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"Nicht den Hauch einer Chance" David Lama über seine Versuche am Cerro Torre

Wenige Seillängen unterhalb des Gipfels: David Lama am Cerro Torre.

Wenige Seillängen unterhalb des Gipfels: David Lama am Cerro Torre.

(Foto: Lincoln Else / Red Bull Content Pool)

Der "unmögliche Berg": 3133 Meter hoch und steil wie ein abgebrochener Zahn aus eiskaltem Granit ragt der Cerro Torre in die heranstürmenden Winde des Pazifik.

Der "unmögliche Berg": 3133 Meter hoch und steil wie ein abgebrochener Zahn aus eiskaltem Granit ragt der Cerro Torre in die heranstürmenden Winde des Pazifik.

(Foto: Corey Rich / Red Bull Content Pool)

Tief unten im Süden ragt ein sturmumtoster Dreitausender mit bizarr-schroffen Granitflanken in den patagonischen Himmel. Vier Jahrzehnte nach einer skandalumwitterten Bohrhaken-Besteigung wagt sich ein junges Freiklettertalent an die sagenumwobene "Kompressor-Route". n-tv.de spricht mit David Lama über Haltung, Sponsoren und das Glück auf dem Gipfel.

n-tv.de: Nur wenige Berge der Welt kommen zu der Ehre, gleich in mehreren Filmen die heimliche Hauptrolle zu spielen. Neben der Eiger-Nordwand sind das vielleicht noch das Matterhorn oder der Mount Everest. Jetzt kommt - knapp ein Vierteljahrhundert nach Werner Herzogs Bergdrama "Schrei aus Stein" - eine Dokumentation in die Kinos, die dich bei deinen Versuchen am Cerro Torre begleitet. Um was geht es genau?

David Lama: Der Film zeigt mich, glaube ich, so wie ich bin. Er handelt von meiner bislang größten Reise und von meinem bislang größten Abenteuer. Für mich bedeutet diese Reise sehr viel. Am Cerro Torre habe ich zu meinem Stil gefunden. Dadurch bin ich von einem Sport- und Wettkampfkletterer, der in einer Welt voller Regeln gelebt hat, zu jemandem geworden, der sich seine Regeln selbst definiert.

Wo liegen für dich die wichtigsten Unterschiede zwischen Kletterhalle und Alpinklettern?

In der Halle gibt es einfach klare Regeln. Für mich war aber immer schon das Klettern draußen am richtigen Fels das wahre Klettern, das echte Klettern. Dort funktionieren die Regeln aus der Halle nicht unbedingt. Da liegt für mich der Unterschied. Im Alpinismus muss man eben selbst eine starke Haltung einnehmen und diese Haltung auch definieren - das habe ich im ersten Jahr am Cerro Torre sicher noch nicht im ausreichenden Maße gemacht.

Insgesamt viereinhalb Jahre hast du daran gearbeitet, den Cerro Torre frei, also ohne technische Hilfen, zu besteigen. Es gab reichlich Fehlschläge, sehr viel schlechtes Wetter und einen Riesenwirbel im Netz um Bohrhaken und Fixseile für die Kamera-Crew. Und über allem schwebte die düstere Prognosen eines ausgewiesenen Patagonien-Experten. Wie war das für dich, als der Film fertig war? Warst du glücklich oder erleichtert?

Ein Selfie beim Training in Tirol: David Lama überträgt sein Klettertalent von der Halle in die ganz großen Wände dieser Erde.

Ein Selfie beim Training in Tirol: David Lama überträgt sein Klettertalent von der Halle in die ganz großen Wände dieser Erde.

(Foto: David Lama / Red Bull Content Pool)

Es hat sich sehr gut angefühlt. Ich denke, es ist ein Dokumentarfilm, wie man ihn nicht erwarten würde. Ich bin kein Filmkritiker, aber ich traue mich zu sagen, dass es wohl nur wenige Bergfilme gibt, die so ehrlich und authentisch erzählen worden sind wie unserer. Es gibt wohl nur wenige Dokumentationen, in denen sowohl das Filmteam als auch die Produzenten und auch wir Kletterer selbst die Hosen so weit runterlassen und wirklich zu unseren Fehlern stehen - und da nix verschleiern und nix verschönern. Deswegen bin ich auch extrem stolz auf diesen Film, so wie er geworden ist.

Der Untertitel des Films basiert auf einem Zitat der US-Kletterlegende Jim Bridwell. Felsenfest ging er davon aus, dass du mit Deinem Vorhaben in Patagonien "nicht den Hauch einer Chance" hattest. Ab wann war Dir klar, dass die freie Begehung der berühmt-berüchtigten Kompressor-Route tatsächlich möglich ist?

An einer Stelle im Film bin ich sogar zu hören, wie ich mich mitten in der eigentlichen Besteigung frage: Ob das funktioniert? Das war kurz nachdem ich an der Stelle der Bolt-Traverse gestürzt bin. Und dann war da noch diese Stelle fünf Meter vor dem Ausstieg, unterhalb des Gipfelschneefelds. Da hängt dieser riesige, wacklige Block. Ansonsten habe ich mich mit diesem Thema gar nicht so sehr beschäftigt. Dass diese Route auch im Freikletterstil funktionieren kann, wurde mir erst richtig klar, als wir 2011 zum ersten Mal auf dem Gipfel standen. Da habe ich gesehen, es gibt Strukturen und es wird schon wahrscheinlich irgendwie gehen. Danach kam dann aber noch die Sache mit den entfernten Bohrhaken [durch die kanadisch-US-amerikanische Seilschaft Kennedy/Kruk, Anm. d. Red.]. Das war ein, zwei Tage bevor wir zu unserem entscheidenden Versuch starten wollten. Es waren einfach unglaublich viele Schwierigkeiten. Es hat nie den Moment gegeben, in dem ich mal locker lassen konnte, um zu sagen: Ja, das geht. Es war eigentlich immer Vollgas und immer am Limit.

Ein neuer "Schrei aus Stein": David Lama hat am Cerro Torre Geschichte geschrieben.

Ein neuer "Schrei aus Stein": David Lama hat am Cerro Torre Geschichte geschrieben.

Was war für dich im Rückblick der schönste oder vielleicht wichtigste Moment?

Wenn es einen einzelnen Augenblick gab, dann war das vielleicht das Gipfelerlebnis 2011, als wir oben stehen im allerletzten Licht, die Sonne ist schon untergangen hinter dem Inlandeis, der Fitz Roy [ein rund 3400 Meter hoher Nachbarberg, Anm. d. Red.] ist schon in der Dunkelheit gewesen, unter uns das ganze Tal war finster. Und der Peter und ich steigen da auf und stehen dann am Gipfel oben, das allererste Mal am Gipfel vom Torre. Wir waren die einzige Seilschaft, die es in dieser Saison geschafft hat, auf den Gipfel raufzukommen, auch in technischer Kletterei, und das war einer der schönsten Momente für mich überhaupt. Im Nachhinhein habe ich erst begriffen, dass das vielleicht - wenn man es auf einen Punkt reduzieren kann - der Knackpunkt war, an dem ich angefangen habe eine neue Haltung zum Bergsteigen zu entwickeln.

Um den Namen Cesare Maestri rankt sich eine riesige Kontroverse aus der Besteigungsgeschichte des Cerro Torre. Maestris Kompressor - mit dem er sich im Jahr 1970 in Richtung Gipfel bohrte, um seine Ehre zu retten - hängt noch immer in der Wand. Bist du Maestri jemals persönlich begegnet?

Nein.

Was würdest du ihm erzählen?

Ich glaube, ich würde ihm in erster Linie nichts erzählen, sondern ich würde ihn lieber ein paar Sachen fragen. Und das wäre sicher ein spannendes Gespräch - aber nicht nur über den Cerro Torre. Maestri wird immer nur auf den Cerro Torre reduziert, aber eigentlich hat er auch wirklich tolle Sachen in den Dolomiten gemacht, bevor er sich beim Spiel mit dem Unmöglichen am Cerro Torre auf einen Stil eingelassen hat, der ihm eigentlich nicht gerecht wurde.

Was meinst du: Hat es Maestri damals mit Toni Egger bis auf den Gipfel geschafft?

Nein.

Die brutalste Art, auf einen Berg zu steigen: Maestris Kompressor am Cerro Torre.

Die brutalste Art, auf einen Berg zu steigen: Maestris Kompressor am Cerro Torre.

(Foto: Lincoln Else / Red Bull Content Pool)

Spielt das für dich eine Rolle?

Also, für meine erste freie Begehung spielt seine Erstbesteigung, seine angebliche, eigentlich keine große Rolle, außer natürlich, dass es letztlich die Kompressorroute ausgelöst hat, nachdem man ihm seinen Gipfelerfolg angezweifelt hatte. Die Geschichte dieser Route liefert das krasse Gegenbeispiel zum Freiklettern. Wahrscheinlich gibt es nirgendwo sonst auf der Welt ein solches Beispiel für eine so brutale Art und Weise, sich mit technischen Hilfsmitteln auf einen Berg hinaufzuarbeiten. Der Freikletterstil dagegen ist für mich einfach der schönste Stil, einen Berg zu besteigen. Ganz einfach aus dem Grund, weil man da wirklich die Herausforderung auf den Berg annimmt. Man versucht nicht mit irgendwelchen Haken, die man in die Wand bohrt oder in einen Riss schlägt, den Berg sozusagen auszutricksen, sondern man macht das wirklich mit seinem Körper, mit seinen eigenen Händen und Füßen.

Die freie Begehung ist dir erst im dritten Anlauf geglückt. Wie oft hättest du es noch versucht? Wärst du ein viertes Mal nach Patagonien geflogen?

So ein Projekt, so ein Traum lässt einen nicht einfach los. Der Cerro Torre ist für mich einer der schönsten Berge der Welt. Man muss sich einfach nur einmal anschauen, wie sich der rote Granit im Morgenlicht vom blauen Eis abhebt. Das ist einfach ein gewaltiger Berg, wie es ihn bei uns in den Alpen nicht gibt. Ich wäre sicher auch ein viertes Mal hingefahren.

Welche Rolle spielt für dich der Sponsor? Würdest du solche Ziele anders angehen, wenn du deine Projekte unabhängig von allen Geldgebern realisieren könntest?

Beim Cerro Torre haben wir uns von Anfang an für eine Dokumentation entschieden. Wichtig war für mich dabei, dass das Kletterprojekt den Vorrang hat. Das muss ich mir erhalten, das will ich mir erhalten und das kann ich mir erhalten. Und solange das so ist, kann ich mich sehr gut darauf einlassen. Natürlich macht man dann auch Kompromisse. Wir hätten zum Beispiel kein Tonequipment mitgenommen und nicht zwei oder drei Kameras, sondern vielleicht nur eine. Am Ende ist es aber einfach meine Arbeit als Profi-Kletterer. Sponsoren sind eine Möglichkeit, davon zu leben. Für mich das eine maßgeschneiderte Art und Weise, vom Klettern zu leben. Das Projekt und die Kletterleistung müssen allerdings an erster Stelle bleiben, erst dann kommen der Film und die Sponsoren. Es ist sicher ein Privileg, Nein sagen zu können. Es kann wohl nicht jeder Sportler zu seinen Sponsoren sagen, nein, das interessiert mich nicht, das mache ich nicht. Ich glaube, ich bin in der privilegierten Lage, dass machen zu können. Und dieses Recht, das werde ich mir auf jeden Fall um jeden Preis erhalten.

"And then there comes the next generation": David Lama plant schon für die nächste große Projekt - eine dreieinhalb tausend Meter hohe Wand an einem Siebentausender.

"And then there comes the next generation": David Lama plant schon für die nächste große Projekt - eine dreieinhalb tausend Meter hohe Wand an einem Siebentausender.

(Foto: Manuel Ferrigato / Red Bull Content Pool)

Wie sah das denn mit der Verpflegung am Berg aus? Was hattet ihr den zum Beispiel in der entscheidenden Seillänge im Rucksack?

Das kann ich dir jetzt nicht mehr hundertprozentig genau sagen, aber ich glaube wir haben einen dreiviertel Liter Wasser dabei gehabt und drei Müsliriegel.

Mal ehrlich, kann man einen Energydrink am Berg überhaupt gebrauchen?

Wir nehmen ihn zum Beispiel zum Skitourengehen mit. Dafür funktioniert er eigentlich sehr gut: Wenn man lange aufsteigt und dann vor der Abfahrt in so eine Art Loch zu fallen droht, dann finde ich das wirklich super. Das sage ich jetzt ohne Rücksicht auf Sponsoren.

Du gilst als "Pionier einer neuen Bergsteigergeneration". Wie gehst du mit dem Druck der Verantwortung und den hohen Erwartungshaltung um?

Ich glaube, den Druck, den macht man sich immer nur selber. Das klingt jetzt wie eine pauschale Aussage, aber bei den Projekten, die ich mir aussuche, geht es immer um Sachen, von denen ich anfangs noch nicht weiß, ob ich sie am Ende auch schaffen kann. Bei solchen Projekten scheitert man auch immer wieder. Beim Cerro Torre bin ich auch zwei Jahre hintereinander gescheitert, bis ich es dann doch geschafft habe. Das Scheitern gehört einfach dazu. Den Druck, den kann man sich dadurch schon nehmen, indem man sich einfach sagt, hey, ich probiere Sachen, die andere einfach für unmöglich halten, da werde ich einfach auch mal scheitern, das ist ganz natürlich. 

Am letzten Standplatz vor dem Gipfel: David Lama vor dem entscheidenden Anlauf am Cerro Torre.

Am letzten Standplatz vor dem Gipfel: David Lama vor dem entscheidenden Anlauf am Cerro Torre.

(Foto: Lincoln Else / Red Bull Content Pool)

Die "Goldenen Tage des Alpinismus" mit der Chance auf Erstbesteigung bislang unberührter Gipfel sind längst vorbei. Heckmeiers berühmtes Buch "Die drei letzten Probleme der Alpen" stammt aus dem Jahr 1949. Was meinst du: Wohin wird sich der Alpinismus entwickeln?

Dazu möchte ich einen Satz von Martin Boysen (eine britische Bergsteigerlegende, Anm. d. Red.) zitieren. Ganz am Ende des Films sagt er: "One generation thinks it's all done, and then there comes the next generation and finds something new". Es wird immer Probleme geben, es wird immer Leute geben, die ins Ungewisse aufbrechen und das Abenteuer suchen. Ich sehe mich als einen davon.

Wo siehst du die großen Herausforderungen der Zukunft?

Mein neues Projekt liegt am Masherbrum, der auch K1 genannt wird. Da gibt es eine dreieinhalbtausend Meter hohe Wand. Der Gipfel liegt auf 7800 Meter. Die Wand ist noch undurchstiegen. Das ist das neue Projekt.

Was fasziniert dich an diesem Berg, den du an anderer Stelle mal als "eine Eiger-Nordwand mit einem Cerro Torre obendrauf" beschrieben hast?

Es ist wieder diese Vorstellung einer Route, die kaum ein anderer sehen kann. Mein Partner und ich, wir können uns es vorstellen, da durchzuklettern. Wir haben die Linie vor Augen. Wir wissen, in welchem Stil wir da durch wollen. Und so lange wir nicht das Gefühl haben, es ist unmöglich oder es ist zu riskant, wollen wir es auf jeden Fall versuchen.

Wie viel Gefahr braucht es für dich, damit dir Klettern Spaß macht?

Die Ausgesetztheit einer Route ist auf jeden Fall etwas, was das Klettern für mich zu mehr macht als nur zu einem Spiel. Klettern ohne Konsequenzen wäre wie ... das Leben selbst bleibt ja auch nicht ohne Konsequenzen und das soll es auch nicht. Deswegen ist ein Spiel immer nur ein Spiel, und das Leben ist mehr als nur Spiel. Alpinismus ist eben mein Leben.

Auf deiner eigenen Homepage heißt es, "Alpinismus ist nicht nur eine Haltung gegenüber einem Berg, sondern auch eine Haltung gegenüber sich selbst." Wie meinst du das?

Es geht um eine eigene Vorstellung, der man sich treu bleiben muss. Für mich besteht diese Haltung aus den Idealen, die ich über die Jahre am Cerro Torre zum Stil der Begehung entwickelt habe. Freiklettern ist ein sehr reduziertes Statement. Indem man eine Idee entwickelt, wie man an einem solchen Berg klettern will, schafft man sich eine Aufgabe - und das betrifft mich natürlich auch selbst. Es gilt, dieser Vorstellung treu zu bleiben.

Was heißt das übersetzt in den Alltag?

Jeder Mensch hat solche Vorstellungen und Ideale. Auch abseits vom Bergsteigen handeln wir in einem gewissen Stil, in einer gewissen Art und Weise. Wir stellen uns zum Beispiel vor, wie wir bestimmte Vorhaben oder Angelegenheiten angehen - wie wir Dinge regeln. Es kommt immer darauf an, wie man es macht. Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig, nicht immer den leichten Weg zu gehen und keine Abstriche bei seinem Stil zu machen. Es ist wichtig, seinen Vorstellungen treu zu bleiben. Das kann man im alltäglichen Leben anwenden wie auch im Alpinismus.

Angenommen, du wachst eines Morgens auf und dir wird klar, dass du dein ganzes bisheriges Leben - die Erfolge, dein Talent, deine Abenteuer - dass du das alles nur geträumt hast. Was würdest du tun?

Ich würde die Augen zu machen und weiter träumen.

Mit David Lama sprach Martin Morcinek

Quelle: ntv.de

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