geben wird. Darüber hinaus gibt es ja noch einige andere Sexualkrankheiten.

Wird die Menschheit irgendwann auch Krebs und Covid-19 besiegen?

Bei beiden Krankheiten sind die Fortschritte bereits erstaunlich. Die Tatsache, dass wir Covid-19-Impfstoffe haben, die sehr wirksam sind, ist eine positive Errungenschaft. Doch auch bei der Krebsbehandlung ist heute immer mehr möglich. Natürlich wird man so schnell nicht jede Krebserkrankung heilen können, aber ich bin optimistisch, dass die immer neu entwickelten Technologien einen Unterschied machen werden. Sowohl bei der Verringerung des Leidens als auch bei der Erhöhung der Lebenserwartung.

Mit Adi Barzel sprach Tal Leder

Quelle: ntv.de

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