
Zurück auf dem Court des Lebens: Tennis-Legende Boris Becker.
(Foto: IMAGO/i Images)
Boris Becker ist frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden und ganz Deutschland spricht darüber. "Unfair!", unken viele und schieben Beckers neue Freiheit seinem Promi-Status zu. Über einen Mann, über den die Gesellschaft jeden Tag ein neues Urteil fällt.
"Weihnachtsamnestie - und Boris Becker wurde aus dem Gefängnis entlassen. Wir leben in einer Satire-Simulation", lautet nur ein Twitter-Kommentar unter Tausenden. In einem anderem heißt es: "Da guckste, Uli, ich musste nur 7 Monate!" Boris Becker, der Häftling mit der Nummer A2923EV ist vorzeitig aus dem Knast entlassen worden. Das scheint eine wahre Sensation zu sein, Beckers Name trendet unverzüglich auf Platz 1 jenes Kurznachrichtendienstes, der sich gerade im Würgegriff des neuen Bosses Elon Musk befindet. Die "Bild"-Zeitung spricht sogar von einem "Abschiebe-Krimi", der schließlich auch noch zu einem "Wetter-Krimi" wurde. Diese miese Winter-Überraschung jedes Jahr im Dezember. Das kann ja keiner ahnen.
Gefühlt spricht gerade ganz Deutschland über den Mann, der am 29. April wegen Insolvenzstraftaten für zweieinhalb Jahre in den Bau gehen sollte, nun aber das Huntercombe-Gefängnis in Oxfordshire vor der Mindesthaftzeit wieder verlassen durfte. Nach nur sieben Monaten. Gute Führung, Weihnachtsamnestie - und dann sollen die britischen Knäste auch so wahnsinnig überfüllt sein!
Zugegeben, ungerecht klingt das schon. Und es ist durchaus nachvollziehbar, wenn im gemeinen Volk die gängige Meinung vorherrscht, dass Leute wie Becker oder Hoeneß, die gegen das Gesetz verstoßen haben, am Ende des Tages immer noch Personen mit Einfluss und teuren Anwälten sind. Jene der oberen Zehntausend, die, auch wenn sie pleite sind, gefühlt immer irgendwie davonkommen, während der kleine Mann die volle Härte des Gesetzes spürt.
Das ganze Leben eine "Grenzerfahrung"
Becker ist, ob es einem gefällt oder nicht, in diesem Land eine Legende. Eine ganze Generation ist mit ihm aufgewachsen. Er hat als erster Deutscher und jüngster Spieler Wimbledon gewonnen. Er war der beste Tennisspieler der Welt. Und ein Stück weit ist er über die Jahrzehnte auch so etwas wie deutsches Kulturgut geworden. Wir hatten und haben das Gefühl, den heute 55-Jährigen und sein ganzes Leben zu kennen: seine erste Frau Barbara, seine Kinder Noah und Elias, die Besenkammer-Geschichte, die daraus hervorgegangene Tochter Anna, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist und die vielen Frauen, die einen (oder einige) Sommer lang an seiner Seite weilten.
Und wir tuschelten, als plötzlich sogar Sabrina Setlur alias Schwester S. "Bobbeles" neue Liebe war. Die Musikerin selbst hatte ihre kurze Beziehung vor fast 20 Jahren zu dem Tennisstar einmal als "Grenzerfahrung" beschrieben. Und wenn man heute erneut liest, wie sie diese Zeit an seiner Seite damals erlebte, zeigt das auch den ewig gleichen Umgang der Boulevardmedien mit Menschen in der Öffentlichkeit. Da gibt es weder Ab- noch Anstand und schon gar keinen Respekt vor der Privatsphäre. Wie Hyänen stürzen sie sich auf alles Verwertbare, um den hungrigen Schlund der sensationsgeilen Meute zu stillen.
Die Erfahrungen, die Setlur im Jahre 2003 beschrieb, sind wie eine Blaupause, die man im Grunde auf alle legen kann, die von Interesse sind. So könnten diese Aussagen auch von Meghan Markle sein: "Auf einmal wurden Dinge über mich geschrieben (…) Plötzlich sind Menschen gekommen, die in meinem Leben rumkramen, vor meiner Haustür lauern und die Freunde befragen - das hat mich in seinen Ausmaßen sehr erschreckt. Auch, wie unfair man plötzlich behandelt wird. Ich habe da richtig einen Hass auf diese Menschen entwickelt, ich meine, ich habe ja kein Kind umgebracht oder vergewaltigt oder so etwas. Das hatte nichts damit zu tun, an was man glaubt und wofür man lebt. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben."
Zurück auf dem Court des Lebens
Nun, nach der Freilassung von Boris Becker aus dem Gefängnis, geht der ungeheure Hype um seine Person von vorne los. Vielleicht hat er zuletzt etwas nachgelassen, erloschen ist er nie. Und man kann auch nicht sonderlich viel all jenen entgegensetzen, die meinen, für straffällig gewordene Promis gelten andere Gesetze. Bald erscheint eine Becker-Doku. Der Sender Sat.1 soll dem gefallenen Tennisstar für ein Interview mehr als eine halbe Million Euro zahlen. Und vielleicht gibt's bald - wie bei der verurteilten Betrügerin Anna Sorokin - eine Serie bei einem Streamingdienst und der Rubel rollt besser als je zuvor.
Die Frage aber, ob Becker einem auch leidtun kann, muss erlaubt sein. Da ist ein Mann, dessen Leben seit seiner Jugend in den Gazetten bewertet und ausgebreitet wird. Der lange hofiert und des Öfteren medial zur Schlachtbank geführt wurde. In dessen Müll noch immer herum gekramt wird und der sich spätestens im Jahre 2013 selbst demontierte, als er sich mit einer Mütze mit zwei Fliegenklatschen auf dem Kopf in einer Show von Oliver Pocher der Lächerlichkeit preisgab.
Becker ist einer, der alles hatte und alles verlor. Einer, den man wie den Onkel nicht mögen muss, der aber dennoch irgendwie zur Familie gehört. Ein Mensch mit Fehlern, schlechten Beratern und dummen Entscheidungen. Für die einen hat er dafür bezahlt, für die anderen ist seine vorzeitige Haftentlassung ungerecht und seinem Promi-Status geschuldet.
Es heißt, das einstige Tennis-Ass habe sich in den Knast-Alltag gut integriert und sich mit den anderen Häftlingen prima verstanden. Bestimmt hatte Becker viel Zeit zum Nachdenken. Über das was war und das, was kommt. Nun ist er zurück auf dem Court des Lebens. Mensch, Boris, das ist dein Big Point!
Quelle: ntv.de