Gegen neue Verhandlungskapitel Berlin will türkischen EU-Beitritt bremsen
22.07.2016, 15:41 Uhr
In der Türkei wird Präsident Erdogan für sein hartes Vorgehen gefeiert - aus der EU kommt zunehmend Kritik.
(Foto: REUTERS)
Der türkische Präsident Erdogan geht nach dem gescheiterten Putschversuch konsequent gegen vermeintliche Gegner vor. In Berlin will man deshalb keine neuen Kapitel für den EU-Beitritt eröffnen. Auch Milliardenzahlungen sollen auf den Prüfstand.
Die Bundesregierung hält es angesichts des harten Vorgehens der türkischen Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch für undenkbar, in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara neue Kapitel zu eröffnen. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte sich aber nicht zur Frage eines möglichen Abbruchs der Verhandlungen äußern. Dies hatten zuvor mehrere deutsche Politiker gefordert. "Das ist ja auch keine deutsche Entscheidung", sagte er.
Allerdings setzt die EU-Kommission die Zusammenarbeit vorerst fort. Man arbeite weiter an der Umsetzung des Flüchtlingspakts und an der Visaliberalisierung, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde. Bevor es zu Reiseerleichterungen für türkische Bürger kommt, verlangt die EU allerdings eine Entschärfung der Anti-Terror-Gesetze, damit diese nicht zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit missbraucht werden können. Man hoffe, dass es in dieser Frage irgendwann nach dem Sommer eine Einigung gebe, hieß es.
Der Sprecher machte auch deutlich, dass die EU-Kommission die Türkei weiterhin als sicher für Migranten ansieht. Auf der Einstufung als sicheres Drittland beruht die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei, wonach die Athener Regierung Migranten von den griechischen Inseln in die Türkei zurückschicken kann. Die EU-Kommission behalte die Situation in der Türkei aber im Auge und stehe im Kontakt mit dem UN-Flüchtlingskommissar und dem Europarat. "Dies ist ein Bereich, in dem wir nicht improvisieren oder alleine eine Entscheidung treffen", sagte der Sprecher.
Ankara erhält Milliarden aus der EU
"Auf dem Gebiet der Türkei sind derzeit fast drei Millionen syrische Flüchtlinge, und wir haben keine Anzeichen, dass sie nicht korrekt behandelt werden." Auch die türkischen Pläne für eine teilweise Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention nahm die EU-Kommission gelassen zur Kenntnis. Nach Einschätzung der Behörde erfülle das Land die nötigen Voraussetzungen.
Seibert rief die türkische Regierung erneut dazu auf, sich an rechtsstaatliche Grundsätze zu halten. "Es wirft auch beunruhigende Fragen auf, wenn im Fernsehen oder auf Fotos Beschuldigte zu sehen sind, die deutliche Spuren von körperlicher Gewalt tragen, wenn Einzelne vor laufender Kamera gedemütigt oder erniedrigt werden", sagte er. Die türkische Regierung hat nach dem gescheiterten Putschversuch vor einer Woche Tausende Richter, Lehrer, Wissenschaftler und Soldaten entlassen oder festnehmen lassen.
Die EU hatte die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vor elf Jahren eröffnet. Von 35 Verhandlungskapiteln sind 15 eröffnet. Ein Kapitel - Wissenschaft und Forschung - wurde vorläufig abgeschlossen. Im Zuge des Beitrittsprozesses erhält die Türkei Finanzhilfen in Milliardenhöhe. Seibert sagte, man müsse nun "natürlich sehr genau hinschauen, wie sich die Bedingungen für den Einsatz dieser Mittel entwickeln".
Quelle: ntv.de, mli/dpa