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Komplexer als "viel hilft viel"Warum Strom tatsächlich so teuer ist

18.01.2024, 16:36 Uhr Icke-im-WaldVon Klaus Wedekind
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Strom muss nicht nur in ausreichender Menge transportiert, sondern auch verteilt werden. (Foto: IMAGO/Andreas Franke)

Die Strompreise sind deutlich gesunken, bleiben aber vergleichsweise hoch. Viele machen den Atomausstieg dafür verantwortlich, andere eine zu geringe Steigerung bei den erneuerbaren Energien. Doch so einfach ist die Sache nicht, ein entscheidendes Element wird in der Diskussion oft vernachlässigt.

Strom ist in Deutschland sehr teuer. Im europäischen Vergleich zahlten Eurostat zufolge Haushalte mit einem Verbrauch von 2500 bis 4999 Kilowattstunden (kWh) im ersten Halbjahr 2023 nur die Niederländer, Liechtensteiner, Belgier und Rumänen noch mehr.

Der Gipfel wurde im Oktober erreicht, wo laut dem Vergleichsportal Verivox Neukunden durchschnittlich bis zu 70 Cent pro kWh akzeptieren mussten. Seitdem gingen die Preise aber steil bergab, aktuell kostet die Kilowattstunde bei einem neuen Vertrag weniger als 28 Cent.

Stromerzeugung ist nur die halbe Miete

Im internationalen Vergleich bleibt Strom in Deutschland aber trotzdem vergleichsweise teuer. In den USA zahlten Verbraucher beispielsweise im vergangenen Dezember nur rund 17 Cent, in Japan sogar noch weniger. Alle Vergleiche hinken allerdings, denn der Strompreis setzt sich in verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich zusammen.

Im vergangenen Sommer machten in Deutschland Strom-Beschaffung und -Vertrieb nur rund die Hälfte des Preises aus. Mehr als ein Viertel waren Steuern, Abgaben und Umlagen, rund ein Fünftel Netzentgelte.

Börsenstrompreis deutlich gesunken

Für den signifikanten Preisrückgang sind hauptsächlich die deutlich gesunkenen Beschaffungskosten verantwortlich. Vor einem Jahr kostete eine Kilowattstunde an der Strombörse rund 11,8 Cent, im vergangenen Dezember weniger als 7 Cent. An dem Abwärtstrend hat auch der endgültige Atomausstieg nichts geändert, mehr als ein kurzer Ausschlag am Stichtag 15. April ist in der Statistik nicht zu erkennen.

Besonders wichtig ist, dass die Gaspreise gesunken sind, denn noch orientiert sich der Strompreis am teuersten Erzeuger, den Gaskraftwerken. Dem Internationalen Wirtschaftsforum Regenerative Energie (IWR) zufolge waren geringere Stromexporte durch Reparatur und Wiederinbetriebnahme ausgefallener französischer Atomkraftwerke sowie der kräftige Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland für den Rückgang ausschlaggebend.

Laut dem Statistischen Bundesamt trug die Verbrennung von Gas im dritten Quartal 2023 fast 13 Prozent zur Stromerzeugung bei, im Vorjahreszeitraum waren es knapp 10 Prozent. Obwohl es oft behauptet wird, hat Deutschland im vergangenen Jahr nicht mehr Kohle verstromt, der Beitrag ging sogar von etwa 36 deutlich auf rund 24 Prozent zurück. Der Anteil der Erneuerbaren stieg von knapp 44 auf 60 Prozent kräftig an.

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Weniger Kohle- und Gasverstromung

Auch über das gesamte Jahr 2023 hinweg bestätigt sich die im dritten Quartal für Fotovoltaik und Windkraft vorteilhafte Momentaufnahme. Laut Fraunhofer ISE produzierten Solar, Wind und Biomasse zusammen circa 260 Terawattstunden (TWh), 7,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anteil am Strommix stieg um fast 7 Prozent auf rund 57 Prozent. Dagegen produzierten Gaskraftwerke mit 45,8 TWh 1,1 TWh weniger als 2022, der Anteil von Braunkohle-Strom sank um 26,8 TWh auf den Stand von 1963 (77,5 TWh). Steinkohlekraftwerke lieferten 21,4 TWh, was sogar dem Niveau von 1955 entspricht (36,1 TWh).

Aktuell steigen die Preise an der Strombörse wieder an, was zu dieser Jahreszeit und der entsprechenden Witterung üblich ist. Wie gut oder schlecht die Ausbeute der Erneuerbaren in Deutschland und anderen europäischen Ländern derzeit ist, kann man mit der Stromampel-App des Fraunhofer ISE feststellen. Mit einem bundesweiten Anteil am Strommix von lediglich 24 Prozent stand die Ampel beispielsweise am 18. Januar um 15 Uhr auf Rot. Auch der tagesaktuelle Börsenstrompreis kann in der App abgelesen werden.

Insgesamt bleibt der Abwärtstrend jedoch vorerst erhalten und eine Trendwende ist bisher nicht absehbar. Viel weiter sinken werden die Börsenpreise wahrscheinlich aber auch nicht. Infolge eines perspektivisch sinkenden Gaspreisniveaus und dem verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien könnten sie künftig zwar auch wieder deutlicher zurückgehen, sagte Strommarkt-Experte Mirko Schlossarczyk vom Beratungsunternehmen Enervis der dpa. Langfristig sehe man an den Energiehandelsmärkten aber ein konstant hohes Preisniveau.

Netzstabilisierung kostet immer mehr

Dass die Rechnungen für deutsche Endkunden voraussichtlich 2024 wieder deutlich höher ausfallen werden, hat aber überwiegend eine andere Ursache. Dabei handelt es sich um die Netzentgelte, die 2023 schon mehr als 20 Prozent des Strompreises ausmachten. Betroffen sind vor allem Haushalte, die fast dreimal mehr zahlen als Industrieverbraucher. Bisher schoss die Bundesregierung zur Entlastung insgesamt 5,5 Milliarden Euro zu. Diese Subventionen hat die Ampel gestrichen, wodurch Netzbetreiber wie Amprion die Entgelte von derzeit durchschnittlich 3,12 auf 6,42 Cent pro Kilowattstunde zum 1. Januar mehr als verdoppelten.

Damit dürfte noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Denn der Umbau der Energiewirtschaft hin zu den Erneuerbaren stellt hohe Anforderungen an die Netze, denen sie derzeit noch nicht gerecht werden können.

Netze müssen angepasst und ausgebaut werden

In der Vergangenheit waren sie auf die Versorgung durch in Deutschland verteilte Großkraftwerke ausgerichtet. Jetzt wird Strom oft nicht da erzeugt, wo er benötigt wird. Besonders in den Wintermonaten kommt es beispielsweise regelmäßig vor, dass Windräder im Norden einen Überschuss produzieren, während in Süddeutschland eine Unterversorgung herrscht. Der Strom muss also von Nord nach Süd transportiert werden, was die Stromnetze an ihre Grenzen bringt.

Damit sie nicht überlastet werden, muss notfalls eingegriffen werden. Ist die Einspeisung in eine Leitung zu hoch und kann nicht umgeleitet werden, müssen die Netzbetreiber einen sogenannten Redispatch einleiten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, wenn zu wenig Leistung im Netz vorhanden ist. Damit Produzenten keine Nachteile entstehen, werden sie auch für den erzeugten Strom bezahlt, der nicht eingespeist wird. Zusätzlich entstehen Kosten, wenn zum Ausgleich ein Reservekraftwerk (Kohle oder Gas) einspringen muss.

Außerdem gibt es statt weniger Großkraftwerke jetzt viele dezentrale kleine Erzeuger. Sie speisen Strom ausschließlich ins Niederspannungsnetz ein, das ursprünglich nur zur Versorgung von Endverbrauchern genutzt wurde. Entsprechend fehlt hier bisher eine Echtzeit-Überwachung der Belastung. Noch komplizierter wird es, wenn tatsächlich einmal viele Millionen Elektroautos in Deutschland unterwegs sein sollten und deren Batterien als flexible Speicher bei Bedarf auch Strom einspeisen könnten (Vehicle-2-Grid (V2G)).

Der Süden ist gefordert

Redispatch und andere Maßnahmen, um das Stromnetz stabil zu halten, werden die Netzentgeltpreise weiter in die Höhe treiben. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat Zahlen der Bundesnetzagentur ausgewertet. Demnach stiegen die Kosten für das Engpassmanagement von 2019 bis Ende 2022 von rund 1,18 Milliarden auf knapp 4,25 Milliarden Euro. Dazu gehört unter anderem auch das sogenannte Countertrading, wobei Engpässe oder Überschüsse durch kurzfristige Ein- oder Verkäufe ausgeglichen werden. Die reinen Redispatch-Kosten vervielfachten sich im gleichen Zeitraum von 227,2 Millionen Euro auf rund 2,7 Milliarden Euro.

Der Netzausbau läuft schleppend, aber es geht allmählich voran. Im vergangenen September begann der Bau der 700 Kilometer langen Trasse SuedLink, die Bayern und Baden-Württemberg mit Strom aus dem Norden versorgen soll. 2028 soll sie in Betrieb gehen. Schon ein Jahr vorher soll über die 540 Kilometer lange SuedOstLink Strom aus den Windparks in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie aus Offshore-Windparks im Norden nach Bayern transportiert werden. Bereits für dieses Jahr ist die Inbetriebnahme der 137 Kilometer langen Westküstenleitung zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark vorgesehen.

Solange der Netzausbau nicht schneller vorangetrieben wird, steigen die Kosten weiter. Um dem entgegenzuwirken, schlägt eine Studie des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) unter anderem vor, Anreize zu einem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien in Süddeutschland zu schaffen. Dazu sollen unter anderem die Marktregeln angepasst werden, was unterschiedliche Preiszonen bedeuten würde. Strom wäre damit im Süden teurer als im Norden. Umgekehrt soll es einheitliche, überregionale Redispatch-Kosten geben. Denn aktuell sind Regionen mit hohem Anteil erneuerbarer Energien durch höhere Netzentgelte benachteiligt.

Quelle: ntv.de

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