Streeck erklärt Booster-Nutzen "Dauerhaftes Impfen nicht notwendig"
03.02.2022, 09:08 Uhr (aktualisiert)
Corona-Impfungen im Halbjahrestakt hält Virologe Hendrik Streeck in Zukunft nicht für sinnvoll.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Mittlerweile sind mehr als 50 Prozent der Menschen in Deutschland geboostert. Kommt bald die vierte Impfung gegen das Coronavirus? Und dann eine fünfte? Und sechste? Dann hätten wir etwas falsch gemacht, sagt Virologe Hendrik Streeck.
Anfang des Jahres beginnt Israel als erstes und bisher einziges Land damit, den über 60-Jährigen eine vierte Impfung gegen das Coronavirus zu verabreichen. Einen zweiten Booster sozusagen. Der werde auch in Deutschland "notwendig sein", ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach überzeugt.
Aus Israel seien noch keine Daten publiziert worden, mahnt der Bonner Virologe Hendrik Streeck im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Da warten natürlich im Moment alle drauf, um zu sehen, wie diese vierte Impfung angeschlagen hat. Einzelne Graphen, die ich schon gesehen habe, zeigen aber, dass man die Krankenhauseinweisungen durch eine vierte Impfung reduzieren kann."
Nicht nur Minister Lauterbach, auch andere Virologen und Wissenschaftler sind der Meinung, dass wir dringend eine vierte Impfung vorbereiten müssen, weil die Schutzwirkung schon nach wenigen Monaten nachlässt. Vor allem bei Menschen, die älter sind oder Vorerkrankungen haben und damit zur Risikogruppe für einen schweren Covid-19-Verlauf gehören.
Vierte Impfung erst mit angepasstem Impfstoff
Hendrik Streeck hält das grundsätzlich ebenfalls für richtig, allerdings unter einer Bedingung. Er hält eine vierte Impfung erst dann für sinnvoll, wenn es einen Impfstoff gibt, der speziell an die Omikron-Variante angepasst ist. "Ich kann mir für Deutschland eher vorstellen, dass wir zum Herbst und Winter mit einem angepassten Impfstoff in Hochrisikogruppen impfen. Also dass man vorschlägt, alle ab 60 zu impfen oder das gegebenenfalls allen Bürgern anbietet, aber keine Verpflichtung daraus macht."
Auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA plädiert dafür, mit dem Boostern vorsichtig zu sein. Auffrischungsimpfungen könnten "einmal, vielleicht auch zweimal durchgeführt werden, aber wir denken nicht, dass sie ständig wiederholt werden sollten", hat die EMA Anfang des Jahres mitgeteilt. Sie warnt davor, dass Dauer-Impfen die Immunreaktion beeinträchtigen kann.
Nicht bei der dritten oder vierten Impfung, sagt Hendrik Streeck. Das Problem wäre der regelmäßige Gang ins Impfzentrum oder zum Hausarzt, wenn die Corona-Impfung zum viertel- oder halbjährlichen Alltag wird. "Wir reden spekulativ und hypothetisch über die Zukunft. Ich will nicht, dass die Leute denken, dass eine dritte oder vierte Impfung einen negativen Effekt haben könnte. Es gibt aber in der Immunologie drei Phänomene, die potenziell auftreten können, wenn das Immunsystem zu häufig eine Struktur von einem Erreger sieht."
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In diesem Fall kann es zu einer Immuntoleranz kommen. Die Reaktion des Immunsystems auf ein Antigen bleibt ganz aus oder findet nur stark vermindert statt. Oder es kommt zu einer Ermüdung des Immunsystems, wenn Viren dauerhaft aktiviert werden. Das dritte Phänomen ist die sogenannte Antigenerbsünde. Wenn man mit dem Coronavirus bereits infiziert war und dann mit einer weiteren Virusvariante in Kontakt kommt, hat unser Immunsystem die Tendenz, Antikörper nur gegen Bestandteile der ursprünglichen Virusvariante zu bilden.
"Müssen wir so häufig impfen, haben wir schlechten Job gemacht"
Ein gutes Beispiel, wie eine Immuntoleranz oder eine Ermüdung des Immunsystems entstehen kann, ist die Hyposensibilisierung zum Beispiel gegen Allergien oder Bienenstiche. Dabei wird das Allergen oder das Gift so oft in den Körper gespritzt, bis das Immunsystem irgendwann kaum oder gar nicht mehr darauf reagiert, weil es sich daran gewöhnt hat. Das sei "ein Effekt, der theoretisch auch bei häufigem Impfen auftreten kann", erklärt Hendrik Streeck. Erste Anzeichen dafür sind in Israel schon zu sehen. "Das negative Signal ist, dass diese Wirkung nochmal verkürzt zu sein scheint. Das könnte für Immuntoleranz sprechen. Aber das ist wieder spekulativ."
Aus diesen Gründen warnt die EMA davor, vorschnell das Boostern der Zukunft zu planen. Eine fünfte, sechste, siebte Impfung könnte kontraproduktiv sein. Die immunologischen Phänomene sollten jedenfalls erstmal besser erforscht werden. Erst danach könne man aus den Ergebnissen ableiten, wie oft Corona-Impfungen nötig sein werden, betont Virologe Streeck im Podcast.
"Wir haben vor allem die Sorge, dass sich das Virus immer weiter verändert und diese Anpassung von den Impfstoffen gar nicht so schnell geschafft werden kann und man dann eigentlich immer hinterherhinkt. Wenn wir gegen einen Virus so häufig impfen müssten, haben wir einen schlechten Job gemacht." Stattdessen solle man dann "einen Schritt zurückgehen und einen Impfstoff entwickeln, der eine bessere langfristige Effektivität zeigt".
Laut EMA könnte zudem die Omikron-Variante und ihre schnelle Ausbreitung wie ein "natürlicher Booster" wirken. Heißt, wer doppelt geimpft ist und sich danach infiziert, ist zunächst genauso gut geschützt wie ein dreifach Geimpfter. Die Daten aus der Zeit vor Omikron würden jedenfalls zeigen, dass Genesene einen "sehr guten Schutz vor einer Infektion" und einen "hervorragenden Schutz vor einer Krankenhauseinweisung" haben, stellt auch Streeck klar.
"Werden alle Kontakt haben mit dem Virus"
Eine Studie aus Katar zeige auf, dass eine Infektion, auch mit Omikron, "in den ersten rund 200 Tagen einen hervorragenden Schutz vor einer Hospitalisierung" biete, erklärt Streeck und fordert, den Genesenen- mit dem Impfstatus gleichzusetzen. "Wir werden alle irgendwann Kontakt haben mit dem Virus und müssen jetzt nicht glauben, dass wir einen Status immer wieder neu auffrischen müssen. Das macht die Natur von alleine. Man kann jedem nur empfehlen, sich impfen zu lassen. Aber ich glaube nicht, dass für jeden eine dauerhafte Impfung empfehlenswert ist."
Langfristig werde aus der Corona-Pandemie eine Endemie. Dann sei eine Impfung nicht mehr für alle Menschen nötig, so Hendrik Streeck, für die vulnerablen Gruppen aber weiter empfehlenswert - wie bei der Grippe auch.
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(Dieser Artikel wurde am Montag, 31. Januar 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de