Geschichte von unten Klaus Kordon wird 65
21.09.2008, 14:28 UhrEr ist der Chronist der Berliner Hinterhöfe, in denen sich die Politik der Mächtigen im Kleinen spiegelt. Geschichte von unten beschreibt Klaus Kordon, der am 21. September seinen 65. Geburtstag feiert, in seinen Romanen für Jugendliche und Erwachsene. Seine zwischen 1918 und 1945 spielende "Trilogie der Wendepunkte" erzählt von den kleinen Leuten in der Ackerstraße in Berlin-Mitte. "Ich habe diesen Geruch noch in der Nase. Die Häuser mit den bis zu sechs Hinterhöfen waren feucht und schwammig", sagt der 1943 geborene Kordon, der seine Geschichten mit eigenen Kindheitserinnerungen verwoben hat. "Allein in der Ackerstraße haben damals so viele Leute gewohnt wie heute in einer mittelgroßen Kleinstadt. Auf 35 Quadratmetern lebten im Schnitt sieben Menschen", erzählt der Schriftsteller.
Wer das Schicksal der Familie Gebhardt in "Die roten Matrosen", "Mit dem Rücken zur Wand" und "Der erste Frühling" verfolgt, der erlebt Geschichte hautnah - vom Aufstand der Matrosen vor dem Berliner Schloss bis zur Besetzung der Stadt durch die sowjetische Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges. "Geschichtsbücher sind oft trocken und faktenlastig. Emotional spricht das den Leser meistens nicht an", sagt Kordon. "Aber wenn man einen Roman liest und mit den Figuren durch die Straßen von damals läuft, dann bekommt man das Gefühl, man ist dabei und versteht die Zeitumstände plötzlich." Bewusst habe er sich entschieden, in seinen Romanen Menschen aus den unteren Bevölkerungsschichten zu charakterisieren. "In den Wohngegenden der Reichen kam es eben nicht vor, dass zwei, drei Mal am Tag der Leichenwagen kam, um ein an Hungergrippe gestorbenes Kind abzuholen", erklärt Kordon.
Gefängnis nach Fluchtversuch
"An Berlin lässt sich die deutsche Geschichte wunderbar darstellen und erklären. Berlin war die Stadt der Revolution von 1848, die Hauptstadt des Kaiserreichs und der Ort der Republikausrufung nach dem Ersten Weltkrieg. Die Stadt, in der Hitler an die Macht kam, die nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt wurde und schließlich wiedervereinigt wurde." Seine eigene Geschichte erzählt der in Berlin-Prenzlauer Berg aufgewachsene Kordon in dem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten 800-Seiten-Wälzer "Krokodil im Nacken".
Nach einem missglückten Fluchtversuch aus der DDR über Bulgarien wurden Kordon und seine Frau festgenommen und im Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Ihre damals 6 und 9 Jahre alten Kinder kamen in ein DDR-Kinderheim. Nach einem Jahr Haft wurde das Ehepaar 1973 von der Bundesrepublik freigekauft und konnte in den Westen ausreisen. Die Kinder aber mussten noch ein weiteres Jahr im DDR-Heim aushalten, bis sie ihren mittlerweile in Schwalbach bei Frankfurt/Main lebenden Eltern "nachgeschickt" wurden.
Erleichterung nach "Krokodil im Nacken"
"Schreiben wollte ich eigentlich schon immer", sagt der studierte Volkswirt Kordon, der auf seinen Reisen als Kaufmann in Asien, Nordafrika, Australien und Südamerika Eindrücke sammelte, die er später in Romanen verarbeitete. Den Anstoß gab ein Bettler in Indonesien, dessen Geschichte Kordon für seinen ersten, 1977 erschienenen Roman "Tadaki" (heute: "Der Weg nach Bandung. Tadakis Geschichte") aufschrieb. 1988 kehrte Kordon dann nach Berlin zurück, wo er mit seiner Frau heute im beschaulichen Steglitz wohnt.
Nachdem er das autobiografische Werk "Krokodil im Nacken" abgeschlossen hatte, habe er sich erleichtert gefühlt, erzählt Kordon. Doch die Geschichte geht weiter. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2009 kommt sein neuer Roman "Auf der Sonnenseite" heraus. Der Band ist eine Fortsetzung von "Krokodil im Nacken" und erzählt, was der junge Manfred Lenz - Kordons Alter-Ego - nach der Ausreise in die Bundesrepublik in Westdeutschland erlebt.
Schreiben per Hand
"Der Titel 'Auf der Sonnenseite' ist leicht ironisch gemeint", erzählt der Autor. "Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war Helmut Kohl gerade in Polen und sagte dort zu Journalisten, dass von nun an auch die Ostdeutschen auf der Sonnenseite der Geschichte leben könnten. Heute klingt das etwas ulkig, wenn man bedenkt, dass natürlich nicht alles besser geworden ist", so Kordon. "An den Erfahrungen von Manfred Lenz bis zum Mauerfall 1989 merkt man dann, dass es auch auf der Sonnenseite manchmal Schatten gibt."
Das "Sonnenseite"-Manuskript ist fertig, Kordon arbeitet bereits am nächsten Buch: einem Folgeband seiner Revolutions-Saga um die Familie Jacobi ("1848" und "Fünf Finger hat die Hand"). Wie immer bringt Kordon seine Gedanken ausschließlich per Hand mit einem dünnen schwarzen Filzstift zu Papier. Mit Blick auf einen Park entsteht so in seiner direkt neben der Privatwohnung zusätzlich angemieteten "Arbeitswohnung" sein neues Werk. Seine Frau wird das von ihm mehrmals überarbeitete Manuskript dann später in den Computer eingeben.
Quelle: ntv.de, Elke Vogel, dpa