Prag besucht, Kafka gefunden Die Stadt und ihr Autor
03.07.2008, 09:51 UhrDer Jahrhundert-Schriftsteller Franz Kafka und die Stadt Prag - sie gehören zusammen. "Dieses Mütterchen hat Krallen" schrieb Kafka über Prag, "Ich habe Bier mit Kafka getrunken" steht heute auf T-Shirts, die in der Touristenmetropole angeboten werden. Sein kurzes Leben verbrachte Kafka (1883-1924) fast vollständig an der Moldau. Stätten seines Lebens zu besuchen, zählt heute zum Pflichtprogramm für Prag-Reisende. Eine Stadtführung ohne Kafka ist praktisch unmöglich.
Laut geht es zu auf dem Areal der Prager Burg, Fremdenführer rufen ihre Gruppen zusammen, ein Akkordeonspieler musiziert, über den Köpfen knattert ein Hubschrauber. Ganz hinten, in der Goldenen Gasse, wird tschechisches Kunsthandwerk angeboten. Vor einem der kleinen Häuschen, der Nummer 22, hört man das Knipsen der Fotoapparate - hier lebte und schrieb Kafka 1916 und 1917. Schon zu dessen Lebzeiten war die Burg in Prag eine Stadt in der Stadt, mit eigener Feuerwehr und eigenem Sicherheitsdienst. Viele Interpreten meinen, dass Kafka das Burgviertel "Hradschin" als Vorlage für seinen Roman "Das Schloss" (1926) nahm.
Menschen aus aller Welt bezeugen Respekt
Ortswechsel: An diesem Morgen präsentiert sich das goldene Prag grau. Dunkle Wolken liegen im Himmel, Wind pfeift durchs Gebüsch des Neuen Jüdischen Friedhofs. Vor dem Familiengrab flüstern Besucher amerikanisch, deutsch, jiddisch. Auf der anderen Seite der Friedhofsmauer baut Radio Free Europe sein neues Hauptquartier. Jeden Tag kommen Menschen aus aller Welt, um dem großen Autor an seiner letzten Ruhestätte Respekt zu bezeugen.
Während des Kommunismus in der Tschechoslowakei wurde Kafka als "Schriftsteller der Bourgeoisie" abgelehnt. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erschien in seinem Geburtsland eine Gesamtausgabe auf Tschechisch; sie wurde im Jahr 2007 fertig gestellt. Seit 2003 erinnert im Jüdischen Viertel, nahe der Spanischen Synagoge, ein Kafka-Denkmal an den berühmten Sohn der Stadt. Mehr als drei Meter hoch, überragt sie die Touristen.
Seltsame Symbiose
Wer in Prag nach Kafkas Spuren sucht, wird an zahlreichen Ecken fündig. Seine Wohnadressen und die seiner verschiedenen Freundinnen sind bekannt, auch die seiner Schulen und Arbeitsstellen. Oft findet sich an der Fassade eine Gedenktafel. Manche der Kaffeehäuser, die Kafka besuchte, wie etwa das Imperial oder das berühmte Caf Slavia, sind renoviert und in Betrieb. Theater und Konzertsäle, die er in seinen Tagebüchern erwähnt, locken noch heute Zuschauer.
Das privat betriebene Franz-Kafka-Museum beleuchtet mit der Dauerausstellung "Die Stadt von Franz K. und Prag" die seltsame Symbiose. Multimediale Installationen sollen einen Einblick in Kafkas Prager Mikrokosmos ermöglichen. Briefwechsel mit der Versicherung, für die Kafka gearbeitet hat, erinnern an Szenen aus seinem Roman "Der Prozess" (1925). Überrascht sind viele Besucher davon, auch Zeichnungen aus der Feder des Schriftstellers zu sehen zu bekommen, verloren wirkende tintenschwarze Strichmännchen.
"Kafkaesk" werden jene Momente genannt, die auf rätselhafte Weise und unheimlich daher kommen. In den engen Gassen und versteckten Hinterhöfen des historischen Stadtzentrums verstecken sich solche Augenblicke. Dem Kafka-Leser sind sie sympathischer als die Einfälle der modernen Prager Geschäftswelt: Das Kafka-Hotel scheint schon etwas heruntergekommen, Bars und Restaurants machen Werbung mit dem Namen des Autors. Unterdessen bereitet das örtliche Literaturhaus deutschsprachiger Autoren bereits für eine neue Ausstellung den Teil über Kafka vor. Der Autor und Prag bleiben miteinander verbunden.
Von Jakob Lemke, dpa
Quelle: ntv.de