"Drüben wohnen Verbrecher" Eine "Mauer der Schande" zerteilt Lima
29.10.2017, 10:18 Uhr
(Foto: dpa)
Für die einen bedeutet sie soziale Ausgrenzung, den anderen gilt sie als Schutzwall vor Terror und Kriminalität: Perus Hauptsstadt Lima durchzieht eine Mauer aus Beton und Stacheldraht, die reiche Stadtviertel von den Elendsbezirken trennen soll.
Auf dem Friedhof "Señor de los Milagros" sind Särge in Betonkammern übereinander gestapelt. Wie Kartons hineingeschoben. Übersetzt heißt der Friedhofsname "Herr der Wunder"". Im typischen Nebel Limas kann man auf eine Mauer blicken, die sich oben am Berg entlangschlängelt. Sie ist rund zehn Kilometer lang und heißt hier nur "Mauer der Schande". Sie trennt die Reichen von den ganz Armen. Ein Graffiti zeigt auf der Mauer spielende Kinder, daneben steht auf spanisch: "Lasst uns ohne Mauern leben". Darüber verläuft Stacheldraht.

In den Elendsvierteln Limas gibt es kaum ausreichend Trinkwasser. Immer wieder fällt der Strom aus.
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Luftbilder zeigen: Auf der einen Seite ist alles braun, auf der anderen gibt es grüne Parks und Pools. Der "Herr der Wunder" hat es nicht mit allen Menschen besonders gut gemeint. Schlammwege, Wellblechhütten, Hunde, die sich gerne mal in Hosenbeine verbeißen. Wer hier im Elendsviertel geboren wurde, muss kämpfen. Einige Jugendliche erzählen, sie hätten den Traum, Koch zu werden. Die peruanische Küche hat es international zu Ruhm gebracht - Kochschulen gelten in Lima inzwischen als Projekte des sozialen Aufstiegs.
Die 56-jährige Gloría Carrera blickt jeden Tag auf die Mauer, seit 17 Jahren verkauft sie am Eingang des Friedhofs im Viertel Pamplona Alta in der peruanischen Hauptstadt Blumen. "Das ist eine Separation der Menschen mit Geld, hermetisch getrennt von den Armen", sagt sie. "Erst war die Mauer gar nicht so hoch, dann wurde sie immer höher, damit die Leute auf keinen Fall auf die andere Seite kommen können." Jetzt ist sie teilweise über drei Meter hoch. Auf der anderen Seite fällt der Hang steil ab, weiter unten ist eine vornehme Luxuswohnsiedlung.
"Wir sind doch alle Menschen"
In Zeiten, in denen der US-amerikanische Präsident Donald Trump von einer "großen, schönen Mauer" entlang der rund 3200 Kilometer Grenze zu Mexiko träumt; in Zeiten, in denen neue Mauern in Köpfen entstehen, zeigt das Praxisbeispiel, wie Mauern Gesellschaften verändern, Spaltungen und Vorurteile vertiefen. "Das ist ein Werk der Reichen auf der anderen Seite. Die Regierung hat einfach zugeschaut", klagt Blumenverkäuferin Carrera. "Wir sind doch alle Menschen. Es ist einfach nur traurig, uns als arm gleich kriminell hinzustellen."

Wer in den reichen Bezirken Limas lebt, hat einen atemberaubenden Blick auf den Ozean.
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Ortswechsel, die andere Seite des Berghangs. Geteerte Straßen, fein getrimmte Vorgärten. Ein Schlagbaum versperrt die Weiterfahrt, ein privater Sicherheitsdienst wacht hier. Schicke weiße Appartements mit Glasfassaden, übereinandergebaut in den Berghang hinein. Aufzüge bringen die Menschen den Berg hinauf zu den Wohnungen. Ein Mann von der Stadtreinigung fegt penibel die Straße, Limousinen parken an der Seite. "Die Mauer ist wichtig, drüben wohnen Verbrecher und Vergewaltiger", sagt ein Polizist.
Der Mauerbau in Lima begann bereits in den 80er Jahren auf Initiative einer Privatschule des Stadtteils Santiago de Surco, das zum Bezirk Casuarinas gehört. Damals hieß es, man müsse die Schüler vor Gewalt schützen, man fürchtete Terrorattacken der linken Guerilleros des "Leuchtenden Pfads".
Angst vor Terror und Kriminalität
Stück für Stück ließen die Bewohner Surcos die Mauer ausbauen, seit 2014 wurde sie immer länger und höher. Sie glauben, die Leute von der anderen Seite könnten den Berg sonst hinunterkommen und Überfälle verüben. "Die Leute sind aus den Anden hierhin gezogen und dachten, es gibt hier bessere Chancen, sich zu entwickeln und Geld zu verdienen", berichtet der Chef der Anwohnervereinigung von Casuarinas, Julio Yturry. Dann hätten sie angefangen, wilde Siedlungen illegal auf der anderen Seite zu bauen. Verfügbare Statistiken spiegeln das Bedrohungsszenario nicht wider.
Würde man miteinander reden, statt sich in eigenen Wahrheiten einzumauern, sähe die Lage vielleicht anders aus. Und es bräuchte gar keine Mauer. Jede Seite äußert Mutmaßungen, aber keine Seite kennt die andere. "Ich war noch nie dort", sagt Blumenverkäuferin Carrera. Sie betont, man versuche das Armenviertel positiv zu entwickeln, es gebe Treppen den Hang hinauf - die Grenze ist die Mauer. Von Dächern der Baracken kann man den Berg herunterschauen, auf Häuser, in denen sie nie werden leben können. Um Farbe hineinzubringen, wurden einige Hütten angemalt: blau, orange, grün.
Das Armenviertel wächst. Denn billiger Wohnraum in Lima ist knapp. Und Armut, Dürren und Klimaveränderungen lassen die Millionenmetropole an den Rändern immer weiter wachsen. Von den 31 Millionen Einwohnern Perus gelten rund 6,5 Millionen als arm, sie sind oft auf sich allein gestellt. Es gibt kreative Ansätze, etwa ein Projekt zum Auffangen des an den Berghängen in Lima oft herrschenden Nebels mit Netzen, um etwas Wasser zu gewinnen.
Viele Frauen arbeiten in Haushalten der Eliten, haben mehrere Jobs. Lucy Rivera wohnt mit ihrer sechsjährigen Tochter Sajuri ganz oben direkt an der Mauer. Sie hat sich damit abgefunden. "Was sollen wir dagegen tun?", fragt sie. Wichtiger sei medizinische Hilfe, die Kinder seien wegen fehlenden Trinkwassers oft krank. Es riecht hier oben an der Mauer nach Urin, Kinder spielen im Dreck. Ohne Mauer auf der Bergkuppe könnten sie runter auf das Meer schauen. Und auf die glitzernden Hochhäuser Limas.
Quelle: ntv.de, Georg Ismar und Rosmery Cueva Sáenz, dpa