"Mein Werk ist vollendet" Ralph Giordano wird 85
20.03.2008, 00:00 UhrDer Kampf gegen Nationalsozialismus und Rechtsextremismus bestimmt sein politisches und privates Leben. Der jüdische Schriftsteller, Fernseh-Dokumentarist und Publizist Ralph Giordano nennt Deutschland die "liberalste Gesellschaft der Welt". Er fühle sich in ihr gut aufgehoben, sagt er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa kurz vor seinem 85. Geburtstag am 20. März. "Aber es wabert ein brauner Ungeist durch das Land", betont er und verweist auf jährlich Tausende vom Verfassungsschutz gezählte rechtsextreme Anschläge. Mit seiner Kritik am Islam und Kölner Moscheebau hat der Autor jüngst für heftigen Wirbel gesorgt. Doch in seinem Gesamtwerk spielen diese Themen nur eine kleinere Rolle.
Seine Arbeit betrachtet der seit 1972 in Köln lebende Publizist als weitgehend abgeschlossen. "Ich habe jetzt ein ungeheueres Freiheitsgefühl. Es ist, als hätte ich den Himalaya mit einem Teelöffel abgetragen. Mein Werk ist vollendet." Seine Autobiografie "Erinnerungen eines Davongekommenen" (2007) nennt Giordano sein "definitiv letztes" Buch. "Alle Bücher, die ich geschrieben habe, kommen aus der Tiefe meiner Biografie. Ich bin kein schneller Brüter. Was ich mache, hat eine lange Aufbereitungszeit." Seit seiner Jugend in Hamburg, die geprägt war von Demütigung, Todesangst und Verfolgung durch die Nationalsozialisten, habe er unter dem Druck gestanden zu schreiben.
"Terrorgewohnter Mann"
Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines Sizilianers war als Jugendlicher von der Gestapo verhört, misshandelt und eingesperrt worden. Um der Deportation der Mutter zu entgehen, versteckte sich die ausgebombte Familie Anfang 1945 in einem Kellerloch, wo sie fast verhungert bis zur Befreiung im Mai 1945 ausharrte. "Seitdem ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht an meinen Fluchtinstinkt appelliert worden wäre", sagt Giordano, der sich als einen "terrorgewohnten Mann" bezeichnet. Seit den 90er Jahren habe er über 1300 Morddrohungen erhalten.
Als "publizistisches Zentralprojekt" beschäftigt ihn derzeit das Thema Islam. Seit Mai 2007 löste der jüdische Schriftsteller mit seinem Protest gegen den Bau einer Großmoschee in Köln und mit teilweise zugespitzten Äußerungen in Talkshows auch Empörung aus. Unter Druck geriet er vor allem, als er verschleierte Musliminnen "menschliche Pinguine" nannte. Damit habe er aber nicht die Frauen selbst treffen wollen, sondern "das religiöse Patriarchat, das sie zur Verschleierung zwingt", hatte Giordano später klargestellt.
Kein "Anti-Muslim-Guru"
In der Sache zeigt er sich unbeirrt: "Ich bin kein Anti-Muslim-Guru, auch kein Türkenschreck und ich habe nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen, aber man muss die Dinge beim Namen nennen: In Deutschland ist eine schleichende Islamisierung im Gange, die unsere demokratische Republik bedroht." Seine Gegner seien nicht die Muslime. "Meine Feinde sind die Radikalen unter den Muslimen, genauso wie rechtsradikale Deutsche und alle Fundamentalisten, die die Demokratie gefährden. Für einen Mann mit meiner Biografie sind Demokratie und Verfassungsstaat heilig, das Kostbarste überhaupt."
Giordano war fast 30 Jahre lang TV-Dokumentarist, zunächst einige Jahre für den NDR, danach bis 1988 für den WDR. Er lieferte politische Berichte aus 38 Ländern. Danach schrieb er zahlreiche Bücher. "Ich habe 19 Bücher, 100 Fernsehfilme und unzählige Artikel veröffentlicht. Ich konnte immer sagen und schreiben, was ich denke und bin nie zensiert worden. Das ist eine großartige Sache. Deshalb nenne ich mich auch ein Glückskind", meint der Publizist.
Bestseller
Viele Bücher wurden Bestseller, allen voran die autobiografische und später verfilmte Familien-Saga "Die Bertinis" (1982), "Die zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein" (1987), "Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte" (1989) oder "Israel, um Himmels Willen Israel" (1991). Der "kreative Kreisel, der das Gesetz meines Lebens ist", drehe sich weiter, erklärt Giordano, auch wenn er kein Buch mehr plane. Einen großen Teil seines Nachlasses hat er bereits dem Deutschen Literaturarchiv Marbach übergeben.
Er bleibe auch mit 85 Jahren ein kämpferischer Mensch und sei für sein "methusalemisches" Alter in bester Verfassung. "Mein Arzt sagt: "Giordano, ich habe Sie von oben bis unten geprüft, Sie müssen sich in Ihrem Geburtsdatum geirrt haben"", sagt der allein lebende Autor, der dreimal verheiratet war. "Ich erlebe meinen 85. Geburtstag bei voller Schaffenskraft und in bester Gesundheit und hoffe, dass ich meinen Freunden und Feinden noch lange erhalten bleibe."
Von Yuriko Wahl, dpa
Quelle: ntv.de