Späte Wiedergutmachung HU ehrt Wolf Biermann
07.11.2008, 09:35 UhrWenn die Berliner Humboldt-Universität (HU) am 7. November dem Berliner Ehrenbürger Wolf Biermann die Ehrendoktor-Urkunde überreicht, ist das mehr als ein gewöhnlicher Festakt für verdiente Zeitgenossen. Natürlich spielt die Lebensleistung des 71-jährigen Liedermachers und Dichters bei der Auszeichnung eine große Rolle. Doch es geht auch um ein pikantes Kapitel Hochschulgeschichte. 1963 händigte die Humboldt-Uni ihrem Studenten Biermann sein Diplom für Philosophie nicht aus, obwohl er alle Prüfungen bestanden hatte. Im damaligen Ostberlin gab es dafür politische Motive. Am 7. November soll Biermann nun nicht nur den Ehrendoktortitel erhalten, sondern auch sein Diplom - mit 45 Jahren Verspätung.
Pflichten verspätet nachkommen
In ihrer jüngsten Einladung spricht die Hochschule von einer "lang versäumten Pflicht" gegenüber Biermann, schon vorher nannte ein Sprecher die Feier einen "Akt der Wiedergutmachung". Es ist die Frage, wie Biermann darauf reagieren wird. Reden werde er auf jeden Fall, heißt es aus der Uni.
Die Planer des Festakts wissen schon, dass es sehr voll werden wird im Senatssaal der Universität Unter den Linden. Vor dem Gebäude sitzen die Brüder Humboldt auf ihrem Denkmalsockel. Drinnen, an der Freitreppe, prangt ein berühmtes Karl-Marx-Zitat in blank geputzten goldenen Lettern: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Der Senatssaal im ersten Stock, mit seinen großen Fenstern, dem knarrenden Eichenparkett und den wagenradgroßen Leuchtern an der Decke, ist als Bühne gut geeignet. Und das Publikum dürfte von Biermann an diesem Ort etwas erwarten.
Doch zuerst wird die Feier am Nachmittag streng nach akademischem Programm ablaufen. Die erste Laudatio hält Professor Volker Gerhardt vom HU-Institut für Philosophie, die zweite Klaus Briegleb-Weigel, emeritierter Professor der Uni Hamburg.
Ausschluss aus der SED und DDR
Das Pikante am "Fall Biermann" können sie kaum übergehen. Biermann war von 1955 bis 1957 an der HU im Fach Politische Ökonomie eingeschrieben. 1959 bis 1963 studierte er dort Philosophie und Mathematik. Zu dieser Zeit veröffentlichte er frühe Gedichte in DDR-Zeitungen. Als er mit Freunden 1961/62 ein altes Ostberliner Hinterhofkino zum "Berliner Arbeiter- und Studententheater" ausbaute, wurde es bereits vor der Premiere geschlossen. Ein erstes Auftrittsverbot für den Sänger und Dichter dauerte bis Juni 1963. Im selben Jahr wurde er aus der SED ausgeschlossen.
Biermanns weitere Biografie ist viel bekannter. 1976 verweigerte die DDR dem Protestsänger nach einer Tournee durch die Bundesrepublik die Wiedereinreise und bürgerte ihn aus, ein bis dahin nur aus der Nazizeit bekannter Vorgang. Biermanns Ausbürgerung löste eine große Protestwelle und einen bis dahin nicht gekannten Exodus ostdeutscher Künstler aus. Erst viel später zum Ende der DDR wurde die Ausbürgerung von der SED auch als großer kulturpolitischer Fehler eingestanden.
Mit Spannung Biermanns Reaktion erwartet
Die Philosophische Fakultät der Humboldt-Universität würdigt mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde nun Biermanns "Leistung als Künstler, Lyriker und als Philosoph und Theoretiker der Ästhetik". Durch seine Lebensleistung habe er auch erheblich dazu beigetragen, dass die Humboldt-Universität die Freiheit der Forschung und Lehre wieder in Anspruch nehmen dürfe.
An schwierige Ehrungen in Berlin ist Biermann schon gewöhnt. Nach dem anfänglichen parteipolitischen Streit um seine Ehrenbürgerschaft gab er sich im März 2007 nach der Auszeichnung milde. "Ich genieße diese Ehrenbürgerschaft erstmal arglos wie einen Kuss der Stadt Berlin in meine Seele", sagte er. Wie er an der Universität reagiert, wird spannend.
Berlin-Themen sind Biermann alles andere als gleichgültig. Schließlich plant er mit seiner Familie eine baldige Rückkehr von Hamburg in die Hauptstadt, wo er lange Jahre an der Chaussee-/ Ecke Friedrichstraße einen Steinwurf weit von der Bertolt-Brecht-Gedenkstätte und den Gräbern von Brecht und Helene Weigel sowie Anna Seghers wohnte. Später fanden dort noch andere prominente Autoren wie Heiner Müller und Stephan Hermlin ihre letzte Ruhe.
Ulrike von Leszczynski, dpa
Quelle: ntv.de