"Autobiografie eines Lügners" Ein Monty Python packt aus
22.07.2012, 06:16 Uhr"Meine Eltern erwarteten einen heterosexuellen schwarzen Juden mit mehreren amüsanten Geburtsfehlern, da sie die Probleme brauchten". Was Mr und Mrs Chapman stattdessen kriegen, ist Graham. Die Geschichte des Monty-Python-Mitbegründers lässt sich nun nach 30 Jahren auf Deutsch nachlesen - auch dank Harry Rowohlt.

Paraderolle als Brian: "Lerchenzungen, Zaunköniglebern, Buchfinkenhirne, Wolfzitzen-Chips. Greifen Sie zu, solange sie noch heiß sind!"
(Foto: 1979 - Sony Pictures)
Obszön. Blasphemisch. Als 1979 der Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" in die Kinos kommt, ist die Empörung groß. Eine Parodie auf das Leben von Jesus Christus? Skandalös, finden nicht nur christliche und jüdische Gruppen. Einige Jahre später gilt es als skandalös, den Film nicht gesehen zu haben, Filmzitate wie: "Jeder nur ein Kreuz" gehören heute quasi zur Allgemeinbildung.
Doch von den späten 60er Jahren, als die Monty-Python-Truppe ihre Karriere startete, bis eben hin zu den späten 70er Jahren, sprengte der verrückte Blödsinn jede Menge Grenzen des guten Geschmacks, der Moral und allem, was bis dato als Humor angesehen wurde. Wie es dazu kam, lässt sich auch an der "irrwitzigen, wahren, surrealen, traurigen, saukomischen, teils erstunken und erlogenen Lebensgeschichte" des früh verstorbenen Monty-Python-Gründungsmitglieds Graham Chapman, den meisten besonders bekannt als der bereits erwähnte Brian, nachlesen.
Aufgeschrieben mit der kleinen Unterstützung von anderen Autoren wie Douglas N. Adams (Per Anhalter durch die Galaxis) erschien Chapmans Autobiografie bereits 1980, ein Jahr, nachdem "Das Leben des Brian" in die Kinos kam. An die deutsche Übersetzung hat sich 30 Jahre lang keiner gewagt, bis sich Harry Rowohlt der Sache angenommen hat: "Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass "Autobiografie eines Lügners" auf mich gerade noch gewartet hat, so voller Spaß und Mühen ist es", zitiert der Verlag Haffmans & Tolkemitt die Übersetzerlegende.
"Und nun zu etwas völlig anderem"
Spaß und Mühe, das trifft es gut, denn Chapman wäre kein Monty Python gewesen, wenn er es den Lesern zu bequem gemacht hätte. Und so wird besonders zu Beginn des Buches eifrig zwischen Chapmans wiederholten Versuchen, alleine vom Alkohol wegzukommen und allerlei Kindheitserinnerungen hin- und hergesprungen. Das Buch erscheint dann auch Chapman selbst nach einigen Seiten etwas unzusammenhängend und holprig, besonders in den Fußnoten: "Es könnte sein, dass wir uns etwas zu sehr auf die Gutwilligkeit des Lesers verlassen", raunt er seinen Mitautoren gut lesbar zu. Der Monty-Python-geschulte Leser fühlt sich derweil vor allem an Monty-Python-Kollege John Cleese und sein "Und nun zu etwas völlig anderem!" erinnert.
Doch nach und nach fasst Chapman in seiner eigenen Autobiografie Tritt und zeigt ein Leben auf, das die vorgezeichneten Pfade verlassen hat: "Was die Geschichte eines warmherzigen, respektablen praktischen Arztes hätte sein können, ist nicht die Geschichte eines warmherzigen, respektablen praktischen Arztes geworden", resümiert Chapman bereits auf den ersten Seiten. Denn nachdem es der Sohn eines einfachen Polizisten nach einer Jugend in der Provinz bis nach Eton und Cambridge und zum Medizinstudium schafft, wird er dort vom Weg abgebracht. Und zwar vom "Rampenlichter"-Club in Cambridge, wo er auf John Cleese trifft.
Die beiden beginnen Sketche für die Bühne und Fernsehshows zu schreiben und aufzuführen, die Truppe wird größer und dieser Teil des Lebens immer wichtiger: "Wenn ich als Mediziner weitermachte, hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung, was ich in 10, 20, 30 Jahren treiben würde. Es überkam mich wie ein Heilbutt aus der Nordsee, dass das nicht der Weg war, den mein Leben einschlagen sollte. Stattdessen beschloss ich auszuprobieren, ob ich Geld verdienen konnte, indem ich professionell schrieb."
Cleese geschockt, Idle verblüfft
Schwieriger wird es für ihn, die Liebe zum eigenen Geschlecht zu entdecken und offen auszuleben: "Ich war größtenteils homosexuell und machte mir Sorgen darüber", resümiert der Brite trocken. Doch mit der medizinischen Zukunft wirft Chapman auch alles andere über Bord, er wird zur "wildwütigen Schwuchtel". Aber ohne geziertes Getippel, betont Chapman – keine Tucke, sondern ein Macker mit Pfeife und Tweed-Anzug. Das Outing vor den Freunden hat die erwarteten Ergebnisse: John Cleese ist nicht überrascht, sondern geschockt, und Eric Idle noch so jung und verblüfft, dass Chapman ihn zunächst aufklären muss. Ihrer Freundschaft und ihrer gemeinsamen Arbeit tut dies aber keinen Abbruch – ebenso wenig wie das folgende wilde Leben seiner lebenslangen festen Partnerschaft.
Zu seinem wilden Leben gehörte aber auch die Alkohol- und Nikotinsucht, die nicht nur seine Arbeit beeinflusste – so vergaß er oft auf der Bühne und bei Fernsehaufzeichnungen seine Texte -, sondern durch die er auch schwere Gesundheitsschäden erlitt und schließlich im Oktober 1989, nur einen Tag vor dem zwanzigjährigen Jubiläum der Monty Pythons, an Krebs starb.
Wenig respektabel, sehr warmherzig
Die "Autobiografie eines Lügners" ist bestimmt eine auch nach heutigen (konservativen) Standards nicht in allen Teilen respektable Geschichte. Doch Warmherzigkeit kann ihr keiner absprechen. Diese ist zu finden in der Erzählung von den Dreharbeiten zu das "Leben des Brian" in Tunesien, wo Chapman für das ganze Set den Sanitäter gibt. Oder der Geschichte, wie er und sein Lebensgefährte einen im wahrsten Sinne des Wortes zugelaufenen Jungen bei sich aufnehmen und ihn wie einen Sohn aufziehen. Wer jedoch mit Hilfe des Buches den abgründigen Humor oder gar das ganze Leben Chapmans analysieren will, der ist bei dem Briten an der falschen Adresse: "Amateurpsychologen, die es für schlau halten, den Charakter des späteren Menschen aus einem Wirrwarr weitgehend fiktiver Erinnerungen zu erklären, können in anderer Leute Biografien nach Schweinischem schnobern", empfiehlt der Autor. "Sie haben das falsche Buch aufgeschlagen."
Das richtige Buch ist es aber allemal für diejenigen, die einen Blick hinter die schrillen Monty-Python-Kulissen werfen wollen. Denn nach 320 Seiten werden sie wissen, dass John Cleese keine andere Wahl hatte, als die Grabrede auf seinen Freund, mit einer Abwandlung des Toter-Papagei-Sketches, dessen Co-Autor Chapman war, zu halten. "Er hat aufgehört zu sein. Er ist abberufen worden und eingegangen zum Herrn. Der Lebensodem ist aus ihm gewichen, er ruhet im ewigen Frieden. Er hat den Schirm zugemacht und zwitschert jetzt Halleluja auf seiner himmlischen Wolke." Cleese, der stolz ist, der erste Mensch zu sein, der im britischen Fernsehen das Wort "Shit" gesagt hatte, gab an, beim Schreiben der Trauerrede gehört zu haben, wie ihm Chapman ins Ohr flüsterte, er solle nun auch der Erste werden, der jemals bei einer britischen Trauerfeier das Wort "Fuck" sagt.
Chapman selbst sollte noch als Asche in seiner Urne weitere Auftritte haben, so beim Fernsehauftritt zum dreißigjährigen Jubiläum von Monty Python’s Flying Circus. Dabei wurde die Asche am Ende des Sketches ausgekippt, teilweise unter den Teppich gekehrt und teilweise aufgesaugt.
Anfang des Jahres wurde bekannt, das die Monty-Python-Truppe nach jahrzehntelanger Trennung für einen Film, eine Science-Fiction-Farce, zusammen kommen will. Möglicherweise hat das so lange gedauert, weil noch auf die Zusage von Chapman gewartet wurde. "Bis vor Kurzem hatte ich keine Ahnung, dass Graham tot ist. Ich dachte, er wäre einfach nur faul", sagte Monty-Python-Mitglied Terry Jones erst im vergangenen Sommer. Mit der verspätet erschienenen Autobiografie gibt es nun in Deutschland wieder etwas Neues von Chapman.
Quelle: ntv.de