Irma - So geht Künstler heute "Okay, lass uns das machen"
28.05.2013, 18:50 Uhr
Geboren und aufgewachsen in Douala, nach Paris gezogen, im Internet berühmt geworden: In New York arbeitet Irma an ihrem zweiten Album.
(Foto: Universal Music)
Sie ist jung, außergewöhnlich talentiert und mit ihrer Mischung aus Soul, Folk-Pop und dem europäisch-afrikanischem Lebensgefühl einer jungen Weltbürgerin überbrückt sie mühelos weit entfernte Kulturkreise: Irma, die kamerunisch-französische Sängerin aus Paris, tourt mit ihrem neuen Album durch Deutschland. Mit n-tv.de spricht sie über ihre Musik, ihre Geschichte und die neuen Wege ins Musikgeschäft.
n-tv.de: Du komponierst und schreibst deine Liedtexte selbst, du spielst Gitarre, du singst und du arbeitest im Studio als deine eigene Producerin. Auf der Bühne übernimmst du per Sampler nebenbei Rhythmus und Begleitung und das Beat-Boxing beherrschst du wie Bobby McFerrin: Kann es sein, dass du nicht gerne mit Kollegen auftrittst?
Irma: Ob ich etwas gegen Kollegen habe? Ich liebe es, in einer Band zu spielen! Ich denke aber, als ich anfing, da wollte ich wirklich alles geben. Ich wollte alles genau so machen, wie ich es im Kopf hatte. Ich wollte es nach draußen bringen und sehen, was passiert. Als Künstler aber bist du allerdings auf andere Leute angewiesen. Du brauchst andere Künstler, um deine Musik zu verbessern. Sie können dir helfen, als Künstler zu wachsen. Also: Bands sind cool. Allerdings gefällt es mir auch, andere Möglichkeiten auszuprobieren.
Wie würdest du selbst deinen Musikstil beschreiben? Ist es wirklich, wie manche Kollegen schreiben, "Urban Soul"? Oder doch mehr "Pop-Soul"?
Ich denke, es nicht "urban". Höchstens insofern, als es offensichtlich eine Art von Soul ist. Aber es ist eigentlich mehr Folk... - Pop. Ja, ich würde sagen, es ist Folk-Pop... 'Schrägstrich' Soul.
Manche Musikkritiker stellen dich ja in eine Reihe mit Tracy Chapman. Was meinst du dazu?
Naja, es passt offenbar ganz gut zusammen: Sie ist eine Folk-Sängerin, sie schreibt einfache Songs für die Gitarre mit großartigen Melodien - für mich ist das ein schmeichelhafter Vergleich. Ich denke mir, Menschen brauchen Schubladen. Ich hoffe aber, sie sehen auch die anderen Einflüsse in meiner Musik. Und ich hoffe auch, dass sie mich sehen. Es ist ein sehr schmeichelhafter Vergleich.
Du arbeitest mit Stars wie etwa der französischen Nouvelle-Chanson-Sängerin Zaz, mit dem afrikanisch-französischen Rapper Youssoupha oder mit Will.I.Am von den Black Eyed Peas. Wie kommt das?
Ach, das ist jedes Mal anders. Mit Zaz zum Beispiel bin ich bei Aufnahmen für Tribute-Projekt für den Vater von Michael Goldman zusammengekommen. Wir saßen an einem Album, an dem sich mehrere französische Künstler beteiligen sollten. Ich war vorgesehen für ein Duett mit Zaz, und das war großartig! Ich habe sie einfach gleich angerufen, schließlich sind wir uns zuvor bereits auf verschiedenen Veranstaltungen in Frankreich über den Weg gelaufen. Sie war von der Idee begeistert und so gingen wir zusammen ins Studio und es hat richtig Spaß gemacht.
Wir war das mit Youssoupha?
Bei Youssoupha bekam ich den Kontakt über unsere Manager: Ich wollte mit dem Hiphop-Anteil, der in "I know" steckt, weiter experimentieren. Eigentlich ist das, was ich mache, ja eher Folk, aber bei diesem speziellen Song gibt es diesen Hiphop-Sound und diesen Beat, der richtig nach vorne geht, besonders im Loop. Das wollte ich erforschen und deshalb haben wir für dieses Stück einen Rapper gesucht. Dafür war Youssoupha genau der richtige.
Und bei Will.I.Am?
William ist wirklich witzig. Ich traf ihn bei einer französischen Fernsehshow, die live gesendet wird. Sie planten ein Bob-Dylan-Special ein und ich sollte "The Times They Are a-Changing" singen. Er saß währenddessen an einem Beitrag über die Black Eyed Peas. Ich ging rüber zu seinen Bodyguards und meinte, "hey, ich muss mich mit William treffen" (lacht). Du weißt schon, ich wollte einfach mit ihm reden und vielleicht ein Youtube-Video aufnehmen. Sie lachten mich einfach aus. Aber dann kam er aus seiner Garderobe und meinte: "Oh, du siehst aus wie meine kleine Schwester", oder etwas in der Art. So kamen wir ins Reden und ich erzählte ihm von meiner Youtube-Geschichte, wie ich hierherkam, und dass ich es prima fände, wenn wir ein kurzes Stück für die Leute auf Youtube aufnehmen könnten.
So ist eure gemeinsame Cover-Version von "I Want You Back" entstanden?
Er fand die Idee großartig und meinte nur "okay, lass uns das machen" - und schon war ich mit William in der Garderobe und wir nahmen dieses Video mit meiner Webcam auf. Es ist wirklich fantastisch geworden. Für mich war das auch sehr lehrreich: Er hätte das nicht tun müssen. Ihm hat offenbar das Einfache daran gefallen. Das war wirklich gut.
Online-Videos haben dich berühmt gemacht. Seitdem hoffen alle noch unentdeckten Nachwuchstalente auf ihren großen Auftritt im Internet anstatt einer Casting-Show. Stimmt es wirklich, dass deine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte mit einem echten Chanson-Klassiker beginnt?
Ja, das stimmt. Mein erstes Video habe ich vor vier, nein, sechs Jahren hochgeladen. Das war eine Cover-Version von "Au Suivant" von Jacques Brel. Zuerst war das eigentlich nur ein Spaß. Musik war schon immer meine Leidenschaft, aber diese Video-Sache war eigentlich nur als Gag gedacht. Dann erst wurde mir plötzlich bewusst, dass eine ganze Menge an Leuten aus aller Welt dieses Video sehen können - Leute, die ich überhaupt nicht kenne. Sie gaben ihre Kommentare ab und leiteten das Video weiter. Das hat mich fasziniert: Ich war begeistert und fing an, mehr Videos zu posten. So hat das alles angefangen.
Für wen war denn das erste Video eigentlich gedacht?
Das war für Freunde - und meine Familie. Das allererste Video, das "Au suivant"-Cover, habe ich für meine beste Freundin aufgenommen. Sie war im Urlaub, und es gab keinen anderen Weg, um ihr zu zeigen, was ich eingeübt hatte. Sie und meine Zwillingsschwester waren da noch die Einzigen, denen ich meine Lieder vorgespielt habe. Ich dachte mir, ich kann ihr das Stück unmöglich per Mail schicken. Die Datei war einfach zu groß. Also dachte ich mir, ich lade es bei Youtube hoch und nehme es wieder runter, sobald sie es gesehen hat. Bei der Aufnahme hatte ich diesen riesigen Afro und eine Sonnenbrille auf. Ich dachte ja, mich sieht keiner. Dann erst habe ich die Kommentare entdeckt... Da erst kam ich auf die Idee, dass den Leuten meine Musik gefallen könnte.
Dann gibt es da noch diesen Google-Spot, der sich auf deinen Youtube-Erfolg bezieht. Wie kam es denn dazu?
Ja, das war auch eine dieser verrückten Geschichten aus den letzten Jahren. Da gab es diese große Werbeagentur Bartle Bogle Hegarty (BBH), die damals an einer Kampagne für den Google-Browser arbeitete. Sie schrieben mir eine Mail, die bei mir sofort im Spam-Ordner landete. Ich habe sie überhaupt nicht gelesen. Ich dachte, das wäre nur eine Art Google-Werbung. Nach ein paar Wochen stieß ich dann beim Aufräumen in meiner Mailbox irgendwie wieder auf diese BBH-Mail. Ich habe sie an mein Label "My Major Company" weitergeleitet, und dort schrien sie mich fast an: "Warum bekommen wir das erst jetzt?" Es stellte sich heraus, dass Google nach jemandem suchte, um der Marke "Chrome" in Frankreich ein Gesicht zu geben. Es sollte ein Künstler sein, der Youtube und andere Kanäle auch wirklich einsetzt, also seine Songs teilt und so weiter. Sie meinten, ich sei die Person, nach der sich gesucht hätten.
Da warst du nicht mehr ganz unbekannt, oder?
Auf jeden Fall. Ich meine, ich hatte da schon um die 50.000 CDs verkauft - was in Frankreich für ein englisch-sprachiges Album wirklich großartig ist. Außerdem war ich da auch schon sehr viel auf Tournee. Das erste Album war also eigentlich schon durch. Und dann kam diese Google-Sache. Das hob für mich alles auf eine ganz andere Ebene. Es gab also ganz klar ein Davor und ein Danach. Mit der Chrome-Kampagne wurde es wirklich... riesig.
Deine ersten Veröffentlichungen in Frankreich sind auf ungewöhnliche Art und Weise entstanden. Das Crowd-Funding-Projekt "My Major Company" spielt dabei die Hauptrolle. Wie kam das?
Im Prinzip ist My Major Company ein spendenfinanziertes Gemeinschaftslabel, das Fans im Internet darüber entscheiden lässt, welcher Künstler unterstützt werden soll. Sie haben mir 2008 einfach eine Mail geschickt. Irgendjemand hatte meinen Youtube-Kanal entdeckt. Damals kamen meine Videos auf gerade mal 1000 Views. Das war nicht gerade riesig, es war zwar einiges los, aber es waren keine Millionen an Zuschauern. Sie sagten mir, sie hätten sich meine Videos angesehen, und dass sie auf der Suche nach Künstlern wären. Ihre eigene Internetseite war da noch gar nicht online. Als mir klar wurde, dass es um crowd funding geht - also dass Fans mit ihren Spenden in die Produktion eines Albums investieren können - da dachte ich mir: "Das ist cool". Damals lag die Mindestsumme bei 70.000 Euro. Falls das Geld zusammenkommt, fangen sie damit an, das Album aufzunehmen, es zu vertreiben und zu vermarkten.
In deinem Fall war das Geld innerhalb von 48 Stunden da?
Der Druck, bei einem Label zu unterschreiben, war gar nicht so groß, wie ich zunächst dachte. Sie waren jung und sie waren mit mindestens ebenso viel Leidenschaft dabei wie ich. Ich war von Anfang an bei allem mit dabei, und sie haben mich nicht allein gelassen. Ich finde, es ist wirklich eine prima Sache, auf diese Weise in die Musikindustrie zu starten.
Bis vor Kurzem warst du noch an einer Wirtschaftshochschule eingeschrieben. Wie lässt sich das vereinbaren, ernsthaft studieren und gleichzeitig Weltstar werden?
Das Studium habe ich gerade erst abgeschlossen. Wenn alles klappt, habe ich meinen Abschluss im September in der Tasche. Zum Schluss hin war es wirklich hart: Für die Prüfungen musste ich am Ende nach den Konzerten im Tourbus lernen. Das war wirklich, wirklich anstrengend. Aber ich denke, das hat mir auch geholfen, ein bisschen die Balance zu halten. Schließlich hat sich in meinem Leben zuletzt alles so schnell entwickelt. Wenn etwas wirklich hart und langweilig war - wie zum Beispiel die Marketing-Vorlesungen -, dann war das für mich auch notwendig, um irgendwie stabil zu bleiben. Ja, es war hart, aber es hat mir eine Art Bezug zur Realität erhalten - und damit war es irgendwie auch eine sehr sinnvolle Übung.
Spielst du etwa mit dem Gedanken, in die freie Wirtschaft zu gehen?
Oh, ich denke nein (lacht). Das Leben als Künstler ist viel lustiger.
Aber immerhin könntest du dein eigenes Marketing übernehmen, oder?
Definitiv, ja. Das würde mir sogar sehr gefallen. Noch bastele ich an meiner eigenen Karriere, aber irgendwann, vielleicht in ein paar Jahren, würde ich sehr gerne auch als Produzent für jüngere Künstler arbeiten. Ich denke, wenn du schon die Chance hast, als Sängerin groß rauszukommen und deine eigene Musik ausleben kannst, dann ist es ohne Zweifel auch eine sehr coole Möglichkeit, anderen Künstler zu helfen, das auch zu tun.
Wie geht es nach deiner Deutschland-Tour weiter? Wirst du weiterhin Videos bei Youtube hochladen?
Ja, auf jeden Fall. Eines meiner letzten Stücke war sogar ein weiteres Cover von Jacques Brel, nämlich "Ne me quitte pas". Das habe ich in meiner New Yorker Wohnung aufgenommen und ja, ich denke, das werde ich weiter machen. Ich glaube, das ist wichtig. Im Moment arbeite ich an meinem zweiten Album. Als ich auf Tour war, gab es bei den Videos zwar eine kurze Pause, aber die Zeit für neue Aufnahmen sollte sich eigentlich immer finden lassen. So hat schließlich alles angefangen. Und es gibt keinen Grund, warum ich damit aufhören sollte.
Mit Irma sprach Martin Morcinek
Quelle: ntv.de