Unterhaltung

Vom Schrottplatz ins Goetheinstitut 30 Jahre Einstürzende Neubauten

Bürgerschreck war gestern: Blixa Bargeld und die Einstürzenden Neubauten.

Bürgerschreck war gestern: Blixa Bargeld und die Einstürzenden Neubauten.

Die Einstürzenden Neubauten, von vielen Fans einfach nur "Neubauten" genannt, kommen in die Jahre. Die Gruppe um Frontmann Blixa Bargeld feiert in diesen Tagen ihr sage und schreibe 30-jähriges Bestehen. 30 Jahre, in denen sie eine erstaunliche Entwicklung vom Post-Punk zur Kultur-Schickeria hinlegte.

"Zumeist sorgsam zusammengestohlen" von Schrottplätzen und Baustellen waren ihre Instrumente, als sie vor 30 Jahren von Berlin aus zunächst die Untergrundbühnen der Welt eroberten. Wüste Klänge wurden "hervorgeprügelt aus Stahlteilen, Fässern, Bohrmaschinen, Hämmern, Sägen und einer ungestimmten Gitarre".

So selbstironisch und gewitzt umschreiben die Einstürzenden Neubauten auf ihrer Internetseite die wilden Bürgerschreck-Zeiten der 80er Jahre. Bis heute verschreiben sie sich ­wenig massenkompatibel ­ der "ewigen Suche nach dem noch unentdeckten Geräusch".

Umso erstaunlicher, was aus den Mauerstadt-Punks und Lärm-Apokalyptikern von damals geworden ist - nämlich einer der wichtigsten deutschen Musik-Exportartikel. In Großbritannien und den USA etwa werden die "Collapsing New Buildings" in ihrer Bedeutung mit den Krautrock-Legenden Can oder Kraftwerk verglichen. Weltweit erfolgreiche Bands wie Depeche Mode, Nine Inch Nails oder Rammstein wussten ihre Pionierarbeit zu schätzen.

Entsetzte Blicke in Münster

Schon in den 80er Jahren schickte sie das Goetheinstitut erstmals auf Reisen, um bei der Expo in Vancouver die deutsche Kultur zu repräsentieren. Längst ist der einst markerschütternde Sänger und dilettierende Gitarrist Blixa Bargeld ein anerkannter Theater- und Sprachkünstler, zeitweise mit Lehrauftrag an der Wiener Schule für Dichtung. Bassist Alexander Hacke arbeitet auch als Musikproduzent, Filmkomponist und Schauspieler. Schlagwerker N.U. Unruh (bürgerlich Andrew Chudy) ist ein renommierter Instrumentenbauer. Jochen Arbeit (Gitarre), Rudolf Moser (Percussion) und Ash Wednesday (Keyboards) vervollständigen die aktuelle Besetzung der Neubauten, die ihr 30-jähriges Bestehen derzeit bei einer zweimonatigen Welttournee feiern.

Die Erfolgsgeschichte der Neubauten lässt sich grob in drei Phasen unterteilen. Ihr 1980 begründetes Antipop-Konzept mit dem Album "1/2 Mensch" (1985) als Höhepunkt bestand vor allem aus Experimenten mit Alltagsgegenständen und den von Bargeld geraunten, gewimmerten abstrakt-düsteren Texten. Dies führte zu wunderbar bizarren Auftritten wie 1987 beim Kunstfestival "Skulptur Projekte" in Münster, als flanierende Bürger der Westfalenmetropole mit entsetzten Blicken und panisch zugehaltenen Ohren auf das Gedröhne im Schlosspavillon reagierten.

Neue Wege im Internet

Nach Theaterprojekten mit Peter Zadek und Heiner Müller näherten sich die Einstürzenden Neubauten Anfang der 90er konventionelleren Songstrukturen. Relativ melodiöse Alben wie "Tabula Rasa" (1993) oder "Ende Neu" (1996) erschienen beim angesehenen Indie-Label Mute und bescherten der Band bescheidene Charts-Erfolge. Mit einem Jubiläumskonzert in der Berliner Columbiahalle wurde das Zwanzigjährige gefeiert. ­Die Feuilletons jubelten.

Die dritte Neubauten-Phase wurde 2002 mit einem Internetprojekt rund um etwa 2.000 zahlungswillige Fans (die "Supporter") eingeläutet. Seither lässt sich die Band bei der Produktion neuer Songs und Alben per Webcam über die Schulter schauen. Über die Homepage wird neben den regulären Platten auch Musik "jenseits jeglicher Vermarktbarkeit" vertrieben. So ist auch im letzten Jahrzehnt eine Flut von Neubauten-Material erschienen, das dem selbstgesetzten Anspruch des "nimmermüden Entdeckergeistes" entspricht.

Von der Szeneikone zum Dandy

Aushängeschild ist und bleibt Blixa Bargeld, erst recht nach dem Ende seines Nebenjobs als Gitarrist bei Nick Cave & The Bad Seeds (1984-2003). Der mittlerweile 51-Jährige hat kürzlich ein Buch geschrieben, das die Entwicklung vom Industrial-Wüterich zum Dandy auf den Punkt bringt: In einem Tournee-Tagebuch outet er sich als kunstbeflissener Gourmet, der in Konzertstädten vor allem nach guten Museen und Restaurants sucht. Viele ehemalige Leidenschaften von "teils illegaler Natur" habe er indes inzwischen aufgegeben, bekennt Bargeld, in dessen früheren Texten sich zahlreiche Anspielungen auf Drogenkonsum fanden.

Die Einstürzenden Neubauten treten im Rahmen ihrer "30 Jahre"-Welttournee zweimal in Deutschland auf: am 23. Oktober (langes Konzert) und am 24. Oktober (Kurzkonzert, Filme, Installationen, Performance), jeweils in Berlin. - Das neue Album "Strategien gegen Architektur IV", eine Zusammenstellung von Werken der Band 2002-2010, ist am 22. Oktober erschienen.

Quelle: ntv.de, Werner Herpell, dpa

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