"Flügeltürer" Mercedes 300 SL Der ewige Traumwagen
01.09.2009, 12:08 Uhr
Die Legende: Mit dem 300 SL hat Mercedes sicher eines der schönsten Autos überhaupt gebaut.
Ein Traumwagen ist etwas Besonderes. Doch selbst in der Welt der traumhaften Autos gibt es noch meilenweite Unterschiede. Von manchem Mobil wird nur geträumt, wenn es noch neu bei den Händlern zu bekommen ist - meist natürlich für Unsummen. Steht dann die Ablösung in Form eines Nachfolgers parat, ist der einstige Traum schnell vergessen. Andere Traumwagen haben eine größere Halbwertzeit und sind noch begehrt, wenn ihr Blech längst in die Jahre gekommen ist. Und dann gibt es den 300 SL von Mercedes: Dieser Flügeltürer ist heute mindestens so begehrt wie in den 50er Jahren - und bekommt jetzt sogar so etwas wie einen Nachfolger.
Der Stellenwert des SL ist immer noch so hoch, dass für gut erhaltene Exemplare Unsummen gezahlt werden. Bei Mercedes zehrt man außerdem noch heute ein wenig vom einzigartigen Image des alten Sportlers. So sehr, dass es sich der Autobauer nicht nehmen lässt, auf der Automesse IAA in Frankfurt/Main einen modernen Sportwagen zu präsentieren, der nicht nur mit der Bezeichnung SLS an den Urahn erinnert. Er bekommt außerdem die charakteristischen Flügeltüren und übernimmt zahlreiche Design-Details des alten SL.
Per Zufall zur Ikone
Dass der 300 SL zu einer automobilen Ikone werden konnte, ist - wie so vieles - vor allem dem Zufall zu verdanken. Denn als Mercedes in den 50er Jahren anfing, einen Sportwagen zu planen, ging es in erster Linie um Erfolge auf den Rennstrecken. Und von dem, was wirklich als SL auf die Straßen kommen sollte, war man anfangs noch weit entfernt. Frühe Planungen sahen zum Beispiel Dinge wie versenkbare Scheinwerfer, ein elektrisch schaltbares Getriebe und dazu einen dicken Motor mit zwölf Zylindern und 4,5 Litern Hubraum vor - nichts von alledem hat später im SL Platz gefunden.

Mercedes knüpfte bei der Entwicklung des 300 SL am Wettbewerbsfahrzeug für die Carrera Panamericana 1952 an.
Es sollte noch einige Wendungen und Windungen dauern, bis der 300 SL wirklich als solcher gezeigt wurde. Als Basis diente am Ende die Weiterentwicklung jener Sportwagen-Technik, mit der Mercedes 1952 gleich beide vorderen Plätze bei dem Klassiker "24 Stunden von Le Mans" eingefahren hatte. Noch eindrucksvoller war - vor allem für Amerika - der Sieg des schon 300 SL getauften Rennsportwagens bei der materialmordenden Carrera Panamericana im selben Jahr.
Von Le Mans auf die Straße
Zwar wiesen diese Rennwagen grundsätzliche Konstruktionsdetails des späteren Traumwagens auf. Allerdings dachte zu dem Zeitpunkt noch niemand an eine Serienfertigung. Wer würde auch heute mit dem Gedanken spielen, aus einem Le Mans-Prototypen ein Straßenauto formen zu wollen?
Derjenige, der allerdings seinerzeit solche Gedanken hatte, hieß Maximilian Hoffman, wurde kurz Maxi genannt - und war vor allem der Mann, der die Mercedes-Modelle in die USA importierte, um sie dort zu verkaufen. Mehrmals soll sich Hoffman von den Stuttgarter Autobauern einen echten Sportwagen gewünscht haben. Er soll es auch gewesen sein, der den Panamericana-Sieger als Basis ins Gespräch brachte.
Von der Überlegung über die Planung und Realisierung bis zur Premiere des nunmehr mit dem internen Baureihen-Kürzel W198 versehenen Autos ging es dann überraschend schnell. Bereits im Februar 1954 stand der 300 SL auf der "Motor Sports Show" in New York - gemeinsam mit dem kleineren Roadster 190 SL, der von dem großen neuen Star der Autowelt jedoch in den Hintergrund gedrängt wurde.
Viele Details unterm Blech
Denn dieser 300 SL war wirklich etwas Besonderes. Nicht nur wegen seiner aufregenden Karosserieform, sondern auch wegen vieler Details, die sich unterm Blech verbargen - und die ganz nebenbei "Schuld" daran waren, dass der SL überhaupt Flügeltüren trug. Denn unter seinem Blechkleid saß ein aufwendiger Gitterrohrrahmen - also ein Geflecht aus verbundenen Rohren, das dem Fahrzeug die nötige Steifigkeit verlieh. Zusammengefügt waren diese Rohre so, dass sie nur auf Druck und Zug belastet wurden. Für die begüterten Käufer des Autos hatte dies vor allem den Effekt, dass sie in den SL nicht wie in jedes andere Autos einsteigen konnten.
Ein Rohrrahmen kann natürlich nicht ein gesamtes Autos tragen, wenn es sich nur um ein plattes, zweidimensionales Gebilde handelt. Hier hatte der Rahmen vielmehr an bestimmten Stellen auch eine gewisse Höhe - zum Beispiel an den Seiten in jenem Bereich, der eigentlich mit dem Begriff Schweller besetzt ist. Hätte man also normale Türen eingebaut, wäre die Einstiegsluke etwa bis zur Hälfte von diversen Rohren versperrt gewesen. Daher bekam der 300 SL quasi als Notlösung das, was ihm seine einmalige Erscheinung verlieh: die im Dach angeschlagenen und beim Öffnen nach oben schwenkenden Türen. Der Anblick der geöffneten Türen führte im englischsprachigen Raum zur Bezeichnung Gullwing (Möwenflügel), im Deutschen beließ man es bei dem Begriff Flügeltüren.
Gezähmter Rennwagen
Auf der Motorenseite brachte der 300 SL ebenfalls Neues - wenn auch auf bekannter Basis. Denn der Sechszylinder mit seinen drei Litern Hubraum stammte zwar aus dem bereits erhältlich Modellprogramm. Im SL aber wurde er mit einer ungewöhnlichen Neigung von 45 Grad montiert. Er bekam zudem eine einzigartige Benzin-Direkteinspritzung. Das Ergebnis war eine Leistung von immerhin 215 PS, was den Zweisitzer je nach Übersetzung bis zu 260 km/h schnell machte.
Im Endeffekt war der SL aber immer noch ein gezähmter Rennwagen. Was sich in verschiedensten Details äußerte: Wer zum Beispiel den Heckdeckel öffnete, weil er dort den Kofferraum vermutete, entdeckte nur das Reserverad und in dessen Mitte den Tankeinfüllstutzen. Koffer mussten hinter den beiden Sitzen verstaut werden. Und für ganz normal versenkbare Seitenfenster war in den Flügeltüren auch kein Platz.
Kurze Karriere
Doch das alles zusammen übte auf die Menschen schon damals eine große Faszination aus - leisten konnten sich den 29.000 Mark teuren Sportwagen allerdings nur wirklich Wohlhabende. Kein Wunder, dass sich unter den Käufern Namen wie Herbert von Karajan, Curd Jürgens oder Sophia Loren fanden. Der teuerste Mercedes war der 300 SL seinerzeit trotzdem nicht - für ein Coupé 300 Sc mussten 36.500 Mark gezahlt werden.
Trotz aller Begeisterung war die Karriere des Flügeltürers als Neuwagen recht kurz. Gebaut wurde die geschlossene Version nur bis 1957. Danach gab es den 300 SL zwar weiterhin - allerdings als offenen Roadster. In der Zwischenzeit hatte Mercedes es zudem geschafft, den Rohrrahmen so umzukonstruieren, dass der offene SL mit herkömmlichen Türen anrollte. In Zahlen ausgedrückt war diese bis 1963 gebaute Version sogar erfolgreicher: Vom Flügeltürer entstanden 1400 Exemplare, der Roadster fand 1858 Kunden. Doch wenn heute von einem 300 SL geträumt wird, dann ist es immer noch der Flügeltürer, der als ewiger Traumwagen gilt.
Quelle: ntv.de, Heiko Haupt, dpa