Auto

Trunkenheitsfahrten vorbeugen Besser den Schlüssel klauen

In dieser Situation kann man eigentlich nur verlieren: Will der Kumpel nach dem sechsten Bier im Club unbedingt selbst mit dem Auto nach Hause fahren, kann man ihn das tun lassen - prallt er aber gegen einen Baum, fühlt man sich zumindest mitschuldig. Die Alternative ist, ihn irgendwie davon abzuhalten. Das ist alles andere als einfach. Mit den richtigen Argumenten und den passenden Leuten an der Seite kann es aber klappen. Im Zweifelsfall bleibt nur, dem anderen den Schlüssel abzunehmen. "Ich habe das schon gemacht", sagt Julia Becker aus Berlin. "Das gab zwar Gemotze, am nächsten Tag kam aber meistens die Einsicht."

Julia Becker ist ein "Schutzengel": Mit einer leuchtend blauen Perücke auf dem Kopf als Erkennungszeichen zieht sie durch Discos, um Betrunkene vom Fahren abzuhalten. Hinter dem Projekt steht das Land Brandenburg. Sie hat schon die unterschiedlichsten Argumente gehört, wenn sie Betrunkene vom Fahren abhalten wollte: "Es ist viel cooler im Auto" oder "Ich mach das immer, mir passiert schon nichts". "Das haben uns auch mal ein paar Leute an einer Tankstelle gesagt, die dort gesoffen hatten", erzählt sie. Kurze Zeit später habe sie erfahren, dass sich einer der Jungs auf dem Heimweg totfuhr.

Die "Schutzengel" sind geschult, ihre Argumente können aber auch Freunde von Angetrunkenen aufgreifen. "Wir erzählen, wie viele junge Fahrer verunglücken", sagt Becker. Die Zahlen sprechen Bände: Ein Drittel aller Unfalltoten sind zwischen 18 und 24 Jahre alt, sagt Lothar Wiegand, Sprecher des Infrastrukturministeriums von Brandenburg in Potsdam. Diese Altersgruppe stelle aber nur zehn Prozent der Bevölkerung. Sie verunglückt also überdurchschnittlich oft - und meistens am Wochenende.

Nicht mitfahren regt zum Denken an

Sätze wie "Du stirbst, wenn Du noch fährst!" halten Wiegand zufolge aber die wenigsten von Alkoholfahrten ab. Wenn die anderen dagegen ein Taxi rufen und nicht ins Auto des Betrunkenen steigen, gebe das den meisten Fahrern zu denken.

Eine wichtige Rolle spielen Mädchen, sagt Wiegand. "Viele Jungs glauben, dass besoffen Auto zu fahren cool ist." Die Mädchen sähen das oft aber ganz anders. Setzt sich ein Mädchen nicht mehr ins Auto ihres Freundes, weil er getrunken hat, kann das mächtig Streit geben. Es kann ihn aber auch vom Fahren abhalten. "Wagt die Auseinandersetzung", rät Wiegand. "Ein Knick in der Freundschaft ist besser als ein Toter im Graben."

Wolfgang Moritz vom Projekt Mädchentour nennt einen weiteren Grund, warum Mädchen besser nicht mit Betrunkenen fahren: "Ich sag ihnen: "Wenn ihr durch einen Unfall verstümmelt werdet, lassen euch die Jungs fallen!"", erzählt der Polizist aus Rosenheim. Auch er glaubt, dass Mädchen großen Einfluss auf Jungs haben: "Die wollen mit ihren Autos imponieren. Wenn keiner mitfährt, ist das doof für die."

Verweigerung von Kumpels hilft oft

Julia Becker hat als "Schutzengel" aber auch die Erfahrung gemacht, dass erst die Kumpel ein Umdenken bewirken. "Die Mädchen müssen sich oft anhören: "Ach komm, ich kann das schon"", erzählt sie. Bekommen sie Unterstützung von einem Kumpel, "kippen die Jungs öfter".

Doch welche Argumente helfen? Das sei schwierig zu sagen, da jeder Mensch anders reagiert, sagt die Sprachwissenschaftlerin Prof. Carmen Spiegel von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. "Und unter Alkoholeinfluss können die Menschen etwas noch einmal anders interpretieren."

Vorwürfe nach dem Motto "Wie kannst Du nur so stur sein" führten häufig zu Trotzreaktionen. Sie bringen nicht weiter. Erpressungen könnten zwar für den Moment helfen, aber die Beziehung auch dauerhaft schädigen. Außerdem haben sie einen Nachteil: Wer zum Beispiel droht "Wenn Du fährst, verlasse ich dich!", muss das in die Tat umsetzen, wenn die Erpressung misslingt - sonst wird er unglaubwürdig.

Beispiele schrecken ab

Statt mit Unfallstatistiken um sich zu werfen, rät Spiegel dazu, Beispiele anzuführen. Je konkreter und vertrauter diese sind, desto eher habe man damit Erfolg. Das funktioniere nach dem Motto: "Du kennst doch Martin aus dem Nachbarort. Der sitzt jetzt im Rollstuhl."

Daneben könnten Freunde auf das schlechte Gewissen abzielen: "Ich würde das meinen Eltern nicht antun wollen", ist laut Spiegel eine mögliche Formulierung. "Wir fragen die Leuten auch: "Was ist, wenn Du einen Unfall baust und einem anderen etwas passiert? Du willst doch auch nicht, dass Dich ein Betrunkener erwischt!"", sagt Julia Becker.

Viel wichtiger als die Worte findet Prof. Spiegel den Ton: Der könne eindringlich, cool, warnend oder drohend sein - je nachdem, worauf der andere besser reagiert. Manchmal müsse man alles durchprobieren. Und schließlich komme es auf das Auftreten an: Wer entschieden, ruhig und vernünftig wirkt, zeige, dass er die Verantwortung übernommen hat und der andere ihm vertrauen kann.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen