Locarno 2010 Goldener Leopard für China
15.08.2010, 13:06 UhrSeit Olivier Père Leiter des Internationale Filmfestival Locarno ist, hat sich das Treffen in der Schweiz verändert. Es konzentriert sich auf das europäische Kino und auf stilistisch eigenwillige Filme überwiegend sehr junger Regisseure. Dafür gibt es auch Preise.
Beim 63. Internationalen Filmfestival von Locarno hat das Leise und Subtile einen deutlichen Sieg über alles Schrille errungen. Der Goldene Leopard, Hauptpreis des "Concorso Internazionale", und die anderen wichtigen Auszeichnungen ignorierten alle gewalt- und sexgeladenen Beiträge, die sich in der Konkurrenz der 18 Wettbewerbsbeiträge und in den anderen Festivalsektionen in großer Zahl tummelten.
Wie von vielen Zuschauern und Fachbesuchern erwartet, ging der Goldene Leopard an den chinesischen Spielfilm "Han Jia" ("Winterferien") von Regisseur Ll Hongqi. Die Jury unter Vorsitz des Regisseurs Eric Khoo aus Singapur kürte damit eine feinsinnige Ballade über den Alltag von halbwüchsigen, ihre Umwelt kritisch beurteilenden Schülern im heutigen China.
Starke Bildsprache
Mit seinem zurückhaltenden Stil erinnert "Han Jia" an die besten Filme aus dem Ostblock vor dem Mauerfall. Wie damals beispielsweise Beiträge von Filmkünstlern in der DDR oder in Polen, hat der Film eine deutliche gesellschaftskritische Haltung gleichsam zwischen den Bildern und Dialogen. Auch für das Festival selbst, das vor allem junge Talente anspornen möchte, ist diese Ehrung ein Erfolg: Vor einem Jahr gewann das Drehbuch zum Film den Förderpreis der Festivalsektion "Open doors" und konnte mit dem Preisgeld realisiert werden.

Das Festival würdigt einen feinen Film.
(Foto: dpa)
Auch die übrigen Auszeichnungen galten vor allem Filmen, die ohne alles Spektakuläre handfeste Geschichten über nachvollziehbare Menschenschicksale erzählen. Die französisch-rumänisch-ungarische Produktion "Morgen" von Regisseur Maria Crisan erhielt den "Spezialpreis der Jury für den zweitbesten Film". In angenehm ruhigem Erzählfluss und mit viel Liebe zum Detail entwickelt die traurigen Ballade vom tristen Leben in der rumänisch-ungarischen Grenzregion einen großen Sog, dem sich kaum jemand entziehen kann.
Bunt wie das Leben
Beide Filme setzen auf Zuschauer, die Lust haben, sich auf vielschichtige Geschichten aus der Wirklichkeit einzulassen und mitzudenken. Das gilt auch für "Curling" aus Kanada, wofür Denis Côté als bester Regisseur geehrt wurde. Auch er lässt den Figuren manches Geheimnisvolle und gibt der hintersinnigen Vater-Tochter-Geschichte damit eine flirrende Atmosphäre. Unterstrichen wurde die Wertschätzung für den Film durch die Auszeichnung von Emmanuel Bilodeau, den Darsteller des Vaters, als bester Schauspieler.
Für ihre warmherzige Darstellung einer aufopferungsvollen Mutter in der deutsch-serbisch-schwedischen Gemeinschaftsproduktion "Beli beli svet" ("White White World") des Serben Oleg Novkovic wurde Jasna Duricic als beste Schauspielerin gekürt. Und damit galt wenigstens eine bedeutende Ehrung auch dem Engagement deutscher Produzenten. Vier deutsche beziehungsweise mit starker deutscher finanzieller Beteiligung realisierte Filme setzten Akzente. Dazu gehört die deutsch-ungarisch-französische Produktion "Womb". In diesem Thriller denkt Regisseur Benedek Fliegauf pointiert darüber nach, wie die Welt aussehen könnte, wenn das Klonen von Menschen erlaubt wird. Dafür gab es immerhin den "Preis für Umwelt und Lebensqualität".
Zuschauer für israelischen Film
Auch der Publikumspreis ging mit an deutsche Produzenten: Die Zuschauer der abendlichen Freiluftaufführungen entschieden sich per Umfrage für die israelisch-deutsch-französische Produktion "The Human Resources Manager". Der israelische Regisseur Eran Riklis entfaltet anhand einer absurden Geschichte um den Personalchef einer Großbäckerei in Jerusalem eine bildgewaltige Erzählung über den Kampf von Tradition und Moderne in Israel und in der postsowjetischen Gesellschaft.
Die Auszeichnungen bestätigen das Konzept von Olivier Père, dem neuen künstlerischen Direktor von Locarno. Er setzt auf die Förderung junger Autoren und Regisseure, die mit eigener Handschrift ein Publikum bedienen, das im Kino mit Anspruch unterhalten werden möchte.
Quelle: ntv.de, dpa