Unterhaltung

"Tatort" übers UnterbewussteMurot und die Kunst des Kompromisses

28.12.2025, 21:53 Uhr
imageVon Julian Vetten
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Treibt sich in Eva Hütters (Nadine Dubois) Kopf herum: Kommissar Murot (Ulrich Tukur). (Foto: HR/Senator Film/Dietrich Brüggem)

14 Jahre, 14 Fälle: Ulrich Tukurs Kommissar Murot spaltet das Publikum wie keine andere "Tatort"-Figur. Mit "Murot und der Elefant im Raum" versucht Regisseur Dietrich Brüggemann die Quadratur des Kreises - und sie gelingt erstaunlich gut.

Durch die "Tatort"-Welt geht ein tiefer Spalt. Er trägt den Namen Murot und trennt jedes Jahr aufs Neue das Lager der Kritiker und Film-Aficionados von einem Gutteil der Krimi-Fans. Während sich erstere über abgedrehte Meta-Stories, Filmzitate am laufenden Band und philosophische Ansätze freuen, stöhnen nicht wenige Zuschauer genau darüber - weil sie am Ende einer harten Woche respektive eines harten Jahres einfach mal 90 Minuten vor ihrem Lieblingskrimi entspannen wollen.

Mit dem von Ulrich Tukur gespielten LKA-Ermittler war das in der Vergangenheit eher selten möglich: Der Wiesbadener Kommissar erlebte denselben Tag in einer Zeitschleife immer wieder ("Murot und das Murmeltier"), verteidigte eine museale Polizeiwache gegen zombiehafte Verbrecher ("Angriff auf Wache 08") oder tötete Hitler ("Murot und das Paradies"). Die Reaktionen reichten jeweils von ekstatischer Begeisterung bis hin zu: "Den 'Tatort' kannste dir nicht mal schönsaufen."

14 Jahre durch absurdeste Welten

Viel weiter können Empfindungswelten kaum voneinander entfernt sein. Sie zusammenführen zu wollen hat etwas von der Quadratur des Kreises - und der neue Fall versucht genau das. Einerseits bleibt "Murot und der Elefant im Raum" gewohnt experimentell - ermittelt wird per Unterbewusstseinsmaschine -, will aber andererseits auch als klassischer Thriller mit Tickende-Uhr-Dramaturgie funktionieren. Ein kleiner Junge sitzt allein in einer Waldhütte im Taunus und wartet auf Nougatflips, die seine zwischenzeitlich verunglückte Mutter versprochen hat. Die Zeit läuft. Um den Aufenthaltsort herauszufinden, taucht Murot mit einer experimentellen Maschine ins Unterbewusstsein der im Koma liegenden Entführerin ein.

Dass die vergessenen Nougatflips das Drama ins Rollen bringen, ist typisch für Brüggemanns Ansatz: Es sind die scheinbar nebensächlichen Details, an denen sich große Fragen entzünden. Der Regisseur verknüpft die Prämisse mit einer Abrechnung mit deutscher Befindlichkeit: "'Das Kind in dir muss Heimat finden' ist seit Jahren jedes Jahr aufs Neue eines der am meisten verkauften Ratgeber in Deutschland, und wenn dieses Kind so dringend Heimat finden muss, dann hat es ja offensichtlich keine", erklärt Brüggemann. Ein ähnliches Phänomen sehe man im "Tatort": "In anderen europäischen Ländern ist die Polizei im Film eigentlich immer korrupt. Bei uns dagegen sagt der 'Tatort' jeden Sonntag unserem inneren Kind, dass alles gut wird und man beruhigt schlafen kann."

Genau dieses Versprechen löst "Murot und der Elefant im Raum" bewusst nicht ein. Wenn Murot durch Eva Hütters Unterbewusstsein wandert, sieht er kein klares Bild, sondern ein Kaleidoskop aus Erinnerungsfetzen und Ängsten. "Wir haben noch nie einen Fall in der sogenannten Realität gelöst", konstatiert Murot - und spricht damit über mehr als diesen Fall. Dass Robert Gwisdek als Dr. Schneider dabei eine Maschine bedient, die er selbst nicht versteht, und seine Figur irgendwo zwischen Daniel Düsentrieb und Dr. Strangelove oszilliert, passt ins Konzept.

Zwischen Loriot und Monty Python

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Oszilliert zwischen Dr. Strangelove und Daniel Düsentrieb: Experimental-Psychiater Dr. Schneider (Robert Gwisdek). (Foto: HR/Senator Film/Dietrich Brüggem)

"Ich habe nichts gegen Klamauk. Im Gegenteil. Guter Klamauk gehört zur Komödie, egal ob Loriot wegen eines schief hängenden Bildes ein Zimmer zerlegt oder John Cleese als 'Minister of Silly Walks' durch die Gegend läuft", sagt Brüggemann. Dass Eva Hütter mit einem angespitzten Bleistift einen ganzen Gerichtssaal in Schach hält, ist entweder sehr komisch - oder das genaue Gegenteil. "Axel Ranisch hat mal irgendwo sinngemäß gesagt, dass man auf maximale Tragik abzielen soll, lustig wird es dann schon von allein, und das ist eine exakte Beschreibung meiner eigenen Herangehensweise."

Im Vergleich zu früheren Murot-Fällen gelingt die Gratwanderung überraschend gut: "Murot und der Elefant im Raum" ist deutlich zugänglicher als "Murot und das Paradies" mit seinen philosophischen Exkursen, lange nicht so hermetisch wie "Angriff auf Wache 08" mit seinen B-Movie-Referenzen, dabei aber trotzdem experimenteller als "Murot und das Gesetz des Karma". Dem Hessischen Rundfunk könnte damit der Spagat gelingen, den Spalt zwischen Kritikern und Zuschauern ein Stück weit zu schließen. Am Ende bleibt ein Kompromiss zwar immer ein Kompromiss - in diesem Fall ist es die Spannung, bei der durchaus noch Luft nach oben wäre - aber einer, mit dem beide Seiten vielleicht ganz gut leben können.

Quelle: ntv.de

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