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Problematische Tiernamen Warum der Hitler-Käfer nicht umbenannt werden darf

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Der Hitler-Käfer ist wegen seines Namens zu einem begehrten Sammelobjekt unter Neonazis geworden. Jetzt steht seine Existenz auf dem Spiel.

Der Hitler-Käfer ist wegen seines Namens zu einem begehrten Sammelobjekt unter Neonazis geworden. Jetzt steht seine Existenz auf dem Spiel.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Er ist nur fünf Millimeter groß, sorgt aber für Ärger in der Wissenschaftswelt: der Anophthalmus hitleri. Der winzige Käfer ist nicht das einzige Tier mit einem problematischen Namen. Forscherinnen und Forscher setzen sich für Umbenennungen ein, beißen aber auf Granit.

Was haben Sahra Wagenknecht, Beyoncé und Adolf Hitler gemeinsam? Alle drei sind Namensgeber für neu entdeckte Tierarten. Während sich aber kaum jemand an der australischen Scaptia beyonceae stößt, einer Bremse mit goldenem Hinterteil, ist Anophthalmus hitleri vielen ein Dorn im Auge - beziehungsweise im Ohr. Schuld daran ist der österreichische Käfersammler Oskar Scheibel, der 1937 den winzigen blinden Käfer in den Höhlen Sloweniens entdeckte und nach Hitler benannte, um seine Verehrung für den nationalsozialistischen Diktator auszudrücken.

Die Beyoncé-Fliege beeindruckt mit ihrem goldenen Hinterteil.

Die Beyoncé-Fliege beeindruckt mit ihrem goldenen Hinterteil.

(Foto: Bryan D. Lessard )

Heute steht A. hitleri im Zentrum hitziger biologischer Debatten, gemeinsam mit etlichen Leidensgenossen wie dem Mussolinifalter Hypopta mussolinii oder den Blütenpflanzen der Gattung Hibbertia, die den Namen des britischen Sklaverei-Befürworters George Hibbert tragen. Immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern eine Umbenennung von Arten, die nach politischen Extremisten benannt sind oder rassistisch und kolonialistisch konnotierte Namen tragen.

Vergangene Woche wagte die American Ornithological Society den ersten Schritt und kündigte an, die Namen von Dutzenden von Vögeln zu ändern, die nach Personen benannt sind. "Von Menschen abgeleitete Vogelnamen können schädlich und ausgrenzend sein und lenken davon ab, die Vögel selbst in den Mittelpunkt zu stellen, zu würdigen oder zu berücksichtigen", schreibt die Gesellschaft in einer Erklärung. Allerdings können die Ornithologen nur die englischen Namen ändern, bei den wissenschaftlichen Bezeichnungen sind ihnen die Hände gebunden. Woran liegt das?

Wagenknecht-Krebs und Trump-Motte

Wenn Forscherinnen und Forscher neue Tierarten entdecken, dürfen sie ihnen einen wissenschaftlichen Namen geben. Dieser lateinische oder griechische Name besteht aus zwei Wörtern, dem Gattungsnamen und dem Artennamen. Der binäre Name kann entweder auf die Herkunft hinweisen oder das Aussehen oder eine Eigenschaft des Tieres beschreiben. Im letzteren Fall greifen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht selten auf berühmte Persönlichkeiten zurück.

Gelblich-weiße Kopfschuppen und kleine Genitalien: die Trump-Motte (Neopalpa donaldtrumpi).

Gelblich-weiße Kopfschuppen und kleine Genitalien: die Trump-Motte (Neopalpa donaldtrumpi).

(Foto: picture alliance / Vazrick Nazari/dpa)

So krabbelt der Krebs Cherax wagenknechtae über Indonesiens Strände, benannt von dem Meerestier-Experten Christian Lukhaup aus Waiblingen bei Stuttgart. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ihn inspiriert habe, entschlossen für eine bessere und fairere Zukunft zu kämpfen. Ex-US-Präsident Donald Trump ist Namensgeber für gleich drei Tierarten: einen Seeigel (Tetragramma donaldtrumpi), ein wurmähnliches Tier (Dermophis donaldtrumpi) und eine Motte (Neopalpa donaldtrumpi). Wobei Letzteres kaum als Ehrung verstanden werden kann: N. donaldtrumpi hat hellblonde Kopfschuppen und kleine Genitalien.

Steht der Name einmal fest, können die Tiere nicht umbenannt werden. Die binäre Nomenklatur geht zurück auf den schwedischen Naturforscher Carl von Linné. Seitdem - der Mitte des 18. Jahrhunderts - wurde das System der Taxonomie ausgearbeitet und in einem umfassenden Regelwerk, der "International Commission on Zoological Nomenclature" (ICZN), verankert. Die Kommission wacht über die korrekte Einhaltung der wissenschaftlichen Benennung und Klassifikation aller Tierarten. Jede Umbenennung würde für Chaos und Verwirrung in der wissenschaftlichen Literatur sorgen, lautet das Argument.

"Vorschriften müssen sich ändern"

An dieser Haltung gibt es zunehmend Kritik, die in den vergangenen Monaten immer lauter wurde. Kurzzeitig schien es sogar, dass die ICZN ihre strikten Regeln überdenken will, doch dann erteilten einige Mitglieder der Kommission im "Zoological Journal of the Linnean Society" allen Forderungen eine Absage: Man verstehe zwar den Wunsch nach Namensänderungen aus ethischen Gründen, diese würden jedoch die Stabilität der Nomenklatur und damit der Wissenschaft gefährden.

Äußerlich lässt sich keine Ähnlichkeit festmachen, aber der Entdecker des Wagenknecht-Krebses war bei der Benennung Fan der Ex-Linken-Politikerin.

Äußerlich lässt sich keine Ähnlichkeit festmachen, aber der Entdecker des Wagenknecht-Krebses war bei der Benennung Fan der Ex-Linken-Politikerin.

(Foto: picture alliance/dpa/Christian Lukhaup)

Diese Entscheidung stieß in weiten Teilen der Wissenschaftswelt auf Unverständnis und Wut. "In welchen anderen Bereichen menschlichen Wirkens wird noch etwas nach Hitler benannt?", sagte Estrela Figueiredo von der Nelson-Mandela-Universität in Südafrika der Fachzeitschrift "Science". "Die Vorschriften müssen sich ändern und angepasst werden, wie im Rest der Gesellschaft."

Einige Forscherinnen und Forscher fordern die Schaffung einer eigenen Ethikkommission, um beanstandete Namen Fall für Fall zu überprüfen. Andere schlagen eine radikalere Lösung vor: Generell dürfen Arten nicht nach Personen benannt sein. Für die ICZN wäre das ein nomenklatorischer Albtraum. Sie schätzt, dass etwa 20 Prozent der 1,5 Millionen Tiere, die bisher klassifiziert wurden, nach einer bestimmten Person benannt sind.

"Fast durchweg weiße, männliche Europäer"

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"Die Benennung von Arten zu Ehren von Personen war zu oft ein politischer Akt", so der Biologe Ricardo Rocha von der Universität Oxford, einer der Autoren eines in "Nature Ecology & Evolution" veröffentlichten Artikels, der ein solches Verbot befürwortet. "Angesichts der demografischen Zusammensetzung der Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts waren die zu Ehrenden fast durchweg weiße, männliche Europäer der Oberschicht."

Zudem ist die Benennung nach einer umstrittenen Persönlichkeit nicht unbedingt hilfreich für eine Art. Für A. hitleri wurde sein Name sogar zu einem existenziellen Problem: Der fünf Millimeter große Hitler-Käfer ist unter Neonazis ein begehrtes Sammelobjekt geworden und wird bis heute für viel Geld illegal gehandelt. Inzwischen gilt der sonst eher unspektakuläre Käfer sogar als bedroht. "Es ist ein unschuldiges Insekt", sagt Mirjana Roksandic dem "Economist" über den Hitler-Käfer. "Warum beenden wir nicht den illegalen Handel durch eine Namensänderung?"

Quelle: ntv.de

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