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Leicht und bequem Entwickler tüfteln an neuen Sitzen

Ungewohnte Form: Bei der Entwicklung bequemerer Autositze gehen die Ingenieure auch neue Wege.

Ungewohnte Form: Bei der Entwicklung bequemerer Autositze gehen die Ingenieure auch neue Wege.

(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

An modernen Automodellen werden ständig Verbesserungen eingeführt. Dabei wird die Entwicklung von Sitzen oft verkannt, obwohl die meisten Fahrer viele Stunden auf dem Gestühl verbringen. Aber es hat sich schon eine Menge getan für den Rücken von Vielfahrern.

Motoren, Getriebe, Assistenzsysteme: Das sind die Bauteile eines Autos, bei denen viele Menschen den größten Fortschritt erwarten.

Doch weil ein neues Fahrzeug nur so gut ist, wie alle seine Einzelteile, rücken selbst so vermeintlich banale Komponenten wie die Sitze in den Fokus der Entwickler. Mit Airbags, einem Dutzend Elektromotoren für viele Verstellrichtungen und zum Teil sogar eingebauter Klimatisierung oder Massagefunktion sind sie längst zu Hightech-Möbeln geworden.

"Und die Kundenwünsche wachsen", sagt Detlef Jürss vom Zulieferer Johnson Controls in Burscheid. "Dabei geraten wir regelmäßig in unterschiedliche Zielkonflikte." Denn einerseits müssten die Sitze Komfort bieten. Sie sollten aber gleichzeitig wenig Platz wegnehmen und leicht sein, um Gewicht und Verbrauch zu drücken.

Kunststoff statt Metall

Auflösen lässt sich der Konflikt mit neuen Materialien, erläutert Max Riedel, der bei Recaro in Kirchheim/Teck in Baden-Württemberg die Entwicklung leitet. "Leichte Polsterwerkstoffe ersetzen schwere Schäume, tragende Strukturteile werden aus Kunststoff statt Metall gefertigt, und schwere Komponenten werden durch leichtere ersetzt." Für die Sitzheizung zum Beispiel braucht es keine Heizmatte mehr, sondern nur noch eine spezielle Beschichtung auf dem Bezug. Nutzt man solche Lösungsansätze, seien heute schon Gewichtseinsparungen von 20 und mittelfristig bis zu 40 Prozent möglich, sagt der Recaro-Experte.

Einmal ziehen reicht: Für den Rücklehnen-Klappmechanismus setzte VW in der Studie "Up! Lite" auf praktische Aspekte.

Einmal ziehen reicht: Für den Rücklehnen-Klappmechanismus setzte VW in der Studie "Up! Lite" auf praktische Aspekte.

(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

Sein Kollege Jürss gibt ihm mit Blick auf den "Synergie"-Sitz recht: Der Sessel, der in der Studie re3 gezeigt wurde, wiegt nur noch zwei Drittel dessen, was ein Seriensitz auf die Waage bringt. Bei einem Gewicht, das BMW-Sprecherin Katharina Singer auf bis zu 36 Kilogramm taxiert, wiegt der Einspareffekt buchstäblich schwer.

Sitze mit Gütesiegel

Ein weiterer Trend ist der geschärfte Sinn für Ergonomie. "Man verbringt immer mehr Zeit im Auto, und die Menschen werden immer älter. Beides spricht dafür, die Sitze orthopädisch und ergonomisch zu verbessern", argumentiert Riedel. Einige Autohersteller wie Opel oder Mercedes bieten deshalb bereits Sitze mit dem Gütesiegel der Aktion Gesunder Rücken (AGR) an. Und von Recaro kommt für den Opel Insignia OPC sogar der erste Sportsitz mit dem Segen der Orthopäden.

Außerdem wird sich womöglich die Form ändern: So experimentiert etwa BMW laut Katharina Singer mit einer Reihe neuer Sitztypen und hat sich dafür auch in der Natur umgesehen. Ähnlich wie die Flossen mancher Fische auf Druck nicht nachgeben, sondern Gegendruck aufbauen, wollen die Bayern die Lehne mit einer vergleichbaren Technik auch ohne Verstellmechanismus an den Körper anpassen.

Anpassen an den Fahrer

Ein zweiter Ansatz basiert auf der Vakuummatratze, mit der Schwerverletzte transportiert werden. Die Sitzschale wurde nach dem Körperabdruck einer repräsentativen Auswahl an Probanden geformt und bekommt kleine Luftpolster mit regulierbarem Druck für die Feinanpassung. "So umschließt der Sitz den Körper, stützt ihn ab und gibt im Seitenhalt. Wie die Rettungsmatte passt er sich automatisch der Anatomie des Fahrers an, auch wenn der seine Position während der Fahrt verändert", erläutert BMW-Entwickler Matthias Franz.

Gegendruck am Rückgrat: BMW experimentiert mit neuen Materialien und Konstruktionen, die dem Fahrer im Sitz besseren Halt bieten sollen.

Gegendruck am Rückgrat: BMW experimentiert mit neuen Materialien und Konstruktionen, die dem Fahrer im Sitz besseren Halt bieten sollen.

Aber Sitze müssen obendrein variabel sein. Schieben, Klappen und Versenken gehören zum Standard-Repertoire. "Zukünftig wird die Zahl der Möglichkeiten aber noch zunehmen", sagt Jürss. In der Studie re3 haben die Entwickler versucht, die "Kommunikationsbarriere" zwischen Vorder- und Rücksitzpassagieren zu durchbrechen, und ein "Konversationsdreieck" geschaffen. Den Beifahrersitz kann man in einer Sitzschiene ganz nach hinten gleiten lassen, während der rechte Rücksitz automatisch wie ein Kinosessel nach oben klappt. "So hat der Beifahrer nicht nur eine einzigartige Beinfreiheit, sondern kann besser mit den Fondgästen reden oder ein Kind versorgen", sagt Jürss.

Von Luft getragen

Auch Ford experimentiert mit neuen Sitzen und hat etwa in der Studie Iosis Max eine filigrane Brücke eingebaut. Sie dient als tragendes Element für vier schwebende Sitze, die ihrerseits aus einer besonders leichten Karbonstruktur mit Nylon-Netzbespannung bestehen. "Das hat gleich zwei Vorteile", sagt Ford-Sprecher Hartwig Petersen. "Den Passagieren bietet sich ein Sitzgefühl, als würden sie von Luft getragen, und der komplette Fahrzeug-Fußboden bleibt barrierefrei."

Dass es bei der Sitzentwicklung auch auf Kleinigkeiten ankommt, belegt die VW-Studie Up! Lite. Hier wurde die Mechanik der Einzelsitze mit den Kopfstützen kombiniert, erläutert VW-Sprecher Christian Buhlmann: Einmal ziehen, schon lässt sich die Lehne umlegen. "Gut möglich, dass wir das früher auf der Straße sehen als ein Auto wie den Up! Lite", heißt es bei den Entwicklern. Jedoch ist Vorsicht angebracht, wenn man sich die Sitze aus Designstudien für die Serie wünscht. Auf dem Messestand sehen sie oft leichter und bequemer aus als sie tatsächlich sind. Aber das macht nichts: Außer einem Model beim Fotoshooting muss darauf ja auch niemand sitzen.

Quelle: ntv.de, Thomas Geiger, dpa

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